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Streikposten im BVG-Betriebshof im Wedding

© Fabrizio Bensch/REUTERS

BVG-Streik am Montag: Gewerkschaft Verdi verliert jedes Augenmaß

Einen ganzen Tag wird die BVG bestreikt. Doch ein paar Stunden hätten der Gewerkschaft Verdi gereicht, um Druck auf die Arbeitgeber zu machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

In Tarifkonflikten geht es manchmal um Busse und Bahnen, aber fast immer um Bäume. Wer Arbeitnehmer auf den Baum jagt, so sagen die Tarifstrategen, der muss wissen, wie man sie wieder runterbekommt. Wobei die Höhe des Baumes gewissermaßen für die Erwartungen der Beschäftigten steht: Mit jedem Streiktag geht es höher hinauf. Und immer weiter weg von einem Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. Diese Gefahr besteht bei der BVG. Wie sehr den Tarifpartnern der Konflikt entglitten ist, zeigt der heutige 24-Stunden-Streik, mit dem der öffentliche Verkehr in Berlin weitgehend ausfällt.

Gestritten wird um Geld und Zeit für rund 14.500 Beschäftigte: Verdi möchte eine Arbeitszeitverkürzung von 39 auf 36 Stunden und deutlich höhere Gehälter. Das BVG-Management hat nach eigenen Angaben eine durchschnittliche Erhöhung um 450 Euro pro Monat angeboten, was in Summe die Personalkosten im Jahr um 90 Millionen Euro erhöhen würde. Das Gehalt eines Busfahrers soll von 2720 auf 3420 Euro steigen, sagt die BVG. Das ist eine Menge. Verdi aber bezeichnet solche Arbeitgeberangaben als Augenwischerei und wirft dem Tarifpartner vor, die Belegschaft spalten zu wollen, weil es für unterschiedliche Beschäftigtengruppen unterschiedliche Gehaltsaufschläge gebe.

Der Druck muss so groß sein, dass diejenigen, die ihn spüren, gezwungen sind, sich zu entscheiden, mit wem sie sich solidarisieren. Dann trennen sich die Pseudosolidarischen von denen, die auch dann treu bleiben, wenn sie selbst Opfer bringen müssen.

schreibt NutzerIn YvonneD

Beide Seiten werben in der Öffentlichkeit für ihre Position, weil die Berlinerinnen und Berliner als Streikopfer betroffen sind. Über den aktuellen Konflikt hinaus haben die Verhältnisse bei den Berliner Verkehrsbetrieben auch Einfluss auf die Lebensverhältnisse der Stadtbewohner. Der öffentliche Nahverkehr funktioniert nicht nach wirtschaftlichen Gesetzen von Angebot und Nachfrage, sondern gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb ist die BVG ein landeseigener Betrieb, dessen laufende Kosten zu mehr als einem Drittel aus dem Landeshaushalt gedeckt werden. Wenn sich Verdi und die BVG auf eine Gehaltserhöhung einigen, dann ist die also vom Land zu zahlen - und von den Fahrgästen über höhere Ticketpreise.

Die Gewerkschaften müssen vorsichtig sein

Gerade in der Daseinsvorsorge, wozu neben dem Verkehr auch Erziehung und Bildung, Pflege und Gesundheit gehören, sind die Gewerkschaften gut beraten, die Bäume nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Streiks betreffen hier immer sehr viele Menschen, und wenn Öffentlichkeit und Politik das Verständnis verlieren für die Tarifforderungen und die zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Streiks, dann ist es nicht mehr weit zu einer Einschränkung des Streikrechts, wie sie Arbeitgeber schon lange für den Bereich der Daseinsvorsorge fordern. Die Frage, ob ein Streik verhältnismäßig ist, wird dann von Arbeitsgerichten ganz anders beantwortet werden als heute. Und zwar zulasten der Gewerkschaften.

Dann wäre vermutlich nicht mehr erlaubt, dass ein paar tausend Flughafenkontrolleure einen Großteil des Luftverkehrs hierzulande stoppen, wie im Januar. Und dann wäre auch ein 24-stündiger Streik der Verdi-Mitglieder bei der BVG kaum noch möglich in einem Verhandlungsstadium, bei dem sich beide Seiten schon viel näher gekommen sind; offenkundig geht es nur noch um Nuancen. Um noch einmal Druck auf die Arbeitgeber zu machen, hätten auch ein paar Stunden Streik gereicht.

BVG und Verdi gemeinsam müssen die Verkehrsbetriebe als Arbeitgeber attraktiver machen, in dem sie mehr Geld für alle vereinbaren. Aber auch der Ansatz des Unternehmens ist plausibel, Berufseinsteiger überproportional aufzuwerten. Allein in diesem Jahr braucht die BVG 760 neue Fahrerinnen und Fahrer, um die altersbedingten Abgänge zu kompensieren. Die Leute kommen aber nur zur BVG, wenn die Einkommenslücke zur S-Bahn, wo die Fahrer aufgrund des bundesweiten Bahn-Tarifs 500 Euro mehr verdienen als bei der U-Bahn, geschlossen wird.

Ob dazu dieser BVG-freie Montag sein musste, bleibt zweifelhaft. Verdi kann dankbar sein für den Langmut der Berlinerinnen und Berliner.

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