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Tamer E.

© Laura Dahmer

Update

„Niemand hat so viel für die Türkei getan wie er“: So reagiert die türkische Community in Berlin auf Erdogans Sieg

Die einen feiern, die anderen begraben die Hoffnungen für die Opposition: Die türkische Community in Berlin wertet den Wahlsieg Erdogans auf ihre Art aus.

| Update:

Bei der Stichwahl in der Türkei zeichnet sich ein Sieg des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ab – in Berliner Kneipen werden die vorläufigen Ergebnisse innerhalb der türkischen Gemeinschaft kontrovers diskutiert. „Wir sind nicht glücklich“, sagten die Türkinnen Cansa und Billur (beide 30) in einer Kneipe am Kottbusser Tor am Sonntagabend. „Wir hatten große Hoffnungen für die Opposition.“ Beide leben nach eigenen Angaben in Berlin und gingen zur Wahl.

Cansa (links) und Billur hatten große Hoffnungen.
Cansa (links) und Billur hatten große Hoffnungen.

© dpa/Jörg Carstensen

Die 46-jährige Berna ist überzeugt, dass der absehbare Sieg Erdogans über seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu die türkische Gemeinschaft in der Hauptstadt weiter spalten wird. „Die Fronten sind sehr verhärtet“, sagte sie am Sonntagabend. „Es gibt wenig Empathie für die jeweils andere Seite.“ Gleichwohl sieht sie es als hoffnungsvolles Zeichen, dass Kilicdaroglu als Angehöriger der alevitischen Minderheit in der Türkei zunächst in der ersten und dann in der Stichwahl so gut abgeschnitten habe.

Fatih Celik starrt auf den Bildschirm, der die aktuellen Zahlen zeigt, und ringt um Worte. Er setzt mehrmals an, seine Augen glasig. Vor zwei Wochen, nach dem ersten Wahlgang, hat er die ganze Nacht geweint. Jetzt sehen die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu sowie die oppositionsnahe Nachrichtenagentur Anka Erdogan vorn. Nach Öffnung von rund 97 Prozent der Urnen soll Erdogan auf 52,2 Prozent kommen. „Wieder fünf Jahre“, sagt Celik enttäuscht.

Fatih Celik verfolgte im „Südblock“ am Kottbusser Tor die Ergebnisse der Stichwahl. Nach dem ersten Wahlgang hat er nach eigener Aussage die ganze Nacht geweint.
Fatih Celik verfolgte im „Südblock“ am Kottbusser Tor die Ergebnisse der Stichwahl. Nach dem ersten Wahlgang hat er nach eigener Aussage die ganze Nacht geweint.

© dpa/Jörg Carstensen

Er unterstützt den Gegenkandidaten Kemal Kiricdaroglu. Vor zwei Jahren kam der Kurde nach Deutschland, weil er als Erdogan-Kritiker seinen Beruf als Lehrer in der Türkei nicht mehr ausüben konnte. So lange hat er auch seine Familie nicht gesehen. „Aber das ist nicht wichtig. Wichtig sind die Demokratie und der Frieden, auf den ich mit einem Machtwechsel gehofft hatte.“

Auch am Nebentisch im „Südblock“, einem Lokal am Kottbusser Tor, ist die Stimmung gedrückt. „Wir sind einfach nur enttäuscht“, sagt Melis Soyturk, die mit drei Freundinnen hergekommen ist, um die Wahl zu verfolgen. „Ich verliere die Hoffnung“, sagt sie. „Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass Erdogan schon im ersten Wahlgang verliert.“ Ebenso enttäuscht ist sie über Freunde und Bekannte in Deutschland, die Erdogan gewählt haben. „Viele von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen, waren noch nie in der Türkei. Dass sie hier über das Schicksal der Menschen dort entscheiden, fühlt sich nicht gerecht an.“ Sie selbst verließ die Türkei vor zwei Jahren und wird wohl vorerst nicht zurückkehren.

Niemand hat so viel für die Türkei getan wie er.

Tamer E., Deutsch-Türke aus Kreuzberg

Andere Türken feiern hingegen den voraussichtlichen Sieg des amtierenden Präsidenten. Rund um das Kottbusser Tor gab es am Abend vereinzelte kleinere Autokorsos von Unterstützern.

Tamer E. (Foto) sitzt mit seiner Türkeifahne am Brunnen des Mariannenplatzes und zündet sich zufrieden eine Zigarette an. Sorgen hat er sich nicht gemacht, als Recep Tayyip Erdogan und Kemal Kilicdaroglu in die Stichwahl einzogen. „Ich wusste, dass Erdogan gewinnt. Niemand hat so viel für die Türkei getan wie er.“ Flughäfen, Straßen, Krankenhäuser – das alles gäbe es in der Türkei nur dank Erdogan, sagt der 57-jährige Deutsch-Türke. Für ihn sei er kein Diktator, wie viele in Europa gerne sagen. „Er ist Demokrat und hat bei der Wahl die meisten Stimmen geholt.“

Am Mariannenplatz, in der Nähe des Görlitzer Bahnhofes, feiern die Anhänger Erdogans. Immer wieder fahren hupende Autos mit wehenden Türkeifahnen vorbei, die Menge jubelt ihnen zu. 

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Erdogan laut Wahlamt vorn

Nach ersten Hochrechnungen konnte Erdogan bei der Wahl am Sonntag gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen. Rund 61 Millionen Menschen waren in der Türkei zur Abstimmung aufgerufen. Dazu kommen rund 3,4 Millionen im Ausland lebende Wahlberechtigte. In Deutschland sind rund 1,5 Menschen gemeldet, die sich an der Wahl beteiligen durften.

Erdogan galt bereits vor der zweiten Runde im Inland wie im Ausland als Favorit, nachdem er die absolute Mehrheit in der ersten Runde am 14. Mai knapp verpasst hatte.

Die Wahl gilt als richtungsweisend. Erdogan ist seit 20 Jahren an der Macht. Seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern nach dem erneuten Sieg Erdogans vollends in die Autokratie abgleiten könnte. Kilicdaroglu tritt für eine Allianz aus sechs Parteien unterschiedlicher Lager an und verspricht, das Land zu demokratisieren. Nicht nur in der Region, sondern auch international wird die Abstimmung in dem Nato-Land aufmerksam beobachtet. (mit dpa)

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