zum Hauptinhalt
FILE PHOTO: FILE PHOTO: Drivers push auto rickshaws in a line to buy petrol from a fuel station amid Sri Lanka's economic crisis, in Colombo, Sri Lanka, July 29, 2022. REUTERS/Kim Kyung-Hoon/File Photo/File Photo

© REUTERS/KIM KYUNG-HOON

75 Jahre unabhängiges Sri Lanka: Warum der Pleitestaat nicht aus der Krise kommt

Das südostasiatische Sri Lanka wird von schweren Protesten erschüttert, der Präsident regiert ohne eigene Mehrheit. Schuld an der Misere ist auch eine prominente Familie.

Pleite und ohne funktionierende Regierung – der Zustand des südostasiatischen Inselstaats Sri Lanka könnte schlechter kaum sein. An diesem Samstag begeht das Land das 75. Jubiläum seiner Unabhängigkeit.

Doch richtige Feierlaune dürfte kaum aufkommen. Sri Lanka befindet sich in einer beispiellosen Staatskrise. Es hat keine nennenswerten Devisenreserven mehr, während der Dollarkurs steigt und die Preise für Lebensmittel anziehen. Die Regierung ist zwar legal im Amt, aber ohne Legitimität. Im Parlament sitzt nur noch ein einziges Mitglied der Präsidentenpartei, das Amtsinhaber Ranil Wickremesinghe unterstützt.

Der sieht sich angesichts der akuten Krise zu unpopulären Maßnahmen gezwungen: Nachdem Wickremesinghe im vergangenen Sommer den Staatsbankrott erklärt hat, ist ein mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbartes Rettungspaket noch nicht umgesetzt.

China, dem das Land etwa 20 Prozent seiner Auslandskredite schuldet, scheint nicht an einem Schuldenerlass interessiert zu sein und hat stattdessen ein zweijähriges Moratorium angeboten.

Ranil Wickremesinghe ist seit Juli 2022 Präsident von Sri Lanka.

© dpa/Eranga Jayawardena

Sri Lankas Regierung hat indes mit der Umsetzung von Maßnahmen im Einklang mit den IWF-Bedingungen begonnen, was in der Öffentlichkeit auf Widerstand stößt. So drohen die beschlossenen Steuererhöhungen vor allem die Mittelschicht zu treffen. 

Geplant sind auch der Abbau von 1,5 Millionen Stellen im öffentlichen Dienst, Partnerschaften zwischen privaten und staatlichen Unternehmen, die täglich Millionen von Dollar verlieren, und die Verkleinerung des Militärs.

Eine Kultur des Anspruchsdenkens

Die Ursache für die Krise ist nicht neu: Seit der Unabhängigkeit fördern die Regierungen Sri Lankas in der Bevölkerung eine Kultur des Anspruchsdenkens. Bei jeder Wahl wurden bislang Zehntausende Stellen im öffentlichen Dienst versprochen und die Gehälter um ein Vielfaches erhöht.

Die 1,5 Millionen Menschen, die beim Staat beschäftigt sind, werden von der Geburt bis zum Grab betreut – mit kostenloser Bildung, Gesundheitsversorgung und einem Arbeitsplatz auf Lebenszeit.

Menschenrechte galten bestenfalls als Luxus und schlimmstenfalls als subversiv.

Paikiasothy Saravanamuttu, Politikanalyst

Doch die Krise hat noch einen weiteren Grund: die Rajapakse-Dynastie, die seit Langem den Staat für sich vereinnahmt. Verantwortlich für die Misere im Land ist vor allem der ehemalige Präsident Gotabaya Rajapaksa, der im Juli 2022 zurücktrat. Er ist nach seinem älteren Bruder Mahinda der zweite Vertreter der Rajapaksa-Familie, der das Präsidentenamt innehatte.

Seine Bedeutung zieht die Rajapaksa-Dynastie aus dem Sieg über die abtrünnigen Rebellen der „Tamilischen Befreiungstiger“ im Jahr 2009.

Sri Lankas Ex-Präsident Gotabaya Rajapaksa (r.) mit seinem Bruder Mahinda Rajapaksa, ebenfalls ehemaliger Staatspräsident.

© AFP/Ishara S. Kodikara

Der ältere Bruder Mahinda hat sich als Verfechter der Interessen der singhalesischen Mehrheitsgemeinschaft gegen die tamilischen und muslimischen Gemeinschaften profiliert – er ging dabei mit äußerster Härte vor und etablierte in der Politik eine Kultur der Straflosigkeit. Stets unterstützt von China, das die Regierung Sri Lankas international gegen den Vorwurf von Kriegsverbrechen verteidigt.

Transparenz und Rechenschaftspflicht gab es bei dieser Art der Regierungsführung nicht, Menschenrechte galten bestenfalls als Luxus und schlimmstenfalls als subversiv. Was völlig fehlte: ein Schamgefühl bei den Verantwortlichen.

Mahinda Rajapaksa, der ältere der beiden Präsidentenbrüder, versuchte 2015 nach zwei Amtszeiten eine dritte zu gewinnen, scheiterte jedoch. Die Opposition vereinte sich hinter der Forderung, die Regierenden zur Rechenschaft zu ziehen. Außerdem wollten sie das exekutive Präsidentenamt abschaffen.

Warnungen vor der Schuldenkrise ignoriert

Doch in der Regierung zerfiel das Bündnis. Im Jahr 2019 gewann dann Gotabaya Rajapaksa, der jüngere der beiden Brüder, mit 6,9 Millionen Stimmen die Präsidentschaft, gefolgt von einer Zweidrittelmehrheit bei den Parlamentswahlen im Jahr 2020.

Im Amt weigert er sich, auf die Warnungen vor der drohenden Schuldenkrise zu hören. Statt zum IWF zu gehen, griff er immer tiefer in die Devisenreserven, um die internationalen Gläubiger zu bezahlen. Als Folge fehlen Sri Lanka heute Devisen für lebenswichtige Importe. Zugleich erodierten unter Gotabaya Rajapaksa die Steuereinnahmen, wodurch dem Fiskus Millionen entzogen wurden.

In Sri Lanka reißen die Demonstrationen gegen die Regierung nicht ab. Hier fordern Protestierende die Freilassung politischer Häftlinge.

© AFP/STR

Zu Massenprotesten führte schließlich eine Entscheidung, die Rajapaksa von einem Tag auf den anderen traf: In der Landwirtschaft sollte chemischer Dünger durch organischen ersetzt werden. Der Zorn der Öffentlichkeit entlud sich auf der Straße.

Die Forderung der Protestierenden: Gotabaya Rajapaksa und seine Brüder sollten die Regierung verlassen. Das geschah. Die Bürger verlangten auch, dass die Rajapaksa-Brüder das Geld, das sie angeblich gestohlen hatten, zurückgeben. Das ist bis heute nicht passiert.

Der Präsident hält seinen Vorgängern den Rücken frei

Der heutige Präsident Ranil Wickremesinghe wird beschuldigt, der Rajapaksa-Familie den Rücken freizuhalten, da seine Regierung auf deren Anhänger angewiesen ist.

Wickremesinghe war bereits sechs Mal Premierminister. Ihm wird zwar die Erfahrung und das Fachwissen zugeschrieben, um die Wirtschaft zu sanieren. Bedenken ergeben sich jedoch aus seiner plumpen Taktik gegenüber sozialen Protesten, einschließlich der Anwendung drakonischer Gesetze.

Ob Sri Lanka die akute Krise überwinden kann, hängt von der Regierung ab – ob sie es schafft, die überfälligen Kommunalwahlen abzuhalten und die Vereinbarungen mit dem IWF umzusetzen.

Auch ist die Frage, ob die Gläubiger des überschuldeten Landes zu Zugeständnissen bereit sind. Vor allem aber braucht Sri Lanka 75 Jahre nach seiner Unabhängigkeit einen neuen Gesellschaftsvertrag. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen alle Beteiligten harte Opfer bringen und das Land muss sich dabei einig sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false