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Kliniktest

© Doris Spiekermann-Klaas

Klinikessen: Genesungsfaktor Genuss

Krankenhausessen muss nicht fad sein, wie unser Geschmackstest beweist: Manche Klinik gibt pro Patient und Tag 5,50 Euro aus, zwei Euro mehr als üblich.

Das soll eine Krankenhausküche sein? Im Kühlraum liegen Artischocken, verschiedene frische Gemüse, ein Kilo Roquefort. Nebenan hat Lutz Schirmer, der Küchenchef der Park-Klinik Weißensee, eine Gewürzsammlung aufgebaut, um die ihn viele Restaurantköche beneiden würden: alle Curryzutaten bis zum Bockshornklee einzeln, Sumach, Koriander, dazu noch eine Galerie von bio-zertifizierten Kräutern und Gewürzen. Dann tischt er eine Tasse mit klarer Gemüsesuppe auf, aus der eine würzige Brühe duftet, bestückt mit Mangold, Möhren, Tofu, Erbsen. Der externe Gast, daran gewöhnt, Krankenhauskost höflich zu kosten und dann beiseitezuschieben, wundert sich – und isst erfreut auf.

Die Überraschung wiederholt sich bei der saftigen Hähnchenbrust, die mit schön bissfesten Röhrennudeln und einer dicken, aber dennoch leicht wirkenden, geschmacklich erstaunlich genau definierten Käsesauce auf den Teller kommt – die Qualität einer exzellent geführten Kantine am Krankenbett.

Was Schirmer da macht, ist keine Geheimwissenschaft. Jeder gut ausgebildete Küchenmeister könnte es, wenn es ihm jemand bezahlen würde. Denn alles hängt, natürlich, am Geld. Die Berliner Vivantes-Großkliniken oder die Charité kalkulieren pro Patient und Tag 3,50, maximal 4 Euro ein, eine Summe, von der Schirmer klar sagt: „Dafür würde ich es nicht machen.“ Er braucht mehr, 5,50 Euro pro Tag. Das ist ein Aufschlag, der jedem Klinik-Verwaltungsdirektor den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Doch die private, allen Kassenpatienten offen stehende Park-Klinik riskiert es und bietet ihren Patienten echtes Essen, drastisch besser als die freudlose Kost vieler Konkurrenten.

Die Situation ist absurd. Ganz Deutschland diskutiert darüber, dass die Qualität des Essens angesichts des grassierenden Sparwahns immer schlechter wird. Doch ausgerechnet die Krankenhäuser marschieren unter dem Kostendruck exakt in die Gegenrichtung. 3,50 Euro für drei Mahlzeiten – man muss kein Experte sein, um zu ahnen, dass dafür mit knapper Not die physiologischen Basisanforderungen erfüllt werden können. Genuss, der ein Genesungsfaktor hohen Ranges wäre, ist völlig ausgeschlossen.

Aber es hängt natürlich auch an der Küche. Lutz Schirmer zieht in Gläsern verschiedene frische Sprossen. „Die sind gesund und schmecken“, sagt er, „so was braucht man doch im Krankenhaus.“ Den Einwand, andere Häuser könnten sich das schon aus Geld- und Personalgründen nicht leisten, weist er trocken zurück: „Geld und Personal hab ich auch nicht. Aber ich mach’s trotzdem.“ Die Park-Klinik hat sogar als erstes Berliner Krankenhaus das Bio-Zertifikat und bietet verschiedene Bio-Gerichte an.

Schirmer hat es gewiss leichter als viele Kollegen, nicht nur, weil sein Tagessatz höher ist, sondern auch, weil sich 300 Patienten leichter verpflegen lassen als tausend und mehr, wie es beispielsweise in der Charité der Normalfall ist. Der logistische und küchentechnische Aufwand, der nötig ist, um Gemüse oder Nudeln einigermaßen knackig, Fleisch zart und alles zusammen einigermaßen heiß ans Bett zu bringen, wächst mit der Größe enorm. Die Köche müssen Präzisionsarbeit leisten, die der Laie dem Ergebnis dann nicht unbedingt ansieht.

Auch die MIC-Klinik in Nikolassee, dem Spitzenreiter unserer Umfrage, profitiert von ihrer geringen Größe: Ihre von der Firma Vitaserv geführte Küche ist zwar auch für das relativ große Hubertus-Krankenhaus nebenan zuständig, versorgt die 44 MIC-Zimmer aber separat. Und erhält dafür ebenfalls mehr Geld von der Klinik. Wie wichtig das ist, zeigt das blamable Vitaserv-Angebot im knapp wirtschaftenden Spandauer Waldkrankenhaus, das völlig zu Recht im unteren Viertel unserer Liste gelandet ist.

Die Macher in den Großkliniken wissen, dass es nicht optimal ist, das Essen in einer zentralen Küche zuzubereiten und dann warm gehalten über die Stationen zu verteilen. Ein moderneres Konzept geht so, dass die Mahlzeiten nach der Zubereitung sofort abgekühlt und auf der Station wieder erhitzt werden. Das Essen ist dann heißer und genauer gegart, und man denkt in der Charité intensiv über einen solchen Systemwechsel nach. Doch wer macht die Mehrarbeit? Die Schwestern sind genug belastet – aber sie wollen auch keine fachfremden Servierkräfte auf ihren Stationen.

Möglicherweise könnte eine solche Umstellung auch das Problem mildern, dass eine große Zentralküche die vielen unterschiedlichen Anforderungen der Kranken nicht differenziert erfüllen kann. Jeder mag etwas anderes oder darf aus medizinischen Gründen nicht alles essen. Die Lösung dieses Dilemmas unter hohem Kostendruck: Alle Patienten werden auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner versorgt. Die Charité beispielsweise setzt mit Rücksicht auf Diabetiker generell keinen Zucker, sondern nur Süßstoff ein – da ist es kein Wunder, dass die Süßspeisen wie aus der Kunststofffabrik schmecken.

Und selbst wenn es „China-Gemüse“ gibt – ein Beispiel aus dem Kreuzberger Vivantes-Klinikum am Urban –, dann hat das Ergebnis nichts mit dem aktuellen Stand der Kulinarik zu tun, der vielen Patienten aus den Restaurants vertraut ist; stattdessen kommt ein Gemengsel aus Bambussprossen, Chinamorcheln und Lauch ohne erkennbare Aromen, dick mit Stärke gebunden, eine Rezeptur, wie sie in den sechziger Jahren von der Tiefkühlindustrie eingeführt wurde. Und wenn gar „Schonkost“ versprochen wird, dann kann sich der Patient auf was gefasst machen: Diese Gerichte sind oft derart fad, dass man sich beim Kosten automatisch wie ein Dialysepatient fühlt. Mag sein, dass die kein Salz vertragen. Aber auch keine Gewürze oder Kräuter? Müssen Wöchnerinnen – Vivantes-Klinikum am Friedrichshain – wirklich mit Rindfleisch in einer weißen Pampe nebst trockenem Reis zu Kräften gebracht werden?

In der MIC-Klinik kennt man solche Zwangsvorstellungen nicht: Eine gelungene Hähnchenbrust mit angenehm scharfer Ingwer-Curry-Sauce auf Restaurant-Niveau oder eine Zucchinipfanne mit frischen Pilzen widerlegen die puritanische Mär, dass fad gesund sei.

Lutz Schirmer in Weißensee kennt freilich das Beharrungsvermögen seiner Patienten und deren große Vorliebe für traditionelle Hausmannskost. „Wir sind im Osten“, sagt er, „da lieben die Leute Champignons. Und wenn es Steak au four gibt, kann ich gar nicht genug davon zubereiten.“ Doch er verordnet eben nicht allen Patienten den gleichen Geschmack, sondern serviert beispielsweise eine authentisch gewürzte Thaipfanne, die dann auf dem Speiseplan durch einen Hit aus der Nostalgieküche ausbalanciert wird. Privatpatienten können sich überdies auf Zusatzgerichte freuen; gegen Zuzahlung erfüllt die Küche gern jeden vernünftigen Sonderwunsch.

So flexibel sind die Großkliniken nicht. Jeder Patient wird grundsätzlich gleich versorgt. Grundsätzlich heißt allerdings nicht: immer. Denn etwaigen Ölscheichs – der Begriff steht für eine exklusive Patientengruppe meist ausländischer Herkunft – erfüllen die großen Häuser auch beim Essen jeden Sonderwunsch. Die bringen aber vermutlich auch viel mehr Geld als deutsche Privatpatienten.

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