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Taras wartet auf ein neues Herz.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Ein Herz für Taras in Berlin: Dreijähriger aus der Ukraine steht auf der Transplantationsliste

Taras aus der Ukraine hat zwei Brüder wegen der Herzkrankheit verloren, an der auch er leidet. Jetzt bekommt der Dreijährige hoffentlich bald ein neues Herz.

Einer der beiden Krankenhausclowns zupft lächelnd an den Saiten seiner Kindergitarre, gibt das Zeichen zum Einsatz, dann tönt der Gesang des Duos durch den Flur: „Meine Biber haben Fieber, oh die Armen, sagt der Farmbesitzer Sieber.“ Ein lustiges Kinderlied.

Und vor den Clowns klopft Taras rhythmisch auf den Plastikdeckel einer kleinen Mülltonne. Er lässt die Männer mit den roten Ballonnasen nicht aus den Augen.

Sein Vater klopft mit, Dmytro Pushkar lächelt, aber er achtet auch die ganze Zeit auf seinen dreijährigen Sohn. Olena Pushkar, die Mutter, steht zwei Meter daneben, auch sie lässt ihren Sohn nicht eine Sekunde unbeobachtet. Man muss die Blicke von Vater und Mutter sehen, den Ukrainern, die im August 2022 vor dem Krieg geflohen waren, dann versteht man die Bedeutung dieser Szene. Diese Blicke sind voller Wärme und Dankbarkeit.

Das künstliche Herz sieht aus wie ein kleiner Koffer

Ihr Sohn hat unbekümmert Spaß, das ist die wichtigste Botschaft. Ihr Sohn, der nur lebt, weil sein Oberkörper über einen Schlauch mit einem mobilen Gerät verbunden, das aussieht wie ein kleiner, fahrbarer Koffer. Der Koffer ist ein künstliches Herz. Die Clowns singen auf einem Flur im Berliner Herzzentrum.

Drei Monate zuvor standen Dmytro und Olena Pushkar in der Kälte vor dem Herzzentrum, verzweifelt und voller Angst und Sorge. In der Klinik lag ihr Sohn, operiert in höchster Not wegen eines wahrscheinlich genetisch bedingten Herzfehlers. Nach der OP wurde er an das künstliche Herz angeschlossen.

Taras, Olena und Dymtro Pushkar sowie der behandelnden Ärztin Katharina Schmitt.

© David Heerde/David Heerde

Taras, das war im Herzzentrum sofort klar, ist ganz sicher ein Fall für eine Herztransplantation. Dmytro und Olena Pushkar sind in Deutschland ordnungsgemäß gemeldet und hier familienversichert. Für das Herzzentrum war der Junge deshalb ein ganz normaler Notfall, der für eine Transplantation in Frage kommt. Bei Eurotransplant haben Menschen aus einem Mitgliedsland der Organisation Priorität. Deutschland ist Mitglied.

Seit dem 3. Februar steht Taras auf der Transplantationsliste, nun entscheidet Eurotransplant, wann dem Jungen ein neues Herz eingepflanzt wird. „Die Nachricht kann heute kommen oder morgen, aber auch erst in einem halben Jahr“, sagt Katharina Schmitt, Taras’ behandelnde Ärztin.

Auch die Oberärztin steht im Flur, auch sie beobachtet Taras hochzufrieden. „Er ist quietschfidel“, sagt die Professorin für Kinderkardiologe. „Er schäkert mit uns.“ Mit den Pflegern, den Erziehern, der Physiotherapeutin, mit allen, die sich um ihn kümmern. „Er kann sogar schon ein paar Worte deutsch.“

Taras ist quietschfidel und schäkert mir uns“

Katharina Schmitt, Oberärztin und Professorin für Kinderkardiologie

Aber die besondere Dramatik des Falls Taras symbolisiert jener Moment, in dem der Dreijährige in seinem Bett sitzt und fest einen großen Pinguin umklammert. „Taras nennt ihn Ostap“, sagt Olena Pushkar. Ostap war Taras’ Bruder, er hatte früher mit dem Pinguin gespielt.

Aber Ostap starb am 4. April 2022 in der Ukraine, er war gerade mal ein Jahr und vier Monate alt. Diagnose: dilatative Kardiomyopathie. Dabei vernarbt das Herz und wird immer größer, während es gleichzeitig immer weniger leistungsfähig ist.

Zwei von Taras’ Brüdern starben an der gleichen Herzkrankheit

Taras hatte noch einen weiteren Bruder, Nasar. Der starb im Februar 2018, drei Jahre und elf Monate alt. Diagnose: ebenfalls dilatative Kardiomyopathie. Eine Herztransplantation hätte Nasar retten können. Doch in der Ukraine gibt es so eine OP nicht.

Die höchst alarmierten Eltern lassen Taras nach Ostaps Tod untersuchen, sie befürchten, dass auch er diese Herzschwäche hat. Die Ärzte in Kiew beruhigen: das Kind sei gesund.

Die Eltern haben nur einen Wunsch: Bitte nicht auch das dritte Kind verlieren

Doch an Weihnachten 2022 geht es Taras so schlecht, dass er ins Herzzentrum gebracht und sofort operiert wird. Und die verzweifelten Eltern kennen nur noch einen Wunsch: Bitte nicht auch das dritte Kind verlieren.

Inzwischen haben die Ängste erheblich nachgelassen. „Wir sind dem Herzzentrum und den Ärzten hier so unendlich dankbar“, sagt Dmytro Pushkar. Seine Frau nickt. „Jetzt haben wir wieder Hoffnung.“

Katharina Schmitt teilte den Eltern die Nachricht mit, dass Taras auf der Transplantationsliste steht. Olena Pushkar musste weinen, die Ärztin nahm sie in den Arm. Auch Dymtro Pushkar war tief bewegt. Sofort riefen sie alle Großeltern von Taras an. Olena Pushkars Mutter lebt seit Januar hier bei ihrer Tochter und ihrem Mann. Mutter und Tochter wechseln sich ab mit den Besuchen.

Katharina Schmitt, die Oberärztin, sagt: „Er wird nach der Operation ein ganz normales Leben führen. Die Überlebenschancen sind sehr hoch. Natürlich braucht er dauernd Medikamente.“ Ziel, sagt die Kardiologin, sei es, dass er ohne Gerät nach Hause gehe. Die Eltern bleiben mindestens ein Jahr hier, im Herzzentrum achtet man auf den Heilungsverlauf.

Die Krankenhausclowns haben für Taras gespielt.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Das alles weiß Taras natürlich nicht. Er schmiegt sich an seinem Pinguin, spielt mit Modellautos oder mit einer Plastikfigur des Muskelprotzes Hulk. Hulk hängt auch als Zeichnung an der Wand, zwischen drei Dutzend anderer Zeichnungen, vom Tannenbaum bis zum windschnittigen Turboauto ist alles abgebildet.

Olena Pushkar hat die Bilder für ihren Sohn gemalt, die meisten Motive hat sie gewählt. „Aber Hulk hat Taras bei mir in Auftrag gegeben“, sagt die 34-Jährige. Katharina Schmitt bezeichnet Taras’ Zimmer schon als „Museum“.

Neben der Tür hängt eine Art Stundenplan, hier ist der Tagesablauf von Taras notiert. Vormittags kümmern sich eine Physiotherapeutin und eine Erzieherin um den Dreijährigen, nachmittags kommen die Eltern.

Die Tagestruktur von Taras entlastet seine Eltern

Für sie ist die Tagesstruktur ihres Sohn auch eine körperliche Entlastung. Früher saß Olena Pushkar jeden Tag von 9.30 Uhr bis 20 Uhr am Bett ihres Sohns. Ihr Mann kam nach der Arbeit, der 35-Jährige arbeitet als Freelancer in der IT-Branche. „Jetzt kann ich endlich wieder ruhiger schlafen“, sagt sie. „Und ich kann mich endlich wieder ein bisschen um mich kümmern.“

Ihr Mann nutzt die freie Zeit für ein wenig Sport. Mit Taras reden sie abends per Skype. Der Dreijährige hat ein Tablet, er weiß ganz genau, wo er drücken muss, um Papa, Mama oder Oma und Opa zu sehen.

Aber Olena Pushkar fürchtet sich vor dem Tag, an dem ihre Ängste wieder massiv wachsen werden. Es wird ausgerechnet der Tag sein, der eigentlich eine emotionale Erlösung darstellen sollte. „Ich habe Angst vor dem Anruf, in dem wir erfahren, dass das Spenderherz da ist und Taras operiert wird“, sagt Olena Pushkar. „Denn der Eingriff ist ja auch gefährlich, es kann ja etwas passieren.“

Und noch ein Gedanke lässt sie nicht wirklich los, ein furchtbarer Punkt. Wenn Taras ein Herz bekommt, dann bedeutet das ja, dass ein anderes Kind gestorben ist. „Ich muss immer wieder an die Eltern dieses Kindes denken“, sagt Olena Pushkar. „Und jedes Mal muss ich dann weinen.“ Es ist die Tragik jeder Herztransplantation, unabhängig vom Alter.

In Taras’ Alltag gibt es keine Elternsorgen, er freut sich, wenn er spielen kann und Mama, Papa, Oma und Opa sieht. Und manchmal erinnert sich er an eine ganz bestimmte Szene in dem Dorf, in das er mit seinen Eltern nach Kriegsausbruch geflohen ist. Dann verschwindet sein Lachen und seine Blicke sind voll fragender Sehnsucht. „Mama“, fragt er dann, „wann sehen wir wieder, wie die Sonne untergeht?“

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