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Christian Kardaetz

© privat

Nachruf auf Christian Kardaetz: Der gute Mann an der Gitarre

Der große Bruder wurde Plankommissar, der jüngste Generalsekretär des Bobschlittenverbandes. Er wurde Ulkmusiker.

Von David Ensikat

Bei der Nummer mit der Herrenunterwäsche trug er das Modell „Sport frei!“, irgendwelche lächerlichen Sportklamotten, und kam auf Händen auf die Bühne. Sein Humor war eher trocken und hintergründig, nicht so geeignet für die Schenkelklopfer-Shows, aber er war der Sportlichste unter den Kollegen von „Fritzens Dampferband“. So hat er in diesem Fall mal den großen Applaus gehabt. Sonst stand er eher etwas abseits auf der Bühne und zupfte pflichtbewusst die Gitarre.

Alle Kardaetz-Söhne haben ein Instrument gelernt, Christian machte als Einziger einen Beruf daraus. Selbstverständlich war der Vater skeptisch. Der große Bruder wurde Plankommissar, der jüngste Generalsekretär des Bobschlittenverbandes; Christian wurde Ulkmusiker. Das lag vielleicht daran, dass er der mit der größten Geduld und Disziplin war. Die braucht man, wenn man es ernst meint mit dem Instrument. Bis zum Schluss hat er jeden Tag geübt, Geige und Gitarre, in den letzten Jahrzehnten in dem Zimmer, in dem sein Sohn Sascha aufgewachsen war.

Sascha beginnt die Erzählung mit einer Entschuldigung: „Ich kann gar nichts Negatives über meinen Vater sagen!“ Er würde ja, wenn ihm was einfiele; soll doch ein interessanter Nachruf werden. In mancher Hinsicht hätte der Vater vielleicht ein wenig fordernder auftreten können. Dass er hin und wieder Saschas Mathe-Hausaufgaben machte, war wohl nicht okay. Aber toll war’s! Und dass er den faulen Sohn im Winterurlaub den Berg hochtrug, samt Skiern … auch toll!

Aber zurück zu den Ursprüngen. Christians Vater, Willy Kardaetz, kehrt unverletzt, aber mit weißen Haaren aus dem Krieg heim und wird Kommunist. An Feiertagen hängt die rote Fahne draußen. Willy Kardaetz ist auch Christ; allein Christian wird ebenfalls einer und bleibt es. Als hätte sein Name ihn dazu verpflichtet. In den folgenden Jahrzehnten könnte das zu Verwerfungen führen, zumal er nicht viel vom DDR-Sozialismus hält, im Gegensatz zu den Geschwistern. Er hat seine Meinung, aber noch wichtiger als die Meinung ist der Familienfrieden. Bei den Feiern holen die Kardaetz’ ihre Instrumente raus und lösen alle Streitereien in Musik auf.

Unterhaltung gegen Geld

Nach der Schule hat Christian erst mal eine Lehre als Elektriker gemacht, merkte, dass das Quatsch war und versuchte es also mit der Musik. Das war in der DDR, in der man alles lenkte und plante, ein Ausbildungsberuf. Da die Lenker und Planer sahen, dass das Land nicht nur akademische Virtuosen benötigte, dass die Werktätigen ihre Arbeitskraft auch gern bei bodenständigen Klängen wiederherstellten, richteten sie an der Musikschule Friedrichshain eine „Klasse für Tanzmusik“ ein, später den „Fachbereich Rock und Pop“. Die allermeisten „Tanzmusiker“ der DDR erwarben hier ihre Qualifikation. Christian war ein gewissenhafter Lehrling, hätte er nicht bei sich abschreiben lassen, gäbe es die Puhdys womöglich nicht.

Als Michael Fritzen gemeinsam mit Achim Menzel „Fritzens Dampferband“ gründete, engagierten sie Christian als Gitarrist. Das Unternehmen war, man ahnt es bei dem Namen, zuvörderst ein wirtschaftliches: Unterhaltung gegen Geld. Die staatliche Einstufungskommission erteilte die „Spielerlaubnis für Berufsmusiker“, an der sich die Vergütung bemaß. Sie spielten Deep Purple und die Stones nach und dachten sich für die Einhaltung der Ostmusik-Westmusik-Quote und zur Erbauung des Publikums eigene lustige Lieder aus, die hießen „Hatschi-waldera“, „Für dich ist sie richtig“, oder „Platz da für meinen Mazda“, Letzteres von Christian Kardaetz. Bis sie nicht mehr auftreten durfte, war auch Nina Hagen dabei.

Die Zeit Mitte der 70er war überhaupt eine des Umbruchs in Christian Kardaetz’ Leben. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt, es gab da einen anderen. Ein impulsiverer Charakter hätte wohl anders reagiert, Christian gab ihr Bedenkzeit. Als die Sache mit dem anderen vorbei war und sie sich die Wiedervereinigung wünschte, war er jedoch in neuen Händen. Und zog mit seiner Neuen in eine ganz ähnliche Wohnung gleich um die Ecke, drei kleine Zimmer, 60er-Jahre-Bau, Berlin-Oberspree.

Sascha kam zur Welt, Christian stieg bei der Dampferband ein und war nun sehr viel unterwegs. Der Erfolg war nämlich immens. Dutzende Fernsehauftritte, 20 bis 30 Engagements im Monat. Sie spielten auf Freilichtbühnen, in Kreiskulturhäusern, in Betrieben, sie dachten sich Spaßnummern aus, mit denen sie keine halbe Stunde auf der Bühne waren und trotzdem das volle Honorar bekamen, die Modenschau zum Beispiel.

Die acht Musiker fuhren im Barkas des Chefs, die Techniker mit der Anlage im LKW, eine kleine Firma im Dienst des Frohsinns. Und die Kasse stimmte: 3000 bis 5000 Mark haben die Musiker in den 80ern bestimmt verdient, so rechnet es der Chef von damals heute vor. Während andere Tanzmusiker sich ihre Häuser am Wasser leisteten, blieb Christian Kardaetz in seiner Oberspree-Wohnung und war froh, keinen Stress mit Handwerkern zu haben. Sein Luxus: das Auto und die Urlaube. Im Winter andauernd zum Skifahren, auch auf Tagestour, und wenn der Sohn nicht auf den Berg hochwollte, wurde er halt getragen.

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Fünf Jahre vor Mauerfall wurde es etwas knapper, denn da war Schluss mit „Fritzens Dampferband“, weil Fritzen in den Westen rüber ist. Als es dann vorbei war mit der DDR, war es auch vorbei mit der auskömmlichen Tanzmusik. Christian Kardaetz, 50 Jahre alt, transportierte nun Waschmaschinen und verwies eher auf den Trainingseffekt, als dass er sich beklagt hätte. Seine Frau, die jetzt beim Arbeitsamt war, erfuhr von einer tollen Gelegenheit: Bei der Gauck-Behörde suchten sie schwer Vermittelbare ohne problematische Vergangenheit. Christian Kardaetz schrieb die einzige Bewerbung seines Lebens, ordentlich per Hand, bekam den Job und war nun DDR-Aufarbeiter mit Büro und ordentlichen Arbeitszeiten.

Das machte er bis zur Rente, übte weiter auf den Instrumenten, kaufte seine Autos generell mit Bargeld und führte ein schönes Leben, das auch deshalb schön war, weil alles Schlimme halb so schlimm ist, wenn man weiß, dass es Wichtigeres gibt. Als der Arzt ihm kurz vor seinem Tod sagte, wie es um ihn stand, war Sascha dabei und hatte den Eindruck, sein Vater hätte das jetzt nicht verstanden. „Papa, du wirst bald sterben.“ Christians Antwort: „Aber ich hab’ doch noch Gott.“

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