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Dominik Bender

© privat

Nachruf auf Dominik Bender: Schweigen erzeugt Bedeutung

Der Spruch auf dem Anrufbeantworter blieb: „Bender, Theater zum westlichen Stadthirschen, guten Tag“

Er sprach. Natürlich sprach er, das Sprechen gehörte wesentlich zu seinem Beruf, er war Schauspieler. Die, die ihn auf der Bühne gesehen haben, reden von Sprachgewalt.

Er sprach nicht. Die, die mit ihm gearbeitet haben, reden von Verstummen, während um ihn herum endlos diskutiert, disputiert, referiert wurde. Dominik war 1982 einer der Gründer des „Theaters zum westlichen Stadthirschen“, das lange als Off-Theater-Variante der „Schaubühne“ galt. Drei Schauspielstudenten der Hochschule der Künste hatten entschieden, nicht an eines der großen Staats- oder Stadttheater zu gehen, sondern eigene Produktionen zu entwickeln, selten gespielte oder vergessene Stücke aufzuführen, dokumentarisches Theater zu zeigen, Prosatexte zu dramatisieren. Das alles im Kollektiv. Und Kollektiv heißt Sprechen. Immer wieder, immer weiter sprechen. Allein die Suche nach dem Namen zog sich über Wochen, warum es dann der „Stadthirsch“ wurde, was nach voralpenländischer Dorfkneipe klingt, weiß letztlich niemand mehr genau, wahrscheinlich ging es darum, die Leute mit dem Provinzwort zu verwirren.

Achternbusch und Jelinek ja, Goethe auf keinen Fall

Nachdem eine Fabriketage in Kreuzberg gemietet war, der Senat Geld bewilligt hatte, ging es mit dem Sprechen erst so richtig los. Man sprach nicht nur darüber, was man unbedingt spielen wollte, sondern mit ebensolcher Vehemenz, was nicht. Achternbusch und Jelinek ja, Goethe auf keinen Fall, hin und her. Die Proben dauerten zwei bis drei Monate, der Raum war erfüllt von Worten, Worten aus den Texten, von denen es noch gar keine endgültige Fassung gab, Worten der Verteidiger und Gegner hunderter Details. Dazu der weniger kreative Alltagskram: Wer putzt wann die Toiletten? Wer übernimmt den Telefondienst?

Dominik lag derweil auf dem Fußboden und rauchte. Drückte schweigend einen Zigarettenstummel nach dem anderen in die Löcher des Betons. Aber plötzlich sagte er doch ein paar Sätze. Und alle hörten auf zu reden. Wenn er schon mal sprach, wollte es niemand verpassen. Meistens war es etwas Kluges, oft etwas Provokantes, manchmal ein Witz. Dann rauchte er wieder. Die anderen hielten noch einen Moment die Luft an, bliesen sie vorsichtig aus. Und redeten weiter.

Auch außerhalb des Theaters beschränkte er die Anzahl seiner Worte häufig auf ein Minimum. Saß an einem gedeckten Tisch, um ihn herum plauderten die Leute, er sagte nichts. Was dazu führte, dass der eine oder andere irrtümlich glaubte, nicht von ihm gemocht zu werden. Schweigen erzeugt Bedeutung. Manche nennen Dominik ein stilles Alphatier. Was missverständlich sein kann. Er war ja kein verstockter Despot. Er spielte wie verrückt, formte die Worte, beherrschte alle Tonlagen, improvisierte, dass es seinen Kollegen die Sprache verschlug. Nebenbei kümmerte er sich um die Buchhaltung des Theaters, die Anträge, die Verträge.

Anbiederung war ihm zuwider. Angebote für lukrative Werbefilme schlug er aus, obwohl er und seine Frau, eine Schauspielerin und Regisseurin, und die beiden Kinder das Geld hervorragend hätten gebrauchen können. Er trug immer die gleichen Klamotten, eine 501 von Levi’s, ein Hemd. Er hasste Pullover, er hasste Hausschuhe. Sein Zimmer zu Hause war das kleinste und kühlste.

Er notierte akribisch die Flugzeugabstürze weltweit

Sorgen musste man sich in jedem Fall um den „Stadthirschen“ machen. Die Mauer verschwand, das Geld wurde gekürzt, die Leute liefen jetzt auf die Brachen und in die Keller im Osten. Nach dem Verlust der Fabriketage trat die Truppe noch eine Weile auf wechselnden Bühnen auf, dann war Schluss. Der Spruch auf Dominiks Anrufbeantworter blieb: „Bender, Theater zum westlichen Stadthirschen, guten Tag.“ Er unterrichtete als Dozent für Schauspiel. Inszenierte und spielte weiter, im „Thikwa“, einem freien Theater für Menschen mit und ohne Behinderung. Erfand für jene, deren Umgang mit den Worten, mit den Assoziationen, die aus den Worten entstehen, keiner Allerweltsnorm folgen, neue Sprachformen. In „Kafka am Sprachrand“ zum Beispiel werden aus Lauten Klänge, aus den Klängen Sprache: „Du musst die Laufrichtung ändern, sagte die Katze und fraß sie. Ja gasam Gongrea hala pena adle Kathe pard Maus pa.“ Mit den Stücken fuhr das Theater auf renommierte Festivals in Zürich und München. Manchmal nahm er auch eine Rolle im Fernsehen an.

Er rauchte, pausenlos. Saß in seinem Zimmer und baute aus tausenden Streichhölzern einen ihn überragenden Turm mit zig Verästelungen an den Seiten. Er litt stark unter Flugangst und notierte akribisch die Flugzeugabstürze weltweit (nur einmal vor 37 Jahren, für seine Hochzeitsreise, hatte er eine Maschine bestiegen). Er sammelte. Leere Espressodosen, die er an den Buchrücken entlang auf die Borde stellte. Leere Olivendosen, die er auf seinem Schreibtisch übereinander stapelte. Er kaufte tausende bunte Glasmurmeln.

Er fotografierte. Lief die Straße entlang, hielt die Kamera in Hüfthöhe und drückte auf den Auslöser. Auf den Aufnahmen nur Beine und Krücken oder nur Beine und Hunde oder nur Beine und rote Schuhe. Er ließ alle Bilder entwickeln. Ein Freund schrieb: „Man lachte halb verzweifelt, wenn man diese Fotos sah.“ Dominik interessierte die Reihe, die Serie von Dingen.

Er rauchte weiter. Es wurde COPD diagnostiziert, eine chronische Lungenkrankheit. Er hörte nicht auf zu rauchen. Wurde depressiv. Sprach immer weniger. Versuchte jemand ein Gespräch, ein paar Sätze, ein paar Fragen, war es zäh, man wusste nicht, was man noch sagen sollte, Dominik verschwand in seinem Schweigen. In der Wohnung hörte man schwere Atemgeräusche.

Eine Psychologin fragte ihn, wie er sich seine nahe Zukunft vorstelle. Er sagte: „Ich stelle mir vor, dass ich auf die Palliativstation komme und nach drei Wochen ablebe.“ Exakt so kam es. Die letzten drei Tage saßen seine Schwester, seine Frau, seine Kinder an Dominiks Bett.

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