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Brisantes Urteil.

© dpa

Transparenz: Ab sofort kann jedermann Regierungshandeln enthüllen

Das Bundesverwaltungsgericht hat ein Urteil gesprochen, das die Öffentlichkeit nur am Rande bemerkte. Doch es könnte politische Transparenz zu mehr machen als bloß einer Modevokabel.

„Transparenz“ lautet eine politische Modevokabel, mit der es sich verhält wie mit Menschenrechten, Demokratie, erlesenem Wein und Geld. Man kann nicht genug davon haben. Dabei ist es weder ein Piraten- noch ein Grünen- oder Internet- Thema, sondern ein gut abgehangenes und zutiefst bürgerliches Anliegen, das aufklärerische Staatsideal schlechthin: Freie Bürger bejahen ihre Gemeinschaft und kontrollieren ihre Herrschaft.

Durchsicht bringt nur Erkenntnis, wenn man hinsieht. Abseits vom großen politischen Ringen um Schulden und Banken unternahm die Bundesrepublik in Gestalt ihres höchsten Verwaltungsgerichts in Leipzig vergangenen Donnerstag einen gewagten und von der Öffentlichkeit nur am Rande bemerkten Schritt hin zum Ideal. Es urteilte, Kanzleramt und Ministerien müssten Bürgern auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes von 2005 künftig sogar Interna ihrer Regierungsarbeit preisgeben, wenn diese es wollten. Welche, darum muss im Einzelfall gekämpft werden. Aber in der Tendenz steht fest, die Bürger sollen wissen dürfen, welche Gutachten, Analysen und Vorlagen die Regierenden zum Handeln treiben. Der Staat muss sich ausziehen. Anlassen darf er nur, was ihm das Informationsfreiheitsgesetz im Ausnahmefall noch zum Schutze reicht; etwa wenn Sicherheitsbelange oder der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ betroffen sind, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat.

Eine Transparenz, die an Nacktheit grenzen kann. Denn staatliche Kernbereiche können antastbar werden, anders als persönliche. Natürlich brauchen die Mächtigen ihre Geheimnisse. Niemand möchte Angela Merkel zwingen, ihre Papiere zu präsentieren, bevor sie sie im Kabinett besprochen hat. Das könnte Vorhaben zunichte machen. Doch wie sieht es aus, wenn Verfahren abgeschlossen und Gesetze in Kraft sind? Ist die staatliche Geheim- und Schamfrist dann vorbei?

Die Justiz scheint entschlossen, auch diese Frage zu beantworten, die Berliner zumal, die qua Sitz der Ministerien für Auskunftsansprüche gegen jene zuständig ist. Vor ein paar Jahren hatte man hier in preußischer Staatstradition „Regierungstätigkeit“ aus dem Transparenzgebot des Gesetzes herausdefiniert, mittlerweile ist man umgeschwenkt und nimmt die Informationsrechte der Bürger weit ernster, als die Regierung es zu tun pflegt. Das Bundesverwaltungsgericht scheint den Weg bisher mitzugehen.

Jedermann hat mit dem Gesetz nun ein wirksames Mittel, Regierungshandeln zu enthüllen. Der Staat darf an Auskunft im Prinzip nur verweigern, was er auch einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verweigern dürfte. Eine neue, ungewöhnliche und machtvolle Form der Transparenz, für die keine neue Partei nötig war, schon gar keine im Bundestag. Die Piraten, das sind wir künftig alle.

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