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Es ist das größte im Südwesten. Im Gewerbegebiet Goerzallee haben auf 85 Hektar 284 Unternehmen ihren Sitz.

© Boris Buchholz

Politik will Steglitzer Gewerbegebiet stärken: Die Goerzallee gegen den Wohnungsbau zu verteidigen, ist Chefinnen-Sache

Das größte Industrie- und Gewerbegebiet im Südwesten ist einhundert Jahre alt: Jetzt soll eine Potenzialanalyse es fit für die Zukunft machen.

Der Berliner Senat werde das Gewerbegebiet um die Goerzallee „gegen den Wohnungsbau verteidigen“, rief am Mittwoch Wirtschaftsstaatsekretär Henner Bunde (CDU) in den sehr gut gefüllten Saal im Goerzwerk, einem Gewerbehof, der erfolgreich neue Mieter in den Südwesten zieht. Die Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zehlendorf, Cerstin Richter-Kotowski (CDU), stimmte ihrem Parteikollegen zu: Das 85 Hektar große Gelände müsse „ganz klar als Arbeitsgebiet erhalten“ werden, die Entwicklung des Gebietes sei „Chefinnen-Sache“. Für viele der Zuhörenden aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die auf Einladung der Industrie- und Handelskammer an den Teltowkanal gekommen waren, war das die wichtigste Nachricht des Abends. Die Goerzallee verläuft an der Berliner Stadtgrenze parallel zum Teltowkanal, auf dem anderen Ufer liegt Teltow.

Das Gewerbe- und Industriegebiet rund um Goerzallee, Beeskowdamm und Am Stichkanal ist über einhundert Jahre alt: Damals baute der Optiker Carl Paul Goerz eine neue Fabrik am Kanal, die Räume seines Unternehmens in der Innenstadt waren zu klein geworden. 1939 siedelte sich Telefunken an der Goerzallee an, das Werk wurde später zur Kaserne des US-Militärs, jetzt werden dort unter anderem Lofts vermietet und Schwarzlichtminigolf gespielt. Viele Unternehmen wie die Spinnstofffabrik Zehlendorf, die Fertigungsstätten von Krone und Rexam, Schempp & Decker, ASSA ABLOY, TDK und sehr viele kleinere Firmen kamen dazu. Doch seit dreißig Jahren habe sich das Gebiet „wenig weiter entwickelt“, schreibt die Industrie- und Handelskammer, „weder optisch noch strukturell“. Also lud die IHK und das Regionalmanagement SÜDWEST zur Diskussion.

Stellt Wegweiser auf!

Reinhard Baumgarten vom Regionalmanagement lieferte harte Fakten: Auf achtzig Grundstücken würden 284 Unternehmen ihren Sitz haben. Nur etwa ein Drittel davon seien Industriebetriebe oder industrienah, wenn man die diversen KFZ-Dienstleistungen und Handwerker mit einschließe. Baumgarten regte an, das Gewerbegebiet auch planerisch für Büronutzungen zu öffnen und es unter dem Label „Goerzallee“ berlinweit aktiv zu vermarkten. Zur Zeit sei das Gebiet sehr kleinteilig organisiert, in manchen Bereichen sei eine sehr bunte Firmen-Mischung in einem sehr unübersichtlichen Ambiente angesiedelt. Daher empfahl der Regionalmanager: Stellt Wegweiser auf!

Doch ist die Frage, wo wer zu finden sei, nicht der alleinige Schlüssel zur neuen Gewerbeblüte am Teltowkanal. Einige der alten Big Player wie die Firmen Rexam und Krone haben ihre Standorte aufgegeben, die Gebäude stehen größtenteils leer. Ob seiner Größe, seines Zuschnitts, seiner Sanierungsbedürftigkeit sei das Krone-Gebäude nur schwer vermietbar, berichtete Birgit Möhring, Geschäftsführerin des landeseigenen Immobilienvermarkters BIM. Zwar sei für den Komplex mit TDK ein Ankermieter gefunden worden, doch müsse dringend in die Gebäude und die verkehrliche Logistik investiert werden.

Bei der Veranstaltung der IHK diskutierten Staatssekretär Henner Bunde, Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski und Birgit Möhring (BIM) mit Unternehmensvertretern.
Bei der Veranstaltung der IHK diskutierten Staatssekretär Henner Bunde (mit Mikrofon), Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski und BIM-Geschäftsführerin Birgit Möhring (ganz links) mit Unternehmensvertretern.

© Boris Buchholz

Die BIM-Geschäftsführerin verkündete, dass das Krone-Gelände vom Land nicht verkauft werden würde, sondern für „Betriebsansiedlungen, die für Berlin wichtig sind“, vorgehalten werde. Für die Sanierung von Grundstück und Gebäude sei Geld vom Senat zur Verfügung gestellt worden: „Das wird zwar nicht reichen“, aber immerhin. Interessenten für sanierte und nutzbare Flächen gebe es viele, sagte Möhring, „wir haben Nachfragen“. Sie wies darauf hin, dass die BIM zwar berlinweit etwa 4700 Grundstücke im Portfolio hätte, davon seien aber nur weit unter zehn Prozent Gewerbeflächen.

Flächen für Labore würden gesucht

Stefan Seidl, Geschäftsführer der Firma „Auto Tissue Berlin“, sie stellt unter anderem Herzklappen her, weiß, was Berlin dringend bräuchte: Flächen für Labore und Reinräume, die von medizintechnischen Unternehmen händeringend gesucht würden. Seit fünf Jahren ist er an der Goerzallee tätig, schon im ersten Jahr wollte er mit seinem Unternehmen umziehen: Er war „sehr enttäuscht von Image und Atmosphäre“, erzählte er. Doch er fand keine passenden Räume. Also entschloss er sich, mit der Firma im Südwesten zu bleiben und ihren Standort auszubauen. Er wünsche sich eine engere Verknüpfung mit der Freien Universität und dem entstehenden Gründerzentrum FUBIC in Dahlem.

Eine bessere Anbindung wünschten sich auch andere: Thomas Herrmann, Vorsitzender des Wirtschafts-Vereins Berlin.Südwest, sprach sich dafür aus, dass der „X-Bus in den Beeskowdamm abbiegen“ möge. Denn das bisherige ÖPNV-Angebot lasse das Gewerbegebiet, in dem etwa 3.500 Menschen arbeiten, links liegen - allein der Bus 285 erschließt das Gebiet. Generell sei, so Reinhard Crome von der Bürgerinitiative Zehlendorf-Mitte, die „Verkehrssituation in alle Richtungen sehr angespannt“. Eigentlich habe sich verkehrlich seit dem Mauerfall nichts getan: Weil die nahe Knesebeckbrücke über den Teltowkanal für LKWs gesperrt sei, müssten alle Zubringer- und Lieferverkehre über den Teltower Damm fahren – mitten ins Herz von Zehlendorf. Dieses Problem müssten Berlin und Brandenburg angehen, empfahl Crome. Wirtschaftsvertreter Thomas Herrmann pflichtete ihm bei.

Bei der Vernetzung der Akteure ist ein Anfang gemacht

Ein anderes Problem sind die heterogenen Interessen der Grundstücksbesitzer: Die landeseigene BIM und die bundeseigene BIMA besitzen große Flächen, der Bezirk hat ein Areal an der alten Spinnstofffabrik, drei Brandenburger Landkreisen gehört das gesamte Gelände zwischen Stich- und Teltowkanal. Hinzu kommen die diversen privaten Besitzer – ein abgestimmtes Vorgehen bei der Ansiedlung neuer Betriebe und der Entwicklung einer gemeinsamen Struktur ist schwierig. Immerhin hat sich im Februar der Unternehmer-Verein „Goerzallee“ gegründet. Ein Vernetzungsanfang ist gemacht.

Die Verkehrsanbindung ist für die Betriebe ein zentrales Problem: Nur ein Bus erschließt das Gebiet, die nahe Knesebeckbrücke über den Teltowkanal ist für Lastwagen gesperrt.
Die Verkehrsanbindung ist für die Betriebe ein zentrales Problem: Nur ein Bus erschließt das Gebiet, die nahe Knesebeckbrücke über den Teltowkanal ist für Lastwagen gesperrt.

© Boris Buchholz

Was alles möglich sein kann an der Goerzallee, das hatten sich im Rathaus auch die Bezirkspolitiker gefragt. Im letzten Stadtplanungsausschuss beschlossen die Parteienvertreter mit großer Mehrheit, dass eine Potenzialanalyse für das Gewerbegebiet durchgeführt werden müsse. Es solle ein „Entwicklungskonzept ‚Goerzallee 4.0’“ geschaffen werden, sagte der Urheber des Antrags, Michael Gaedicke, wirtschaftspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bezirk. Das war am Dienstag.

Die Potenzialanalyse kommt

Gleich am Mittwochabend wurden auf der IHK-Veranstaltung Nägel mit Köpfen gemacht: Staatssekretär Bunde sagte für seine Verwaltung zu, die Potenzialanalyse zu unterstützen und zu finanzieren. Bei Brezel und Bier freute sich nach der Diskussion manch politisch Verantwortlicher über den unterstützenden Wind vom Senat.

Erst an den Stehtischen wurde übrigens darüber gesprochen, dass es doch nicht die Lösung sein könne, den Verkehr in und aus dem Gewerbegebiet allein der Straße zu überlassen. In den Redebeiträgen auf dem Podium wurde der Teltowkanal eher als hübsche Kulisse als als potenzieller Verkehrsweg gesehen. Und dass Goerz als einer der Begründer des Gewerbegebiets gleich die Mehrheit an der Zehlendorf Eisenbahn erwarb, um mit ihr Material, Güter und Mitarbeiter aus Lichterfelde und Zehlendorf zu seinem Betrieb zu transportieren, wurde ebenso nicht erwähnt. Die Gleise liegen noch, die Goerzbahn ist in Betrieb. Das Unternehmen ASSA ABLOY, es ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer für „Schließlösungen und Sicherheitssysteme“, werde zum Beispiel regelmäßig über die Schiene versorgt, hieß es zwischen Wein und Quiche.

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