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Eine Anwohnerin und ihre Tochter sehen Journalisten und Polizei zu, während Tierexperten und Polizeibeamten in einem Waldgebiet in Zehlendorf stehen.

© dpa/Annette Riedl

Chronik eines denkwürdigen Tages: Wie Berlin und Brandenburg eine Löwin suchen

Die Nachricht von einem frei laufenden Raubtier versetzt Behörden und Anwohner in Aufregung – und bringt Kleinmachnow weltweit in die Nachrichten.

Der erste Notruf erreicht die Polizei gegen null Uhr in der Nacht zu Donnerstag. Im Richard-Strauss-Weg in Kleinmachnow war kurz zuvor ein frei laufendes Wildtier gesehen worden, meldet die Behörde. Ein Handyvideo, das den Vorfall in der Gemeinde am südwestlichen Stadtrand Berlins zeigt, habe man auch vorliegen: „Nach Prüfung des Materials handelt es sich nach einer ersten Einschätzung bei dem Wildtier um eine Löwin.“

In der Nacht: Die Suche startet, Anwohner werden geweckt

Die Polizei hält die Meldung für glaubwürdig und startet eine großangelegte Suche in Kleinmachnow sowie im benachbarten Stahnsdorf und Teltow. Mehr als 30 Streifenwagen der Polizei sind in den folgenden Stunden unterwegs, zudem Hubschrauber aus Brandenburg und Berlin sowie Drohnen und Wärmebildkameras. Die Beamten alarmieren Tierärzte, Jäger und Veterinäre.

30
Streifenwagen der Polizei begannen schon in der Nacht zu Donnerstag mit der Suche nach der vermeintlichen Löwin, im Tagesverlauf wurde die Suche ausgeweitet.

In Teltow, der Kleinstadt fünf Kilometer östlich von Kleinmachnow, wird Michel Rogall, Chef des Zirkus Rogall, gegen 2 Uhr nachts von der Polizei geweckt. Ob er einen Löwen vermisse, wollen die Polizisten wissen. Fehlanzeige: „Deutschlandweit hält kein Zirkus mehr Löwen oder Tiger“, erzählt Rogall am Morgen. Er wisse von niemandem in der Region, der privat ein Raubtier habe.

Nachts um drei wird Nadine Steward vom Hubschrauberlärm geweckt. Ihr Grundstück grenzt an das verwilderte Wäldchen an, auf dem das Tier gesehen wurde. Auf dem Gelände ist ihre Hündin viel unterwegs. Wenn sich irgendwas in der Nähe tue, schlage die sofort an. Wildschweine ließen ihr keine Ruhe. „Heute Nacht passierte nichts“, erzählt Steward am Morgen. Die Hündin, die sonst alles mitkriegt, blieb ruhig. „Das finde ich merkwürdig.“

Polizei-Einheiten aus Brandenburg und Berlin sind seit dem frühen Donnerstagmorgen in der Region unterwegs.
Polizei-Einheiten aus Brandenburg und Berlin sind seit dem frühen Donnerstagmorgen in der Region unterwegs.

© dpa/Sven Käuler

Über Lautsprecherdurchsagen, Warn-Apps und Soziale Medien werden Anwohnerinnen und Anwohner informiert: „Verlassen Sie die Wohnung nicht und achten Sie auf Durchsagen der Einsatzkräfte.“ Haus- und Nutztiere sollten nicht ins Freie gelassen werden, das Gebiet solle gemieden werden.

Auch für Teile Berlins zwischen A115 im Westen, A100 im Norden und A113 im Osten wird eine Gefahreninformation herausgegeben. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptstadt werden von einer amtlichen Gefahrenmeldung, etwa durch die NINA-Warnapp des Bundes, aufgrund eines „frei laufenden gefährlichen Wildtieres“ geweckt.

Am Morgen: Ausnahmezustand in Kleinmachnow

Auf Twitter macht ein Video die Runde, das die mutmaßliche Löwin zeigen soll. Das Video ist nicht verifiziert, die Polizei macht keine Angaben dazu. Der Berliner Zoo teilt mit: „Anhand der kurzen Aufnahmen ist nicht auszuschließen, dass es sich um eine Löwin handelt.“ Allerdings: „Mit Sicherheit können wir dies aufgrund der geringen Qualität der Aufnahmen aber nicht bestätigen.“

Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert informierte Journalisten am Donnerstagnachmittag über die Suche nach einem möglicherweise entlaufenen Raubtier.
Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert informierte Journalisten am Donnerstagnachmittag über die Suche nach einem möglicherweise entlaufenen Raubtier.

© dpa/Paul Zinken

Die Gemeinde Kleinmachnow reagiert auf die Suche, hält aber Einrichtungen offen. Die Kitas seien geöffnet, die Kinder dürften aber nicht raus in den Garten, sagt eine Gemeindesprecherin am Morgen. Auch das Rathaus bleibe offen. Auf dem Wochenmarkt schwankt die Stimmung zwischen Sorge und Gelassenheit. Manche Leute machen Witze, spotten, dass die Löwin gut gegen die Wildschweine sei. Ein Verkäufer sagt aber auch, dass man spüre, dass die Leute Angst hätten.

Ich hatte schon Rehe, viele Wildschweine sowie Marder im Garten – eine Löwin war noch nicht dabei.

Eine Anwohnerin aus dem Richard-Strauss-Weg

Eine Anwohnerin aus dem Richard-Strauss-Weg berichtet, dass sie seit 1968 dort wohne und schon Rehe, viele Wildschweine sowie Marder im Garten gehabt habe – eine Löwin sei noch nicht dabei gewesen. „Ein richtiger Zoo hier“, sagt die Frau, die am frühen Morgen von den Hubschraubern geweckt wurde. Den Tag über will sie drinnen bleiben. Sie habe heute eh nichts vorgehabt. Eine andere Anwohnerin lässt ihre Tochter heute nicht in die Kita: „Wir sind heute zu Hause geblieben“, sagt sie. „Wir hoffen, dass das bald vorbei ist.“ 

Eine Sprecherin des Landkreises Potsdam-Mittelmark sagt, es sei eine Tierärztin mit vor Ort und zwei Jäger mit Waffen. Wenn man das Tier finde, werde entschieden, ob man mit Betäubung arbeite oder es erschießen müsse.

Am Vormittag: Das SEK wird eingeschaltet

Eine 93-jährige Kleinmachnowerin, die ebenfalls vom Hubschrauber geweckt wurde, ärgert sich über die „Aufregung“, wie sie sagt: „Ich dachte, mein Haus stürzt ein, so heftig war der Lärm.“ Auf einen Stock gestützt macht sie ein paar Schritte in die Richtung, in der die Löwin gesichtet worden sein soll. Wildschweine zögen oft durch die Siedlung, das schon, sagt sie. Aber ein Raubtier. Woher sollte das denn kommen?

Neben Dutzenden Einsatzwagen ist die Polizei auch mit Hubschraubern und Wärmebildkameras rund um Kleinmachnow im Einsatz.
Neben Dutzenden Einsatzwagen ist die Polizei auch mit Hubschraubern und Wärmebildkameras rund um Kleinmachnow im Einsatz.

© dpa/Fabian Sommer

Der Bürgermeister von Kleinmachnow, Michael Grubert (SPD), ruft die Bürger zur Vorsicht auf. Panik sei aber nicht angebracht, sagt er am Vormittag. Die Menschen sollten ihre Aktivitäten außerhalb des Hauses einschränken: „Ich würde nicht joggen“, sagt Grubert.

Roar and Order.

Überschrift der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ über einem Bericht zur Lage in Berlin

Am Donnerstagmittag erklärt die Polizei in Bezug auf das Videomaterial aus der Nacht: „Die geschilderte Situation wird als glaubwürdig angesehen.“ Zwei Polizisten hätten das Tier in der Nacht noch zweimal gesehen, sagt eine Polizeisprecherin auf einer Pressekonferenz. Sie spricht von einer „gesicherten Wahrnehmung von Kollegen“. 

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Auch die Berliner Polizei ist im Einsatz. Zum Schutz der Bevölkerung wird jetzt auch ein „Survivor“ eingesetzt, bestätigt die Brandenburger Polizei. Dabei handelt es sich um ein gepanzertes, geländegängiges Fahrzeug des Spezialeinsatzkommandos (SEK). Man wolle nichts unversucht lassen.

Am Mittag: Suchen, Bangen und Spurenlesen

Im Richard-Strauss-Weg wagt sich gegen Mittag eine Frau nicht in den Garten. Ihr Grundstück ist wegen der Wildschweine durch einen massiven Stahlzaun geschützt. Nun befolgt sie den Rat der Polizei und bleibt im Haus. „Ich warte darauf, mit dem Hund wieder in den Garten zu dürfen.“ Angesprochen auf den 1,60-Meter-Zaun, der ihr Anwesen umgibt wie ein Bollwerk, meint sie: „Die springen da doch rüber.“

Polizisten koordinieren die Suche in einem Wohngebiet in Teltow.
Polizisten koordinieren die Suche in einem Wohngebiet in Teltow.

© dpa/Fabian Sommer

Der Gemeinde-Jäger, in neonfarbener Weste unterwegs, erklärt, dass sich das Tier überall aufhalten könne. „Es macht keinen Sinn, auf Gut Glück die ganze Gegend abzusuchen.“ Dann lässt er einen seiner Jagdhunde an der Sichtungsstelle doch die Fährte aufnehmen. Aber das Tier schlägt nicht an. Bürgermeister Michael Grubert berichtet, dass das Tier bis 13 Uhr noch nicht wieder gesichtet wurde.

Auch Pfotenspuren seien noch nicht entdeckt worden, sagt Jagdpächter Peter Hemmerden. Es gibt laut Amtsärztin bislang keinen Hinweis darauf, dass das Tier ein anderes Tier gerissen hat. Ersten Berichten zufolge soll die Löwin ein Wildschwein erlegt haben. Eine Bestätigung dafür findet sich aber vorerst nicht.

Am Nachmittag: Ist die Löwin jetzt in Berlin?

Am frühen Nachmittag meldet die Polizei eine „mögliche Sichtung des Tieres im Süden“ der Stadt, „nahe der Stadtgrenze zu Brandenburg“. Sie habe das Veterinäramt und den Stadtjäger alarmiert. Die Polizei schickt Beamte einer Einsatzhundertschaft, die Technische Einsatzeinheit und einen Hubschrauber los.

Kurz darauf teilt die Polizei mit, dass sich das Tier in Zehlendorf befinden könnte. Die Löwin soll im Umfeld des Waldfriedhofs gesichtet worden sein. Hinweise, dass sich das Tier dort aufgehalten hat, finden die Einsatzkräfte jedoch nicht. Später am Abend meldet die Polizei dann erneut eine Sichtung in Zehlendorf; ein Großaufgebot sucht das Gebiet an der Grenze zu Kleinmachnow weiträumig ab.

Im Laufe des Tages verbreitet sich die Geschichte weltweit. Beim öffentlichen kanadischen Radiosender CBC schafft es die Nachricht aus Berlin und Brandenburg in die morgendliche Zusammenfassung der wichtigsten Meldungen aus aller Welt. Die Schlagzeile beim US-Sender ABC News lautet: „’Bleiben Sie im Haus’: Entflohenes Wildtier in Berlin löst stadtweite Suche aus“.

Der arabische Nachrichtensender Al Jazeera meldet: „Die deutsche Polizei fahndet nach einer Löwin, die in den Berliner Vorstädten frei herumläuft.“ Und das britische Boulevard-Blatt „The Sun“ berichtet unter der Überschrift „Roar and Order“ (Brüllen und Ordnung“), die ein Wortspiel mit dem Begriff „Law and Order“ ist: „Die Polizei startet die „Operation Löwenjagd“ mit Scharfschützen und 15-Tonnen-Panzern, nachdem eine entlaufene Bestie in Berlin Amok läuft.“

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