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Startschuss für einen neuen Anlauf. Mit des Autobiografie „Jenseits des Protokolls“ versucht die Gattin des Altbundespräsidenten Christian Wulff, ihr Image zurechtzurücken.

© dpa

Ex-First Lady in der Offensive: Bettina Wulff: Die Ware Ich

Öffentlich versus privat: Bettina Wulff kämpft medienwirksam für ein neues Selbstbild. Dabei macht sie jedoch alte Fehler.

Die Lebenserwartung von Frauen in Deutschland liegt bei knapp 83 Jahren. Bettina Wulff ist 38. Rein rechnerisch gesehen, hat sie die Hälfte ihres Lebens noch nicht gelebt. Aber sie hat viel, so viel erlebt, dass es für eine Vielzahl von Leben reicht. Vor allem, weil es ein Leben aus sehr verschiedenartigem Ex und Top ist. Bettina Wulff ist die Ehefrau des früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen und des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Das ist die nüchterne Variante. Die steilere Version: Christian Wulff hat sein Amt nach 598 Tagen im Schloss Bellevue verlassen, weil er es verlassen musste. Ein Nassauer sei er, der sich gerne aushalten ließ, ein Sparefroh, der auf seinen Vorteil aus war. Stets und auch bei seinem Abschied die Frau an seiner Seite Bettina Wulff. Das will sie nicht mehr sein. Sie will jetzt Bettina Wulff sein.

Eine öffentliche Figur ist eine Erzählung. Die Medien erzählen sie, die Menschen erzählen sie, Wahres mischt sich mit Fiktivem, Fakten mit Gerüchten, der Erzähler ist immer auch der Erzählte. Die Bettina Wulff dieser Tage glaubt, ihr Narrativ sei falsch, mindestens korrekturwürdig. Als Ministerpräsidenten- und Bundespräsidentengattin war Schweigen oberstes Gebot, was die eigenen Belange und Bedürfnisse anging. Lächeln für und mit Christian war Eheräson. Mit großer Ohnmacht und noch größerer Wut konnte, musste sie hören, lesen und wahrnehmen, dass sie in früheren Jahren angeblich im Escort-Business gearbeitet habe. Das Gerücht kroch aus Niedersachsen ins Internet, dem größten Verstärker für alles Gute und alles Böse in dieser vernetzten Welt.

Aus der Duldung der Google-Denunziation wurde Attacke, nachdem das Ehepaar Berlin Richtung Großburgwedel verlassen hatte. Bettina Wulff, sie arbeitet als PR-Beraterin, sucht die Offensive. Offensive heißt in einer postheroischen Gesellschaft immer Öffentlichkeit. Welches Medium auch immer das Gerücht über die Escort-Dame transportiert hat, bekommt es mit einer führenden Anwaltskanzlei zu tun. Selbst der SuchmaschinenRiese Google wird zum Kotau aufgefordert, ein mächtiger Gegner, der zeigen soll, wie ernst es Bettina Wulff meint. Ein Buch hat sie geschrieben: „Jenseits des Protokolls“. Das Cover zeigt eine Frau, die zurückblickt, das berühmt-berüchtigte Tattoo wird nicht länger versteckt, sondern der Kamera entgegengereckt. Buch und Öffentlichkeit, das ist ihre Wahl der Waffen. Der Schuss kann nach hinten losgehen.

Jetzt verabredet sich Bettina Wulff mit zahlreichen Zeitschriften zum Interview; die Talkshows werden folgen. Bettina Wulff, die öffentliche Figur, wird, wenn es überhaupt möglich ist, noch öffentlicher. Getragen von der Überzeugung, dass du eine alte Erzählung nur mit einer neuen Erzählung über dich oder wenigstens mit neu geschriebenen Kapiteln übertrumpfen kannst. Wer kennt Bettina Wulff besser als Bettina Wulff, geborene Körner? Ich bin ich und keine andere. Künftig Herrin meines Lebens und meiner Lebenserzählung. Also.

Ihr Schreib- und Sprechprinzip: die Wahrheit, nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Nun ist die Klugheit unverändert der bessere Teil der Tapferkeit. Bettina Wulff handelt nicht klug; in ihrem Furor, eine Umkehrung der Verhältnisse zu erzwingen, verletzt sie, so bewusst wie unverständlich, die Bannmeile, die das Private vom Öffentlichen trennt. Schlafstörungen, Magenschmerzen, Eheprobleme mit anschließender Paartherapie, das ist schon ein intimer Einblick, im Buch wird es noch intimer. Wollte Bettina Wulff wirklich den Ungeist wieder in die Google-Flasche zwingen, hat sie mindestens eine neue Flaschen-Batterie geöffnet. Das Internet lästert, flucht, lacht.

Möglicherweise glaubt die Autorin und Interviewpartnerin, dass die größtmögliche Offenheit auf der anderen Seite der Öffentlichkeit größtmögliches Verständnis hervorruft. Hier schreibe, hier rede ich, ich kann nicht anders. Per aspera ad astra. Wer so kleingemacht war, wer so gelitten hat als Frau an seiner Seite, der braucht Aufarbeitung, Genugtuung, ehrlich: ein neues Leben. Ich heißt: Ich bin nicht länger die Frau an seiner Seite. Bettina Wulff hat gelitten, jetzt darf Christian Wulff büßen. Zwei Leben, pari gestellt. Wie hält es die erfahrene Journalistin Daniela Schadt eigentlich an der Seite von Bundespräsident Joachim Gauck aus?

Wer sein Leben, seine Familie dem Urteil der Öffentlichkeit aussetzt, der bewegt sich auf hoher See. Wer will nicht verstehen, dass sie sagt, „ich habe zu lange nach den Terminplänen meines Mannes gelebt. Jetzt geht es um mich und meine Söhne“? Ihrem Ehemann wirft sie vor, dass er sie ein großes Stück auch in die Rolle gedrängt habe. Eine lächelnde, attraktive Gutmenschen-Fee.

War das alles nur großes Staatstheater, vorgeführt vom ersten Mann und seiner „First Lady“ und aufgeführt für ein Publikum auf den Rängen, das nur das Beste vom Bundespräsidenten-Paar denken sollte? Hat sie das Macht und ihren Wohlstand nicht genossen? Bettina Wulff versieht das Amt des Staatsoberhauptes mit Anführungs-, wenn nicht mit Fragezeichen. Selbst nach der Resignation im Schloss Bellevue ist sie heute nicht allein die private Frau Wulff, sie ist die Ehefrau des ehemaligen Bundespräsidenten. Hier – und gerade hier – sind Amt und Träger nicht zu trennen, selbst im Exmodus nicht. Bettina Wulff stellt das eigene Ansehen, respektive die eigenen Ansichten über das Amt und sein Ansehen. EgoShooting schlägt Würde.

Ein normales Leben strebt sie an und hat sich mit der Agentur „Bettina Wulff Kommunikation“ selbstständig gemacht. Bei den Sommer-Paralympics in London vertrat sie das Medizinunternehmen Otto Bock HealthCare. Das ist ein Brot-undButter-Geschäft, getragen vom ServiceGedanken. Ist das ehrenwert oder ist es peinlich, dass eine vormalige First Lady in Sachen PR unterwegs ist? Bettina Wulff ist konsequent bei ihrem Unterfangen, die bisher und offensichtlich vorgeschriebene Biografie selber weiterzuschreiben.

Von Christian Wulff heißt es, dass er an einer Biografie seines politischen Lebens sitzt. Seine Frau, die PR-Beraterin Bettina Wulff, hat alles dafür getan und tut alles dafür, dass die Spannung wächst. Vielleicht ist das der tiefere Sinn der öffentlich gemachten Frau. Getrennt schreiben, gemeinsam gelesen werden.

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