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Mitarbeiter verpacken in Erfurt (Thüringen) im Zalando-Logistikzentrum die Ware.

© picture alliance / dpa / Martin Schutt

Berliner Gericht verurteilt Schleuserbande: Millionengewinn mit Zwangsarbeit – jetzt ist das Appartement in Miami futsch

Eine Bande von Russen und Ukrainern schleuste in großem Stil Menschen aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland. Ein perfides System von Leih- und Zwangsarbeit mit Millionengewinnen. Nun fielen Urteile.

Von 2018 bis zu einer Großrazzia von Polizei und Zoll im Dezember 2021 hat eine Bande von Russen und Ukrainern mehr als 1000 Menschen meist aus Moldau und der Ukraine, aber auch aus Kasachstan nach Deutschland eingeschleust, mit gefälschten EU-Pässen versehen und in Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet. Nun wurde mehr als fünf Monate lang vor dem Landgericht Berlin gegen die Bande verhandelt. Am Freitag fiel das Urteil gegen sechs Bandenmitglieder im Alter von 44 bis 57 Jahren. Drei weitere waren bereits im Mai verurteilt worden.

Der Russe Stanislav Z., der Kopf der Bande, wurde zu siebeneinhalb Jahre Haft verurteilt. Der 50-Jährige soll die Bande von Bremen aus gesteuert haben, er soll dafür ein „konspiratives Firmengeflecht“ mit legalen Unternehmen und Scheinfirmen erdacht haben. Nach Ansicht des Gerichts war er der Hauptverantwortliche für das illegale Leiharbeitersystem, mit dem die Bande Gewinne in Millionenhöhe gemacht hat. Das Gericht ordnete für den Banden-Boss die Einziehung von sieben Millionen Euro an, die er aus illegalen Geschäften erlangt habe.

Es traf auch ein US-amerikanisches Paar mit russischen Wurzeln, das luxuriös in Berlin lebte. Statthalter des Bandenchefs für Berlin und Brandenburg war der Ukrainer Alexandre Z., seine Gattin Kristina war wegen ihrer guten Deutschkenntnisse Personalchefin, zuständig für Leiharbeitsverträge mit den großen Firmen. Beide kauften sich mit Beutegeld ein Appartement in Miami im US-Staat Florida und leisteten sich teure Autos.

In solchen Unterkünften wurden die Mitarbeiter untergebracht, sagen die Ermittler

© privat

Als die Polizei im Dezember 2021 in Schmargendorf bei Alexandre und Kristina Z. einrückte, beschlagnahmte sie einen Jeep der G-Klasse und ein Mercedes-Coupé. Der Gesamtwert: etwa 300.000 Euro. Das Paar gehörte zu einer neunköpfigen Bande, die im großen Stil Menschen ausgebeutet haben soll.

Alexandre Z. wurde zu einer Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Das Gericht ordnete bei dem 57-Jährigen die Einziehung von 3,3 Millionen Euro und der Wohnung in Miami an. Die 44-jährige Gattin wurde zu drei Jahren und elf Monaten Haft verurteilt, eine halbe Million Euro wird laut Urteil von ihr eingezogen.

Ein weiterer 48-Jähriger bekam ein Hafturteil von viereinhalb Jahren. Im Fall eines 63-jährigen Steuerberaters entschied das Gericht auf eine zweijährige Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Das Urteil und die Strafhöhe entsprechen im Wesentlichen den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger hatten geringere Strafen gefordert.

Die mehrjährigen Haftstrafen ergingen etwa wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern. Zum Teil ging es um gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung, Beschäftigung von Ausländern ohne Aufenthaltstitel zu ungünstigen Arbeitsbedingungen und Beihilfe dazu. Bei Bandenboss Stanislav Z. kamen das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 128 Fällen hinzu. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Revision ist möglich.

Wer in der Tatzeit in Berlin und Brandenburg bei Rewe und Penny eingekauft oder bei Zalando bestellt hat, dessen Einkäufe könnten in den Logistikzentren der Unternehmen durch die Hände der Opfer der Bande gegangen sein. Es habe sich um ein „kriminelles System“ gehandelt, sagte der Vorsitzende Richter. Die Bande hat nach Ansicht des Gerichts systematisch visumspflichtige Drittstaaten-Angehörige aus Regionen angeworben, für die gilt: geringes Pro-Kopf-Einkommen, mangelhafte Bildungschancen und hohe Arbeitslosigkeit.

Die Bande stattete die Menschen mit gefälschten EU-Papieren aus. Als angebliche EU-Bürger wurden sie dann von Briefkastenfirmen in Estland und Litauen zum Schein eingestellt. Diese Firmen liehen die Menschen an Logistikunternehmen großer Lebensmittel- und Onlinehändler in Deutschland aus und schleusten sie ein. Durch die geringeren Sozialversicherungsbeiträge in den baltischen Staaten habe die Bande Umsatz und Gewinne in Deutschland maximieren können, befand das Gericht.

Dabei sei die Illegalität der Arbeiter ausgenutzt worden, urteilten die Richter. So habe es keine Urlaubsansprüche und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, aber Abzüge für Vermittlung, Transport oder Unterkunft sowie strikte Strafzahlungen gegeben. Dadurch seien Leiharbeiter „diszipliniert“ worden. Sie hätten sich auf die Arbeitsbedingungen wegen ihrer schlechten Lebensbedingungen in ihrer Heimat eingelassen. Ferner gab es Vorarbeiter, die ein regelrechtes Willkürsystem aufgebaut haben, Ermittler sprachen von einem Abhängigkeitsverhältnis.

Arbeiter mit Willkürsystem unter Kontrolle gehalten

Von Steuer- und Sozialabgaben in Deutschland waren sie aber scheinbar befreit. Berechnet wurde von den Handelsunternehmen teils ein Stundenlohn von rund 18 Euro. Doch vom Mindestlohn von 9,50 Euro pro Stunde bekamen die Arbeiter im Schnitt nur 80 Prozent. Den Rest behielt die Bande für sich.

Die Arbeiter mussten noch mehr an die Band abgeben: Bis zu 900 Euro kostete die Arbeiter der Transport nach Deutschland, die heruntergekommenen Unterkünfte mit anderen ohne Privatsphäre zusätzlich bis zu 500 Euro im Monat. Hinzu kamen Kosten für Transport zur Arbeit und „Strafen für abweichendes Verhalten“.

Allein im Tatzeitraum sei ein Umsatz von 30 Millionen Euro erreicht worden, mehr als 1000 Menschen seien in ganz Deutschland beschäftigt worden, hieß es weiter im Urteil. Die Bande habe ihre Maschenschaften über ein Geflecht aus verschiedenen Überlassungs- und Verwaltungsunternehmen im In- und Ausland verschleiern können. Dem deutschen Steuerzahler sei durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen in Deutschland ein Schaden von sechs Millionen Euro entstanden.

Der Verein Arbeit und Leben, der im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums Opfer berät, spricht klar von Zwangsarbeit, die Dunkelziffer sei riesengroß. Es gebe auch in Deutschland „höchst ausbeuterische und Zwangsstrukturen bei Arbeitnehmern, die aus Nicht-EU-Staaten hierher gebracht werden“. Betroffen seien Handel, Fleischindustrie, Paketzusteller, die Landwirtschaft und andere arbeitsintensive Branchen. Die Arbeiter seien den Kriminellen regelrecht ausgeliefert, ihnen würden die Ausweise abgenommen.

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