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Barbara Bertram

© privat

Nachruf auf Barbara Bertram: Dezent exzentrisch

Glücklich wird ein Star, der sich ganz der Rolle und dem Ruhm hingibt, selten im Leben. Bewunderung und Verehrung sind etwas ganz anderes als Liebe

Er war mittelschwer angetrunken. Sie stand da, wie von der Bühne geholt. Er hatte noch nie eine schönere Frau gesehen. Sie noch selten einen seelisch Torkligeren.

„Ich glaube, du solltest vielleicht mal ein bisschen weniger davon …“

Er darauf trotzig: „Ich hab‘s gekauft, dann werd‘ ich‘s auch trinken!“

„Trink doch mal’n Kaffee“, schlug sie begütigend vor.

Er nickte artig, holte sich einen Kaffee und verschüttete ihn prompt. Sie nahm den weißen Schal von ihren Schultern, bückte sich und wischte den Boden damit sauber.

Das geschah im Lebensmittelmarkt, im Februar 2019, da haben sie sich kennengelernt, Thomas und „Bibi“, so nannte er sie mit Kosenamen. Von REWE ging es direkt in seine kleine Laube, wo sie geredet haben, 14 Stunden am Stück, nachdem er den Ofen angeheizt hatte. Gekuschelt und geknuddelt haben sie auch, und nicht mehr voneinander gelassen, bis zu ihrem Tod. Er hat sie vom ersten Augenblick an geliebt. Eine Traumfrau. Rote Haare. Bühnenreif geschminkt. Dezent exzentrisch gekleidet. Sie konnte nicht allzu gut laufen, sie musste zur Dialyse, drei Mal die Woche. Aber sie hatte eine Aura, und einen Lebensmut, der für beide reichte. Fortan gab sie den Ton an, und er tat alles für sie. Ein wenig Harold er, ein wenig Maude sie.

Die Laube wurde aufgeräumt und sollte ausgebaut werden, sie zeichnete die Pläne. In der Stadt wollte sie umherziehen, er organisierte ein Lastenfahrrad und packte sie vorne rein. Gekocht hat er für sie, und ihre Wohnung hat er renoviert. Sie wollten heiraten, verlobt waren sie bereits, aber den Ärzten schien sie zu kränklich. Barbara hat gegen ihre Entmündigung geklagt und gegen die Unterbringung im Pflegeheim, wo sie sich fühlte wie unter wandelnden Toten. Sie war gebrechlich, ja, aber nicht vergesslich, und schon gar nicht lebensmüde. Bei ihm, da blühte sie auf, da war sie ganz sie selbst, weil er ihr charmant zuredete. „Du musst dich nicht schminken, nein, nein, hör auf damit. Du bist schön, wie du bist!“ Bei ihm musste sie sich nicht mehr verstecken hinter der Maske der Diva, die sie nie hatte sein wollen. Denn glücklich wird ein Star, der sich ganz seiner Rolle und seinem Ruhm hingibt, selten im Leben. Bewunderung und Verehrung sind nun mal etwas ganz anderes als Liebe.

Dem Himmel gleich nah wie dem Abgrund

Ihre Mutter, Gisela Uhlen, hatte vorgelebt, was es heißt, eine Diva zu sein. Schreck war ihr eigentlicher Familienname, aber der schien ihr ein böses Omen, und so erfand sie sich neu. Schauspielerin von Kind auf, aber eigentlich Seiltänzerin, so sah sie sich, dem Himmel gleich nah wie dem Abgrund. Sechsmal war Gisela Uhlen verheiratet und immer klug genug gewesen, sich früh zu trennen. Nicht ohne Dramen, nicht ohne Hang zur Selbstvernichtung, wie sie in ihrer Autobiographie gesteht, und beinahe hätte sie ihre Tochter mit in den Tod genommen.

„Eigentlich versuche ich das Thema zu verdrängen“, so Barbara Bertram in einem Interview, „aber es macht mich immer noch betroffen. So etwas vergisst man nie. Meine Mama wollte uns umbringen. Also sich selbst und mich. Sie hatte den Gashahn aufgedreht. Damals 1953 in Berlin. Vorausgegangen war ein extremer Sorgerechts-Streit um mich. Mama war von meinem Vater Hans Bertram getrennt und schon mit Wolfgang Kieling zusammen. Er war es denn auch, der uns gerettet hat. Wie es dazu kam, weiß ich nicht mehr.“

Barbara liebte ihre Mutter, aber der Mann, dessen Name sie trug, Hans Bertram, Regisseur, Abenteurer, Besessener, der machte ihr Angst. Ihrer Mutter auch. Gisela Uhlen floh mit Barbara erst in die Schweiz, dann für einige Jahre nach Ost-Berlin, denn dort konnte Bertram seine Klage auf das Sorgerecht für Barbara nicht durchsetzen. So war sie in Sicherheit vor ihrem Vater, der vermutlich gar nicht ihr Vater war, wie sie erst viele Jahre später erfuhr. Gisela Uhlen wurde von dem ungeliebten Mann geschieden, wieder einmal, und heiratete rasch erneut. „Mutti konnte schlecht an einem Standesamt nur vorbeigehen“. Barbara bekam eine Schwester, und sie waren eine glückliche Familie, aber nicht sehr lange. Denn zur Ruhe kam Gisela Uhlen nie.

Barbara ging nach München, ließ sich zur Graphikdesignerin ausbilden, und begann eine Karriere als Muse, Model und Schauspielerin. Sie war wie ihre Mutter eine atemberaubend schöne Frau, was ihr aber schnell zum Fluch wurde. Denn mit den Männern hatte sie in jungen Jahren kein Glück. Der erste Ehemann heiratete sie von der Bühne weg, nicht irgendeine Bühne, sondern Zadeks Bühne in Bochum. Sie sollte nie mehr zum Theater zurückkehren, das verhinderte die Eifersucht des Gatten, der ihr die Ehe zum Kerker machte.

Sie floh, nahm alle möglichen Jobs an und heiratete ein zweites Mal, aus Liebe, und pflegte ihren Mann, als er an Krebs erkrankte, fünf Jahre aufopferungsvoll. Sie hat sich selbst stets zurückgenommen, weil ihr das Leben wichtiger war als die Karriere. Kaum ein Dutzend Filmrollen hat sie gespielt, zuletzt ein großer Auftritt in dem Kurzfilm „Rezept“, zu sehen auf YouTube. Darin inszeniert sie ein Ringelnatzgedicht, und das mit einer Grandezza, die ahnen lässt, wie sie seinerzeit das Publikum in ihren Bann ziehen konnte.

Ihre eigentliche Bühne aber war das Leben. Sie kannte Gott und die Welt. Klaus Kinski, als er noch den wilden Wüterich gab, und Udo Lindenberg, als er noch trommelte, und all die anderen, die sich zur Bohème zählten. Sie konnte mit jedem umgehen und jedem die Meinung sagen, ohne zu verletzen, weil sie so etwas Sanftes in ihrer Stimme hatte, trotz der rauchigen Tonart.

„Seien Sie ganz liebevoll umarmt“, sprach sie ins Telefon, und „nehmen Sie alles mit einem Funken Humor.“ So der Rat an ihre Freunde, die sie jeden Samstag der Reihe nach telefonisch umsorgte.

Sie war treu, immer schon, und so blieb es ihr erspart, einsam zu sterben. Eigentlich war Badetag, das Wasser war schon eingelassen, die Weißwürstchen im Topf, aber Bibi ist nicht aufgewacht. „Komm meine kleine Maus, was ist denn mit dir los?“ Ihr Körper war schon kalt, aber ihr Gesichtsausdruck noch immer glücklich.

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