zum Hauptinhalt
In Sorge vereint. Für viele Türken oder türkischstämmige Berliner gibt es derzeit nur ein Thema. Auch Musab Gün diskutiert bereits seit Tagen mit Freunden und Bekannten über die Politik Erdogans und die Entwicklung in der Türkei.

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Türken in Berlin und die Gezi-Park-Proteste: Blick nach Istanbul

Die türkische Gemeinde Berlins verfolgt die Ereignisse in der Türkei gebannt. Viele haben Angst, dass die Gewalt weiter eskaliert. In den Cafés und Teestuben laufen die Fernseher ununterbrochen - und auch in Deutschland wird gegen das Vorgehen Erdogans demonstriert.

Von

Türkische und türkischstämmige Berliner sind zunehmend besorgt über die Ereignisse in ihrer Heimat. „Wir haben Angst um unsere Verwandten in der Türkei und sind überrascht über die Zuspitzung der Ereignisse“, sagt der Vorsitzende des Vereins Aufbruch Neukölln, Kazim Erdogan, dessen in der Türkei häufigen Nachnamen auch der Ministerpräsident trägt. Dessen Verhalten aber kann Erdogan nicht verstehen: „Er denkt wahrscheinlich immer noch, dass es sich bei den Demonstranten nur um eine kleine Minderheit handelt, aber das ist eine Fehleinschätzung.“

Kazim Erdogan hat vier Geschwister in Istanbul. Er sorgt sich vor allem um seinen Neffen, der sich an den Protesten gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs des islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Erdogan beteiligt. „Jetzt wurde ein 22-Jähriger getötet“, sagt Erdogan: „Ich habe schreckliche Angst, dass noch mehr Blut vergossen wird.“

Diese Sorge zumindest eint die meisten der rund 180 000 türkischstämmigen Berliner, von denen etwa 80 000 inzwischen Deutsche sind. Zur Regierung in Ankara haben sie naturgemäß unterschiedliche Meinungen. In vielen Teestuben und Cafes wird derzeit diskutiert, die Fernseher laufen oft 24 Stunden am Tag.

„Was da geschieht, ist eine Katastrophe“, sagt die 25-jährige Sabriye Duygu, die in ihrem Friseurladen in der Kottbusser Straße gerade einer Kundin die Augenbrauen zupft. Sie ist klar auf der Seite der Demonstranten: „Erdogan macht all die Freiheiten kaputt, die Atatürk der Türkei gebracht hat.“ Im Männercafé „Beyi Erbeyi“ nebenan sitzt Necati Kurt, 54: „Beide Seiten haben übertrieben, Polizisten wie Demonstranten“, sagt er, nur deshalb habe die Situation so eskalieren können. „Ich bin aber gewiss kein Erdogan-Fan“, fügt er hinzu. „Er wird durch sein autoritäres Verhalten immer mehr zum Diktator.“ Seine Verwandten hätten deswegen in Istanbul auch demonstriert.

Nihat Ketenci, 47, und Musab Gün, 32, diskutieren die Vorgänge in Istanbul seit Tagen. Sie sitzen im Café des Fußballvereins „Türkiyemspor“ am Kottbusser Tore. Beide haben nur wenig Verständnis für die Demonstranten. „Erdogan hat das Land reich gemacht“, sagt Gün, Ketenci fügt hinzu: „Die Leute, die gegen ihn demonstrieren, haben nichts verstanden“.

Auf das Geschäft der Reisebüros wirkt sich die Lage unterschiedlich aus. Bei Yusuf Kücükömeroglu in Kreuzberg haben etwa 18 Reisende Tickets gekauft. Die Gruppe wollte wegen der Demos in die Türkei fliegen. Taner Atakan, Besitzer von Süd Travel, sorgt sich dagegen: Ein Anbieter habe Reisen in die Türkei abgesagt. „Die Türkei ist auf dem Weg zu einem osmanisch-sunnitischen System.“, sagt der ehemalige Lehrer. Mit dieser Aussage riskiere er aber, seine religiös-konservativen Kunden zu verprellen.

Vor allem linke Gruppen sind es, die in Berlin weitere Demonstrationen gegen Erdogans Vorgehen vorbereiten. Auf einer Kundgebung am Montag in Kreuzberg habe es viele rote Fahnen gegeben, während im Gegensatz zu Istanbul oder Ankara hier keine türkische Flagge mit Atatürk-Bild zu sehen war, sagt ein Beobachter: „Die Organisatoren kommen eher aus der kommunistisch-sozialistisch-gewerkschaftlichen Richtung. Das ist der Unterschied zu den Demos in der Türkei, die von breiten Schichten der Bevölkerung getragen werden.“ Der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Özcan Mutlu, sieht das anders: „Ich bin stolz, dass auch die Berliner Türken jetzt auf die Straße gehen“, sagte er: „Die Zuspitzung in der Türkei ging eindeutig von der Polizei aus.“ Auch Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) meldete sich zu Wort und kritisierte ebenfalls scharf das brutale Vorgehen der türkischen Regierung.

Kazim Erdogan vom Aufbruch Neukölln hat am Dienstag einen Aufruf zur Gewaltlosigkeit von zahlreichen türkischen und deutschen Persönlichkeiten unterzeichnet. Wenn die Regierung in Ankara ihren harten Kurs fortsetzt, würde auch er dagegen in Berlin auf die Straße gehen. „Wenn grundlegende Menschenrechte verteidigt werden müssen, sollten alle zusammenstehen“, sagt er: „Auch meinen deutschen Landsleuten kann das nicht egal sein.“

Eine weitere Solidaritätsdemo beginnt am 8. Juni, 16 Uhr, am Wittenbergplatz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false