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Schüler sollen die Tests, unter anfänglicher Anleitung, selbst durchführen können.

© Anja Oberkofler/dpa

Schnelltests an Schulen in Berlin: „Die Falsch-Positiv-Rate könnte schnell zum Problem werden“

Der Berliner Senat will bald Selbsttest an Schulen einsetzen. Was ein Kinderarzt über den praktischen Umgang damit sagt.

Der Berliner Senat sieht vor, zeitnah Selbsttests für Lehrer, Erzieher und auch für Schüler zur Verfügung zu stellen. 32 Millionen Euro sind für Test-Kits an Schulen vorgesehen. Durch die Strategie erhofft sich die rot-rot-grüne Koalition, künftig einen weitgehend normalen Schulbetrieb zu ermöglichen.

Nach Angaben der Bildungsverwaltung sollen an Schulen pro Person und Woche zwei Selbsttests ausgereicht werden, die zu Hause angewendet werden können. Die Anwendung dieser Selbsttests beruhe auf Freiwilligkeit.

Zugelassen werden diese Tests frühestens Anfang März. Wir haben mit dem Kinderarzt Martin Karsten aus Wilmersdorf über den Sinn und Nutzen dieser Teststrategie gesprochen.

In ihrer Praxis führen Sie regelmäßig Rachen- und Nasenabstriche zum Test auf Sars-CoV-2 durch. Können Sie sich vorstellen, dass Eltern, Lehrer oder Erzieher, das freiwillig mit ihren Kindern machen?
Bei den Antigen-Schnelltests, die momentan im Umlauf sind, halte ich das nur für schwer machbar. Welche Eltern bohren ihrem Kind freiwillig vier Zentimeter tief in die Nase? Selbst eine meiner erfahrensten Arzthelferinnen verweigert sich manchmal dieser unangenehmen Aufgabe. Für die Kinder ist das wirklich kein Spaß. Viele weinen oder schreien dabei.

Die neuen Selbsttest, die ab März an Schulen eingesetzt werden sollen, sollen auch ohne den unangenehmen tiefen Abstrich im Rachen oder in der Nase funktionieren. Ist das realistisch?
Ich kenne dieses Tests noch nicht, aber ich habe mir sofort welche zum Ausprobieren bestellt. Auch auf die Ergebnisse der sogenannten Spuck- oder Gurgeltests bin ich gespannt. Aber das muss alles noch evaluiert werden. Bisher beruhen die Aussagen auf den Angaben der Hersteller und die haben ihre Untersuchungen in der Regel auch nur mit Erwachsenen gemacht. Momentan kommt es bei den Schnelltests stark darauf an, wer den Test macht und wie er gemacht wird. Und auch der Hersteller spielt eine Rolle. Die Falsch-Positiv-Rate liegt selbst bei guten Tests, wenn sie richtig angewendet werden, bei mindestens zehn Prozent. Vom Labor 28 weiß ich, dass aber nur zwei Drittel der positiven Schnelltests später auch mit dem PCR-Test als positiv bestätigt werden. 

Was bedeutet das im Umkehrschluss für den Alltag an Schulen? Halten Sie das Testen dennoch für ein geeignetes Mittel, um Betreuungseinrichtungen offen zu halten?
Ich befürworte die Strategie. Allerdings müssen wir uns auch darüber bewusst sein, was eine hohe Rate an falsch-positiven Testergebnissen für den Alltag der Schüler bedeutet. Das heißt nämlich, dass bei einer sehr niedrigen Fallzahl, die wir in Berlin derzeit haben, automatisch 100 von 1000 Schülern positiv getestet werden würden, um einen tatsächlichen Corona-Fall herauszufischen. Das würde 100 Schüler und deren Eltern unnötig beunruhigen. Abgesehen davon, müssen wir uns Gedanken machen, was dann folgt. Wer führt dann ganz schnell die PCR-Tests zur Überprüfung durch? Wie lange müssen die Kinder in Quarantäne? Muss die ganze Schule geschlossen werden, nur die Klasse zu Hause bleiben oder nur der Sitznachbar? Das sind alles Fragen, die vorher geklärt sein müssen.

Martin Karsten ist seit 30 Jahren Kinderarzt in Wilmersdorf.

© Thilo Rückeis

Welche weiteren Maßnahmen würden Sie zur Offenhaltung der Schulen befürworten?
Wichtig ist, dass Lehrer und Erzieher möglichst schnell geimpft werden. Gut ist, dass die unteren Stufen vorrangig behandelt werden, und jetzt wieder in die Schulen dürfen. Denn desto älter die Schüler, desto höher das Risiko für eine Übertragung. Die Kinder sollten in einer festen Gruppe bleiben. Wenn Klassen geteilt werden, sollten Freunde in der gleichen Gruppe bleiben, weil die sich sonst sowieso nachmittags verabreden.

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Aber die Politik muss sich natürlich auch Gedanken darüber machen, wie die Eltern weiterhin die Betreuung organisieren sollen, wenn die Schule nur jeden zweiten Tag geöffnet ist. Viele Eltern aus meiner Praxis hatten bisher die Großeltern mit einbezogen. Das geht jetzt nicht mehr, wenn die Kinder durch die Schule wieder viele Kontakte haben.

Dass nächste Woche in Berlin die Schulen stufenweise öffnen, findet nicht nur Befürworter. Wie dringend ist es Ihrer Meinung nach, dass es bald normal weitergeht?
Die Schulen müssen wieder aufmachen. Für uns Kinderärzte ist das keine Frage. Wir sehen ganz klar die psychosozialen Folgen der Schulschließung. Manche Eltern sagen: ,Mein Kind steht überhaupt nicht mehr morgens auf.' Den Kindern fehlt die Struktur, massenhafter Medienkonsum ist ein großes Thema, Übergewicht. Und in den ersten Klassenstufen ist ein Online-Unterricht ohne ständige Hilfe der Eltern nicht möglich. Das schließt ganz viele Kinder aus. Viele kommen mit dem Stoff nicht hinterher.

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