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SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und Generalssekretär Lars Klingbeil.

© Tobias Schwarz/AFP

Die SPD hat ihr Thema verloren: Nicht die jungen Wähler haben die Wahl entschieden

Die Europawahl zeigt einmal mehr: SPD und CDU als tragende Säulen der GroKo verlieren auch in der Mitte der Gesellschaft massiv an Ansehen. Ein Gastkommentar.

Eine Wahl im Zeichen des Klimawandels, entschieden von jungen Wählerinnen und Wählern, die sich bei FridaysForFuture gesammelt haben, von Rezo und seinen Youtubern überzeugt wurden und am Ende millionenfach gewählt haben. So in etwa sieht die Charakterisierung des gestrigen Wahlabends in Kurzform aus.

So richtig und bemerkenswert vieles daran ist, so holzschnittartig ist die Darstellung doch. Zumindest an einigen Stellen lohnt ein differenzierterer Blick. Laut Wahltagsbefragung der ARD gaben 48 Prozent der Wähler an, „Klima- und Umweltschutz“ sei das für sie entscheidende Thema gewesen. Die schiere Höhe dieses Wertes ist bemerkenswert, auch das Plus von 28 Prozentpunkten gegenüber der Europawahl 2014 außergewöhnlich.

Die Zahlen erinnern an die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Atomkatastrophe von Fukushima: Bei der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg kurz nach dem Unglück in Japan gaben 45 Prozent an, „Umwelt- und Energiepolitik“ sei damals wahlentscheidend für sie gewesen. Das mal zur Einordnung – das Thema ist derzeit wirklich groß.

Parteien werden mit großen Themen verknüpft

Und wir haben am gestrigen Tag – mal wieder – gelernt, auf welchem Wege solche große Themen die Entscheidungen von Wählerinnen und Wählern prägen. Es geht nämlich aus ihrer Sicht nicht darum, welche Partei im Detail das beste inhaltliche Konzept vorlegt. Die Verbindungen zwischen Themen und Parteien sind viel größer und abstrakter. Bestimmte Themen „gehören“ bestimmten Parteien, ihnen traut man dort pauschal Kompetenz zu. Und wenn diese dann im Vorfeld einer Wahl die öffentliche Wahrnehmung dominieren, dann nützt es eben diesen Parteien.

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Umwelt, Klima, Anti-Atomkraft – das sind die Kernkompetenzen der Grünen. Und infolgedessen haben sie 2011 nach Fukushima einen Höhenflug erlebt – und einen solchen auch gestern wiederholt. Im Gegensatz zur Bundestagswahl 2017 vor nur eineinhalb Jahren. Bedanken sollten sich die Grünen bei allen anderen Parteien, die das Thema Klimaschutz im Vorfeld des gestrigen Wahltages ebenfalls plakatierten – genutzt hat auch das vor allem den Grünen.

Eines ging aber bei der Betrachtung der wahlentscheidenden Themen gestern völlig unter. Auf Platz 2 des Wählerinteresses stand mit 43 Prozent - und damit nur knapp hinter dem Thema „Klimaschutz“ – das Thema „soziale Sicherheit“. Das „Soziale“ gehört eigentlich der SPD. Und 43 Prozent ist ein großes Potenzial. Dass es der SPD nicht gelang, dieses Potenzial für sich zu nutzen, muss den Strategen im Willy-Brandt-Haus Kopfzerbrechen bereiten. Die Sozialdemokraten haben ihr Thema verloren.

Einfluss der Erstwähler gering

Kommen wir damit zu den jungen Leuten. Haben Sie die Wahl entschieden? Sicher nicht. So interessant die Schaubilder zum Wahlverhalten der Erstwähler am gestrigen Abend waren, gerade auch das sensationell gute Abschneiden der Satire-Partei „Die Partei“, so wenig können sie doch das Wahlergebnis insgesamt erklären. Von den 65 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland waren nicht einmal vier Millionen Erstwähler. Noch dazu liegt deren tatsächliche Wahlbeteiligung in der Regel deutlich niedriger als jene älterer Wählergruppen.

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Der große Erfolg der Grünen geht weit darüber hinaus. Sie waren in der Gruppe der unter 60-Jährigen stärkste Partei. Da braucht es schon einen sehr weiten Begriff von Jugend, um den Sieg der Grünen alleine darauf zurückzuführen. Nein, die Gründe gehen weit über Rezo hinaus: CDU und SPD als tragende Säulen der GroKo verlieren massiv an Ansehen, bei jungen Menschen, aber auch in der Mitte der Gesellschaft.

Schaut man sich das Ergebnis in einzelnen Bundesländern an, wird man feststellen, dass die Grünen in vier der fünf ostdeutschen Bundesländer auf Platz 5 des Parteienwettbewerbs gelandet sind, hinter CDU, AfD, SPD und Linken. Auch das spricht gegen eine allzu einfache Interpretation des gestrigen Abends.

Der Autor: Thorsten Faas ist Professor für "Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland" am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er ist zudem Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung.

Thorsten Faas

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