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Berlin: Entsinnt

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Der Weg ins neue Jahr ist wieder mit guten Vorsätzen gepflastert. Man sinnt über das alte Jahr nach, nimmt sich allerhand vor und ist überhaupt gesonnen, alles besser zu machen. Manche entsinnen sich auch zurück, was seltsam ist, rein sprachlich.

„Wenn ich mich zurückentsinne...“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei/PDS, Stefan Liebich, in einer kulturpolitischen Debatte des Abgeordnetenhauses. Jeder kann sich entsinnen, erinnern, Rückschau halten. Doch wer behauptet, er entsinne sich zurück, redet doppelt gemoppelt. Schließlich hat die Erinnerung immer mit der Vergangenheit zu tun. Kein Mensch käme auf die Idee, sich an die Zukunft zu entsinnen.

In einer Partei oder Fraktion ist man prinzipiell unter gleich Gesinnten, wenngleich viele irrtümlich meinen, sie seien unter gleich Gesonnenen. „Obwohl sich beide nicht mehr wohl gesonnen sind, haben sie einen gemeinsamen Gegner“, hörte ich einen Politiker über zwei Kollegen sagen. So etwas soll zwar auch unter Parteifreunden vorkommen, aber sprachlich ist es nicht möglich. Ebenso las ich in einem Bericht über die Probleme im Künstlerhaus Bethanien: „Es gibt in dem Gebäude durchaus Künstler oder Initiativen, die den Besetzern wohl gesonnen sind.“ Das glaubt man gern, nur stört die Verwechselung der Begriffe.

Es besteht ein Unterschied zwischen gesinnt und gesonnen, den man beachten muss. Das ist einfach, wenn man es sich einmal klar gemacht hat. Gesinnt drückt eine Gesinnung aus. Wer mir wohl oder übel gesinnt ist, begegnet mir mit einer bestimmten Gesinnung. Also sind sich die beiden Politiker nicht wohl gesinnt und manche Künstler den Besetzern wohl gesinnt. Gleich Gesinnte verbindet die gleiche Gesinnung. Gesonnen hat dagegen die Bedeutung von willens, gewillt. Wer auf korrektes Deutsch achtet, ist nicht gesonnen, diesen Unterschied zu missachten.

Gute Vorsätze sind unverzichtbar. Was daraus wird, ist eine andere Sache. Andererseits halten wir viel Verzichtbares für unverzichtbar. Ein Leser schrieb mir, diese vom intransitiven Verb „verzichten“ abgeleiteten Adjektive gehörten auf den Index, weil man Wörter mit der Endsilbe -bar nur von transitiven Verben bilden könne, also von Verben, die eine Passivform haben und mit dem Akkusativ stehen. Na ja, eine solche Regel gibt es nicht. Es ist nur so, dass man von den meisten intransitiven Verben einfach keine Wörter mit der Endsilbe -bar ableiten kann. Gewiss ist nichts lachbar und weinbar, aber verzichtbar/unverzichtbar schon (obwohl nichts und niemand verzichtet werden kann). Warum aber sollte man gesonnen sein, Ausnahmen zu ignorieren?

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