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Ankunft in Berlin: Flüchtlinge aus der Ukraine treffen im Frühjahr 2022 ein.

© Imago/Funke Foto Services/Reto Klar

Debatte über Bürgergeld für Ukrainer: Die Union betreibt allzu schlicht gestrickte Stimmungsmache

Es ist schwer zu erklären, dass noch so viele Ukrainerinnen und Ukrainer es nicht auf den Arbeitsmarkt geschafft haben. Warum die Antworten der Union trotzdem zu simpel sind.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Vorwärts, ab an die Front. Das ruft die Union Ukrainern entgegen, die wehrpflichtig wären, sich dem Militärdienst aber entziehen, in Deutschland leben – und womöglich Bürgergeld erhalten.

Es könne nicht angehen, „fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren“, sagt Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU). Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, spricht davon, die Ukrainer würden sich „wegducken“.

Und dann kommt Steffen Bilger, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, und setzt noch eins drauf: „Insbesondere wegen des Bürgergelds sind so viele Ukrainer bei uns. Ohne diese Ampel-Fehlentscheidung hätten wir Milliarden weniger ausgeben müssen, wir hätten weniger Konkurrenz um Arzttermine, Betreuungsplätze und Wohnungen.“

Es sind neue Töne von einer Partei, die ihre Rolle doch eigentlich gefunden hatte. Sowohl beim Thema Ukraine: getreu an der Seite des überfallenen Landes und seiner Menschen. Als auch in Sachen Bürgergeld: als Mahnerin gegen ein allzu laxes Sozialstaatsverständnis, gegen die Idee, auf jedes Problem gehöre Geld geworfen.

Nun aber führt die Union die beiden Themen aufs Unschönste zusammen.

Kühle, ungerührte Sicht

Da sind zum einen Stübgen, Frei und andere mit ihrem Gratismut. So richtig es ist, dass die Ukraine nun einmal Soldaten braucht, um sich zu verteidigen: Diese kühle, ungerührte Sicht, als ginge es um Plastiksoldaten im Brettspiel, die von West nach Ost geschoben werden, greift zu kurz. Als wäre völlig unverständlich, dass die Männer, um die es hier geht, nicht als nächste ihr Leben lassen wollen im Abwehrkampf gegen Putins imperialistischen Größenwahn.

Und dann ist da Bilger mit seiner allzu schlicht gestrickten Stimmungsmache. Er schob hinterher, natürlich seien die Ukrainer vor dem Krieg und nicht wegen des Bürgergelds geflohen. Das allerdings kam ein bisschen spät.

Bilger spricht von einer „Ampel-Fehlentscheidung“. Das ist ein eindrückliches Beispiel für das im Politikbetrieb weit verbreitete selektive Gedächtnis. Denn tatsächlich trafen Bundeskanzler Scholz und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder, also auch jene der Union, im Frühjahr 2022 gemeinsam die Entscheidung, den Geflüchteten aus der Ukraine Grundsicherung zu gewähren.

Dazuzulernen ist nicht verboten. Es hat sich gezeigt, dass das Bürgergeld als solches überarbeitungsbedürftig ist, dass in Sachen Großzügigkeit ganz allgemein wieder rückgebaut werden muss. Nicht völlig zu Unrecht ist das Bürgergeld zum Synonym geworden für alles, was im deutschen Sozialstaat schiefläuft.

Deutschland hat aber auch allen Anlass zur Selbstkritik. Die Verfahren, nach denen ausländische Berufsabschlüsse anerkannt werden, sind kompliziert und langwierig. Das kostet wertvolle Zeit.

Karin Christmann

Und doch würde die Idee zu kurz greifen, die Menschen aus der Ukraine einfach wieder aus dem Bürgergeld herauszubefördern. Wer das versucht, erreicht womöglich nur einen gigantischen bürokratischen Aufwand für hunderttausende Asylverfahren. An deren Ende würden die Menschen doch wieder als schutzberechtigt anerkannt – und hätten Anspruch auf Bürgergeld.

Auch Anlass zur Selbstkritik

Die Frage ist vielmehr, wie die Menschen in Arbeit gelangen können. Gerade dafür müssen sie im Bürgergeld-System sein. Nur dann sind die Jobcenter für sie zuständig und können Hilfe anbieten, wo möglich, und Druck machen, wo nötig.

Es ist schwer zu erklären, dass noch so viele Ukrainerinnen und Ukrainer Bürgergeld beziehen. Die Bundesregierung hat die gesellschaftliche Sprengkraft des Problems erkannt, und diese ist in Zeiten größter Haushaltsnöte immens. Der ausgerufene Job-Turbo soll helfen, aber passiert ist längst noch nicht genug. Der eine oder die andere braucht wohl tatsächlich eine nachdrücklichere Ansprache. Wie in jedem System gibt es auch hier Menschen, die es ausnutzen.

Deutschland hat aber auch allen Anlass zur Selbstkritik. Die Verfahren, nach denen ausländische Berufsabschlüsse anerkannt werden, sind kompliziert und langwierig. Das kostet wertvolle Zeit. Es fehlt an Kita-Plätzen, was Ukrainerinnen, die ohne ihre Männer kamen, besonders hart trifft. Auf dem Arbeitsmarkt geht, anders als in so manchem Nachbarland, nur mit Englisch sehr wenig.

Das alles sind komplexe Probleme ohne einfache Lösungen. Sie hätten eine ernsthaftere Auseinandersetzung verdient, als die Union sie derzeit betreibt.

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