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Berlin: Im Schatten der Prominenz

80 000 Besucher werden heute an der „Gedenkstätte der Sozialisten“ in Friedrichsfelde erwartet Auf dem Städtischen Zentralfriedhof liegen berühmte Linke begraben – aber weit mehr Unbekannte

Rührend gepflegt ist das Grab, dessen Stein an „Mutti und Lulle“ erinnert. Leicht verwildert dagegen die Stätte, unter der „mein Hannerl“ ruht. Vergessen und verkrautet das Grab eines vor 30 Jahren gestorbenen Architekten. Sie alle liegen in Sichtweite der „Gedenkstätte der Sozialisten“, zu der heute voraussichtlich 80 000 Menschen kommen. Doch Mutti, Lulle und der Architekt gehören nicht zu den Prominenten wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, sondern zu den „normalen“ Toten, die hier begraben sind: auf dem Städtischen Zentralfriedhof Friedrichsfelde an der Gudrunstraße.

So heißt er, auch nicht „Sozialistenfriedhof“, wie er oft genannt wurde. Ein großes Areal, das vor allem linke deutsche Geschichte spiegelt, sich mit vielen berühmten Namen schmückt, und gleich am Eingang den bekanntesten Anziehungspunkt hat. Es gibt Touristen, die schauen sich nur auf diesem kreisrunden, berühmten Plateau um, lesen Namen wie Rudolf Breitscheid, Ernst Thälmann. Auch ihre Gräber werden heute in Blumen gehüllt, die Wintergestecke für DDR-Politgrößen von Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Otto Grotewohl bis Albert Norden und Paul Verner aufgefrischt. Vermutlich erhält auch der mickrige Stein, über dessen Winzigkeit sich mancher Betrachter wundert und der auf der Wiese gegenüber den „Opfern des Stalinismus“ gewidmet ist, mehr Augenmerk. Mehr als es die verdorrte Tulpe vom Vortag kundtut. Der Landesvorstand der Linken hat auch für diesen Stein zur Ehrung aufgerufen.

Aber er wird im Schatten stehen wie das große Restgelände, das 1881 als „Städtischer Gemeindefriedhof für Berlin“ feierlich eingeweiht wurde. Für die Anlage orientierten sich der Berliner Stadtgartendirektor Hermann Mächtig, ein Lenné-Schüler, und der königliche Gartenbaudirektor Axel Fintelmann am Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Der war wie ein Landschaftspark gestaltet. Und so wirkt auch das Berliner Gegenstück, mit inzwischen wuchtigen Bäumen, mit breiten Alleen, verwunschenen Wegen, verwilderten Ecken. Es ist viel freie Wiese auf dem Gelände, viele hundert Gräber wurden eingeebnet. Aber viele tausend sind es noch immer.

Als der Friedhof entstand, die erste nicht konfessionelle kommunale Begräbnisstätte Berlins, sollte er auch ein würdiger Ruheort für die Armen und Waisen sein, die von der Fürsorge lebten. Aber nicht nur, auch reiche Leute wie die Bankiersfamilie von Bleichröder wurden hier zu Grabe getragen.

Lange behielt er den Ruf, ein Armenfriedhof zu sein. Die Sozialdemokraten beerdigten hier 1900 einen ihrer Gründerväter, Wilhelm Liebknecht, den Vater von Karl. 200 000 Menschen sollen damals den Trauerzug gesäumt haben. Es entstand eine Tradition, hier in Lichtenberg prominente Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Kommunisten zu begraben. Von 1927 bis 1933 gab es jeweils im Januar „LLL–Wochen“ zu Ehren von Lenin, Liebknecht und Luxemburg. Bauhausdirektor Ludwig Mies van der Rohe entwarf ein Revolutionsmonument, die Nazis ließen es später niederreißen und„Kommunistengräber“ einebnen. Nach dem Krieg, 1951, entstand nach Plänen von Reinhold Lingner, Richard Jenner und Hans Mucke die Gedenkstätte der Sozialisten, und das alles wird auf Rundgang-Informationskarten der Friedhofsverwaltung erklärt. Besucher können an den Gräbern prominenter Künstler wie Käthe Kollwitz oder Otto Nagel vorbeigehen, oder dem des Astronomen Friedrich Simon Archenhold oder der Ruhestätte der Schauspielerfamilie von Wangenheim. Ein Ehrenhain mit 900 Urnengräbern ist den Opfern der Nazizeit gewidmet.

An vielen Grabsteinen steht „Unfallgefahr“, die Steine stehen nicht sicher. Der große Friedhofspark mit seinen Alleen wirkt gepflegt und verwildert zugleich. Auch das Friedhofsgebäude ist angejahrt. Der Friedhofsführer wird gern verkauft. „Wir brauchen hier jeden Euro,“ sagt ein Mitarbeiter.

Christian van Lessen

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