zum Hauptinhalt
In der Bergmannstraße gilt Tempo 10 für alle - und Autos dürfen nur in einer Richtung durch.

© Kitty Kleist-Heinrich/Tagesspiegel

Klagen gegen Verkehrsregelung: Berliner Bezirksamt gewinnt vor Gericht

Ein Radfahrer klagt gegen Tempo 10 in der Kreuzberger Bergmannstraße, ein Anwohner gegen die Einbahnregelung. Das Gericht weist beide Klagen ab.

Als von der „Flaniermeile“ Friedrichstraße noch keine Rede war, war die Bergmannstraße der Ort für Lob, Lachen und Lamento: Verkehrsberuhigung und Aufenthaltsqualität durch grüne Punkte auf dem Asphalt, durch Feldsteine und „Parklets“ genanntes Sitzmobiliar? Nach jahrelangen Experimenten war es ruhig geworden um die Perle im Kreuzberger Kiez. Aber am Dienstag hat sie in gleich zwei Verfahren das Berliner Verwaltungsgericht beschäftigt.

Geklagt haben ein Anwohner der Nostitzstraße, die die Bergmannstraße kreuzt, und ein passionierter Radfahrer, der sie oft nutzt. Der Anwohner moniert mehr Verkehrslärm, vor allem durch Liefer- und Lastwagen in der gepflasterten Querstraße, und klagt deshalb gegen die Einbahn-Regelung in der Bergmannstraße. Der Radfahrer wendet sich gegen das Tempolimit von zehn Kilometer pro Stunde: Es koste ihn Zeit und sei durch keine besondere Gefahrenlage gerechtfertigt, mit der Tempolimits laut Straßenverkehrsordnung zu begründen sind.

Für den ersten Prozess hat das beklagte Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg keinen Geringeren als den renommierten Verwaltungsrechtler Remo Klinger engagiert, der beispielsweise die Deutsche Umwelthilfe bei deren Klagen gegen Autoindustrie und Ämter vertritt. Die Personalie lässt ahnen, um was es geht: Der Bergmannkiez ist das Herz des verkehrsrechtlichen Versuchslabors, mit dem das Bezirksamt versucht, die Grenzen der auf ungehinderten Autoverkehr fixierten Straßenverkehrsordnung auszureizen.

Der Anwohner betont, dass ihn die Verkehrsberuhigung im Kiez und die Aktivitäten für Fuß- und Radverkehr „überhaupt nicht stören“. Aber die Konzepte seien anders gewesen als die Umsetzung, die die Lieferanten der vielen Läden und Cafés aus der Bergmannstraße nordwärts durch die Nostitzstraße leite – und das oft mit deutlich mehr als Tempo 30 und entsprechendem Lärm. Auch der Durchgangsverkehr habe zugenommen. Da er nur ein Mini-Zimmer zur ruhigen Hofseite habe, werde er fast permanent vom Lärm geplagt, berichtet der Mann. Außerdem ärgert ihn, dass in der parallelen Solmsstraße Bodenschwellen die Autos bremsen, aber bei ihm entgegen einer früheren Zusage keine installiert wurden.

250
Meter misst die Strecke, auf der in der Bergmannstraße Tempo 10 gilt.

Daten aus drei Verkehrszählungen zeigen keine Zunahme des Verkehrs, aber die Richterin versteht den Verdruss des Klägers. Dessen Anwalt schlägt vor, die Bergmannstraße wieder für beide Richtungen freizugeben, wofür allerdings die Gehwege etwas schmaler und deshalb mehrere Bäume gefällt werden müssten, damit der Radweg bleiben kann. Das Bezirksamt schließt diese Option aus, aber stellt – verbindlich und fürs Protokoll – den Bau zweier bremsender Fahrbahnerhöhungen in der Nostitzstraße noch für dieses Jahr in Aussicht.

Da der Anwohner seine Klage trotzdem nicht zurücknimmt, vertagt das Gericht seine Entscheidung und nimmt sich erst mal die Klage gegen die Tempo-10-Regelung auf dem neuen Radweg vor. Klinger nimmt seinen Fahrradhelm und setzt sich ins Publikum; der bezirkseigene Rechtsanwalt übernimmt seinen Platz vor dem Richtertisch. Viel bekommt er nicht zu tun. Der Kläger erklärt, dass der Umbau der Bergmannstraße gut gelungen sei, aber Tempo 10 für die Sicherheit nicht nötig, zumal sich niemand daran halte.

Sicherer geworden ist die Bergmannstraße tatsächlich: Während es in den drei Jahren zuvor insgesamt 89 Mal gekracht hatte, waren es im vergangenen Jahr – trotz viel mehr Rad- und Fußverkehrs – nur noch 13 Unfälle. Während der Kläger daraus folgert, dass das Tempolimit dank der Neugestaltung überflüssig sei, tendiert die Richterin zum gegenteiligen Schluss: Die drastisch gesunkene Unfallzahl spreche für das Tempolimit, nicht dagegen.

Der Kläger stellt für den Fall eines Misserfolges mehrere Beweisanträge: Experten befragen, Sachverständige hören, Ortstermin des Gerichts, möglichst morgens und per Rad. Dieser Punkt „hat mir besonders gut gefallen“, sagt die Richterin – und schließt die Verhandlung für eine stundenlange Beratung. Die beiden Kläger sind längst gegangen, als das Gericht am Nachmittag seine Entscheidung verkündet: Beide Klagen werden abgewiesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false