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Der neue Musikchef im Partykeller: James Gaffigan und das Orchester der Komischen Oper spielen Bruckner und Bowie im Vollgutlager.

© Jaro Suffner

Hüftschwung und Reifenquietschen: James Gaffigan dirigiert David Bowies „Heroes“

Zum Sinfoniekonzert in den Partykeller: Beim Festival „Schall und Rausch“ spielt das Orchester der Komischen Oper Berlin Bruckner und Bowie im Vollgutlager.

Wenn die Hochkultur ihre angestammten Orte verlassen will, muss sie eine Menge Aufwand treiben. Damit kann die Komische Oper die kommenden Jahre reichlich Erfahrung sammeln, denn während ihres sanierungsbedingten Exils im Schiller Theater will sich die bunte Kompagnie keinesfalls in ein weiteres Charlottenburger Opernhaus verwandeln.

Mit dem Festival „Schall und Rausch“ ist man nun in Neukölln rund um die ehemalige Kindl-Brauerei zu Gast. Selbst das Orchester begibt sich in spätromantischer Großbesetzung mit seinem neuen Chef James Gaffigan auf den Weg ins Vollgutlager.

Diese Eventlocation liegt neben dem SchwuZ, einer Club-Legende des queeren Berlins. Das bleibt das einzig Gute, was man über diesen Ort sagen kann. Der Betonsaal mit dem Charme eines Parkhauses vermag nur einer überschaubaren Musikkomplexität Klangraum zu bieten.

Karts kreisen über den Köpfen

Dafür weiß er mit Verfremdungseffekten zu überraschen. Sind das Rufe von Nachtvögeln, die unsichtbar ihre Bahn unter der Decke ziehen? Oder handelt es sich um eine Klanginstallation? Nichts davon, auf der Kart-Bahn direkt über dem Vollgutlager wird ordentlich Gummi gegeben.

Bruckner unter fortgesetztem Reifenquietschen hätte in der Philharmonie zum sicheren Konzertabbruch geführt. Doch James Gaffigan und sein Orchester zeigen sich auf eine ansteckende Weise darauf konzentriert, das Beste aus ihrem Abend in Neukölln zu machen. Und korrigieren dafür kurzfristig die Programmfolge: Zuerst erklingt Anton Bruckners Sechste, danach David Bowies Album „Heroes“ in einer neuen Orchesterfassung. Eine weise Entscheidung, wie sich zeigen wird.

Wie innig die Musikerinnen und Musiker mit ihrem neuen Chef harmonieren, ist in jedem Takt zu spüren, das gemeinsame Pulsieren bindet die Klangblöcke der Symphonie zusammen, die Musik entfaltet sich so unangestrengt, wie es der Raum zulässt.

Eine Klangwand baut sich unter steten Schlägen der großen Trommel bei „Beauty and the Beast“ auf, dem ersten Titel von Bowies 1977 in Berlin aufgenommenen Album „Heroes“, die Ohren reagieren wie betäubt. Gaffigan nutzt den Partykeller-Ausflug, um seinen Musikerinnen und Musikern volles Vertrauen zu schenken und sie loszulassen. Aus dem von Ian Anderson (nicht der von „Jethro Tull“) für Orchester arrangierten Tumult erhebt sich mit zerbrechlicher Streicherstimme „Heroes“.

Dann walzt die Musik weiter, der Dirigent schwingt die Hüfte und bringt zum Zimbelschlag von „The Secret Life of Arabia“ das Publikum zum beseelten Mitklatschen. Später sieht man Programmhefte in syrischen Grillrestaurants auf der Sonnenallee.

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