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Berlin: Ackern für die grüne Stadt

Der Prinzessinnengarten am Moritzplatz schlägt eine Schneise der Natur in das steinerne Berlin Hier können die Kreuzberger selbst ernten – und damit zugleich was für ein verbessertes Stadtklima tun.

Mangold und Calendula treiben kräftige Blätter, der Kohlrabi ist schon erntereif, die Kartoffeln streben aus ihren Pflanzsäcken der Sonne entgegen. Das grüne Prinzessinnengärtenreich ist ein verzaubertes Großstadtgrundstück am Moritzplatz. Vor vielen Jahrzehnten türmte sich hier auf mehreren Etagen die Konsumwelt der Wertheim-Familie, ein Prunkstück der Warenhausarchitektur, im Krieg ausgebrannt und später abgerissen.

„Wir sind der erste anerkannte Primärproduzent Kreuzbergs“, sagt Prinzessinnengärtner Robert Shaw; was bürokratisch klingt, lässt trotzdem seinen Stolz spüren. 2009 begann Shaw zusammen mit Marco Clausen, die Brache am Moritzplatz von Müll zu befreien und in einen öffentlichen Gemüsegarten mit Laube, Café und Fachbibliothek umzuwandeln. Hunderte Anwohner halfen mit, das Baugrundstück zu kultivieren. Ein Verein mit gemeinnütziger GmbH wurde gegründet. Der Name „Nomadisch Grün“ verweist auf die temporäre Nutzung des Grundstücks, das vom Liegenschaftsfonds des Senats verwaltet wird. Verschiedene Konzepte von Investoren waren in der Vergangenheit gescheitert, nun wartet der Fonds mit einer neuen Ausschreibung des Grundstücks erstmals ab.

Der bündnisgrüne Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, hegt große Sympathien für die Gärtner. „Einfach eine schnöde Bebauung zu machen, verbietet sich.“ Im Idealfall würde ein Bauherr die Gärten in sein Konzept integrieren, als Minimallösung müsste der Liegenschaftsfonds eine Ersatzfläche für die Gärtner anbieten, sagt Schulz. Einen Umzug hatte Nomadisch-Grün als Zwischennutzer zwar grundsätzlich eingeplant, aber die Gärten haben am Moritzplatz inzwischen Wurzeln geschlagen.

Mitten im spekulativ angeheizten Berliner Immobilienboom eine Baufläche für städtische Landwirtschaft offenzuhalten, wäre ein Fingerzeig in die Zukunft, finden die Macher. Ihre Gärten werden international als Vorzeigeprojekt gelobt, haben ihren Siegeszug durch die Medien und interessierten Fachgremien längst hinter sich. Bis nach Taiwan, New York und Neu Delhi hat sich die Sache herumgesprochen. Ähnliche Projekte gibt es inzwischen in Hamburg, Köln und München. Jetzt kommt es darauf an, ob die Lokalpolitik sich zu dem knapp 6000 Quadratmeter großen Gartenbetrieb bekennt. Der Vertrag mit dem Land läuft noch bis Oktober 2013.

Clausen ist studierter Historiker, Shaw hat Dokumentarfilme gedreht und Theater gemacht, Elizabeth Calderon-Lüning, die später dazustieß, ist Politologin. Ihnen geht es nicht primär um Gedeih oder Verderb von Pflanzen. Den Garten verstehen sie als sozialen, kommunikativen Ort zum gemeinsamen Lernen und Austauschen von Erfahrungen, in einer Umgebung, in der viele isoliert leben und sich angewöhnt haben, die Verantwortung für ihre Umgebung dem Staat zu überlassen. Und als eine zeitgemäße Neuauflage der etwas angestaubten, in die Jahre gekommenen Umweltbildung. Ohne Bildungsbarrieren oder Gruppenzwänge.

Rund 1500 Menschen beteiligten sich an den regelmäßigen „Gartenarbeitstagen“ oder Seminarangeboten, so ist ein Netzwerk von Helfern und Experten entstanden, dessen Fäden am Moritzplatz zusammenlaufen. Als Gegenleistung dürfen sich die Helfer zu vergünstigten Preisen mit frischem Gemüse eindecken. Im Prinzessinnengarten muss jeder selber Hand anlegen, wenn er etwas haben möchte: Selbsternte, wie auf den Brandenburger Blaubeerplantagen. Das schärft das Bewusstsein für vergessene Tatsachen, dass jedes Gemüse eine Saison hat. Zu den gemeinsamen Arbeitstagen kann jeder kommen, der Lust hat.

In den Genuss solcher Freiwilligenaktionen sind inzwischen 16 Schulen, Kitas und Universitäten gekommen. Dort wurden triste Höfe und vernachlässigte Grünflächen zu Gemüsegärten entwickelt. Für Clausen und Shaw – und ihren vielen Verbündeten – ist jeder Quadratmeter Stadtraum eine wertvolle Ressource, die es ökologisch korrekt, also ohne Hilfsmittel der Chemieindustrie, zu nutzen gilt. Berlin hat eine wachsende Artenvielfalt – im großflächig intensivlandwirtschaftlich genutzten Brandenburg ist die Biodiversität dagegen auf dem Rückzug. Mehr Nachhaltigkeit, mehr Bürgerbeteiligung, mehr Klimaschutz – solchen Zielen hat sich der Senat verschrieben. Da komme er an den Gärten am Moritzplatz nicht mehr vorbei. Das ist zumindest das Kalkül und die Hoffnung der Prinzessinnengärtner.

Shaw und Clausen präsentieren ihre gemeinnützige GmbH inzwischen auch als Wirtschaftsfaktor. Zwölf Arbeitsplätze seien entstanden, 40 000 Besucher würden übers Jahr gezählt. Das Land als Grundstückseigentümer erhalte eine Pachtzahlung, außerdem übernehme die GmbH die Betriebskosten des Grundstücks wie Grundsteuer und Straßenreinigungsgebühren. Die Einnahmen aus dem Café subventionieren zugleich den Gemüseanbau und die Bibliothek.

Für den Tagesspiegel-Aktionstag haben sich die Prinzessinnengärtner ein weiteres Gartenprojekt ausgesucht und bereiten es bereits vor. Die Berufsfachschule für Erzieher in der Alten Jakobstraße soll einen Schulgarten bekommen, hat sich das Team vorgenommen. Das werde, so sind Clausen und Shaw überzeugt, die Ausbildung der angehenden ErzieherInnen um eine natürliche Note bereichern. Am 15. September läuft gleichzeitig ein Gartenarbeitstag am Moritzplatz: Wer Lust hat, ist herzlich willkommen. kontakt@prinzessinnengarten.net

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