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Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird an einem OP-Saal vorbeigetragen.

© dpa/Soeren Stache

Organspende als Regelfall: Wie die Widerspruchslösung funktionieren soll

Ohne Widerspruch soll künftig jeder im Todesfall Organspender sein. Das fordern Abgeordnete aller Parteien. Diese Regeln sieht ihr Gesetzentwurf vor.

Nach ihrem Tod spendeten 2023 in Deutschland 965 Menschen ihre Organe. Das sind elf Prozent mehr als im Vorjahr, erklärt die Deutsche Stiftung Organtransplantation. 2877 Organe konnten so transplantiert werden. Der Bedarf ist allerdings deutlich größer. Auf Wartelisten für eine Organtransplantation stehen aktuell rund 8400 Menschen.

Bundestagsabgeordnete aller Parteien von der Linken bis zur CSU wollen diese Lücke nun schließen. Am Montag stellten sie einen Gesetzentwurf vor, der in Deutschland eine Widerspruchsregelung bei Organspenden schaffen soll.

Täglich versterben uns drei Menschen auf der Warteliste.

Sabine Dittmar (SPD)

Was ist die Widerspruchslösung?

„Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen“, sagte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar. Seit Jahren stagnierten Organspenden auf einem wirklich niedrigen Niveau. „Wir warten in Deutschland bis zu zehn Jahre auf eine Niere. Täglich versterben uns drei Menschen auf der Warteliste.

Derzeit kommt es zu einer Organtransplantation bei Hirntoten nur nach einer ausdrücklichen Zustimmung des Verstorbenen oder der Angehörigen. Künftig sollen einwilligungsfähige Erwachsene automatisch als potenzielle Spender gelten – wenn sie einer Organtransplantation nicht ausdrücklich widersprochen haben. Andere europäische Länder mit dieser Regelung, wie Österreich und Spanien, verzeichnen deutlich mehr Organspenden.

Angehörige sollen Ärzte künftig über den Willen des Verstorbenen informieren – ergänzend zu schriftlichen Willensbekundungen. Sie müssen aber laut Gesetzesentwurf nicht mehr entscheiden. Die Angehörigen seien noch Boten und Übermittler, sagte der Grünen-Abgeordnete Armin Grau. Ihnen werde die Last genommen, den mutmaßlichen Willen Verstorbener zu interpretieren, wenn sich diese nie zu einer möglichen Organspende geäußert hätten.

Wer bringt den Gesetzentwurf ein?

Hinter dem Gruppenantrag stehen viele Gesundheitspolitiker der Fraktionen – etwa die zuständige Fraktionsvize der SPD, Dagmar Schmidt, Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Union, und sein Pendant bei den Grünen, Janosch Dahmen. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), seine Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar und Lauterbachs Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) tragen den Gesetzentwurf mit.

„Ohne dass wir allen zumuten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, werden die Organspendezahlen nicht signifikant steigen“, sagte Lauterbach. „Wer das Sterben auf der Warteliste beenden will, sollte diese Bundestagsinitiative unterstützen.“

Zuvor hatten bereits acht Bundesländer im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, um die Widerspruchslösung einzuführen.

Wie aussichtsreich ist der Antrag?

2020 scheiterte die Widerspruchslösung im Bundestag. Nach langer Debatte entschieden sich die Abgeordneten in einer Gewissensentscheidung ohne Fraktionszwang, bei der sogenannten Entscheidungslösung zu bleiben. Sie votierten für einen Gesetzentwurf, mit dem die Spendenbereitschaft der Deutschen erhöht werden sollte.

Mit Ausweis: Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) drängen seit vielen Jahren auf eine Widerspruchsregelung bei der Organspende.

© Kay Nietfeld/ dpa

Daraufhin wurde im März 2024 – mit Verspätung – ein deutschlandweites digitales Spendenregister eingeführt. Ursprünglich sollten sich die Bürger hierin auch auf Bürgerämtern eintragen können, das funktioniert allerdings noch nicht. Zudem informieren Hausärzte über Organspenden.

Auch die Transplantationsmedizin wurde gestärkt. In Krankenhäusern gibt es nach einer Gesetzesreform von 2019 Transplantationsbeauftragte und die Kliniken erhalten für Transplantate mehr Geld.

Die strukturellen Hürden für Organspenden habe man beseitigt, sagte die Linken-Abgeordnete Petra Sitte. Dennoch sei die Zahl der Organspenden weiter inakzeptabel gering. Sich mit einer möglichen Organspende zu beschäftigen, sei zumutbar und verantwortbar. Die Widerspruchslösung schränke die Selbstbestimmung zu Lebzeiten nicht ein.

Die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann rechnet damit, dass es auch diesmal einen konkurrierenden Gesetzentwurf geben wird. Ausgang offen.

Bis wann soll die Widerspruchslösung kommen?

Im Bundestag sollen nun Expertenanhörungen und Debatten stattfinden, erläuterte Connemann. Die finale Abstimmung planen die Abgeordneten hinter dem Gruppenantrag im Frühjahr 2025. Stimmt der Bundestag zu, soll die Widerspruchslösung binnen zwei Jahren kommen.

In dieser Zeit soll die Bundeszentrale gesundheitliche Aufklärung die Bürger per Brief über die neue Gesetzeslage informieren. Zudem soll es kontinuierlich Informationskampagnen geben.

Wie kann man widersprechen?

Wer nicht spenden wolle, könne das im neuen digitalen Spendenregister eintragen, sagte Gesundheitsminister Lauterbach. „Aus dem Spendenregister würde so ein Nichtspenderregister – eine digitale Opt-out-Lösung für Organspende.“

Aber auch ein entsprechender Eintrag im Organspendeausweis oder eine Willensbekundung gegenüber Angehörigen soll ausreichen.

Was sagen Kritiker?

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, lehnt die Widerspruchsregelung ab. Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“: „Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu.“

Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr warnte vor einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. „Anstatt auf staatliche Bevormundung zu setzen, sollten wir die selbstbestimmte Entscheidung über eine Spende verbindlicher gestalten. Darüber, wie eine verbindliche oder verpflichtende Entscheidungslösung ausgestaltet werden kann, werden wir im Deutschen Bundestag diskutieren.“

In den USA etwa müssen sich Bürger bei der Abholung eines neuen Führerscheins entscheiden, ob sie der Organspende zustimmen oder nicht. Eine vergleichbare Lösung bei der Beantragung eines neuen Personalausweises gilt als Alternative zur Widerspruchslösung. (mit dpa/epd)

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