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Frank-Guido Blasberg

© privat

Nachruf auf Frank-Guido Blasberg: Ich nach außen, du nach innen

Aufträge kann man ablehnen, einmal, vielleicht auch zweimal, aber irgendwann spricht sich das rum

Im Hospiz sollte Frank nicht sterben, entschieden Nelly und Marie. Die eine war seine Frau, die andere seine Tochter. Sie brachten ihn nach Hause, in die schöne Altbauwohnung im Bayerischen Viertel, wo sie seit mehr als 30 Jahren lebten. Sie gingen jeden Tag mit ihm spazieren, luden Freunde ein, die viel Kaffee tranken und vieles zu bereden hatten. Sein Sterben sollte nicht abgeschottet, still, heimlich geschehen. Je mehr Menschen, je mehr Liebe – umso besser. Ein Pfleger sagte kurz vor Franks Tod zu ihm: „Sie müssen ein lieber Mensch sein, dass so viele Leute sie besuchen.“ - „Von wegen“, antwortete Frank. „Ich bin ein schwieriger Mensch. Die Leute kommen wegen meiner Frau.“ Beide hatten recht.

Dass er sterben würde, konnte Frank nicht akzeptieren. Er hatte Reisen gebucht. Und seine Frau brauchte Hilfe bei ihrer nächsten Ausstellung. Die Drehbücher waren noch nicht fertig. Und dann war da der Verein, gerade gegründet, mit dem freie Filme realisiert werden sollten.

Seine Hände aber, die früher immer in Bewegung waren, ruhten nun. Seine Hektik, die ihn jahrzehntelang durch den Tag rennen ließ, war weg.

Vielleicht noch mal von da vorn

Frank hatte als Kameramann für den RBB gearbeitet, hatte Nachrichten- und Magazinbeiträge gedreht. Da hieß es, fahr nach Brandenburg ins Dorf XY, da ist ein Mensch, der macht dieses oder jenes, dann drehst du einen Aufsager, dann einen Schwenk, noch ein Close Up von den Händen an der Tastatur oder am Trecker, je nachdem, dann ein Abgang. Doch dabei mochte Frank es selten belassen, könnte man nicht wenigstens die Perspektive dieses Mal etwas variieren? Ein anderes Motiv finden? Vielleicht noch einmal von da vorne filmen?

In Frank steckte ein Künstler, der an der Dffb studiert, der eigene Filme gedreht, der bei Wim Wenders „Himmel über Berlin“ die zweite Kamera gemacht hatte. Wim Wenders hatte zu ihm gesagt: Entweder du bist Regisseur oder Kameramann – beides geht nicht. Frank drehte Dokumentarfilme, einen über die DDR im Jahr 1990 zum Beispiel. Ruhige, schöne Bilder. Doch die meisten Aufträge lehnte er ab, sagte ganz offen, dass ein Drehbuch nichts für ihn sei, oder dass er nicht fürs Fernsehen drehen wolle. Für die große Leinwand wollte er arbeiten, für diesen magischen Moment, wenn der Vorhang aufgeht und Hunderte gemeinsam seine Bilder sehen.

Aufträge kann man ablehnen, einmal, vielleicht auch zweimal, aber irgendwann spricht sich das rum, dann ruft keiner mehr an. Vision und Realität sollte man auch in der Filmbranche gut unterscheiden.

Für seine Tochter war Frank auch schwierig, ab und an, denn er hatte seine Stimmungen. Liebevoll war er, hörte zu, nahm sie ernst, zusammen schauten sie viele Filme und analysierten sie. Dann wieder warf er mit Worten um sich wie ein zorniger Junge.

Als Kind hatte es Frank an nichts gefehlt. Ein schönes Haus, ein großer Garten am Rand von Solingen. Er war das Nesthäkchen, der Nachzügler, geliebt und gehätschelt. Und er bewunderte seinen Vater, ein Patriarch der angenehmen Sorte. Er besaß eine Fabrik, in der Autoteile verchromt wurden. Frank hatte ein großes, gemaltes Porträt von ihm: ein gut aussehender Mann mit markantem Kinn am wuchtigen Schreibtisch im Direktorenzimmer, Dreireiher, Einstecktuch, Manschettenknöpfe. Das Bild stand zentral platziert in Franks Arbeitszimmer.

Allein mit all seinen Gefühlen

Frank war 12, als sein Vater plötzlich starb. Ein Schock, auch für die Mutter. Monatelang musste sie in die Psychiatrie. Zurück blieb Frank, allein mit all seinen Gefühlen. Die Nachbarn versorgten ihn mit dem Nötigstem. Als die Mutter wieder da war, brauchte sie lange, um ihre Rolle wieder einzunehmen.

Franks Jugend: mit den Freunden Motorrad fahren, mit Mädchen im Arm angeben; der Kunstlehrer, der ihn inspirierte. Nach dem Abi ging Frank nach Texas. Er hatte sich ein Stipendium für ein Informatikstudium organisiert, so weit weg wie möglich. Doch anstatt Nullen und Einsen zu sortieren, drehte er lieber Kurzfilme – über Leute, die schnell gehen, zum Beispiel, Protagonisten: die Füße. Also weiter nach San Francisco zu einem Kunststudium. Und 1984 nach Berlin.

Das erste Mal sahen sich Frank und Nelly im Kino Arsenal – eine Freundin hatte das Treffen arrangiert. Eigentlich hatte Nelly genug von den Filmleuten; sie musste sich von der Beziehung mit einem Regisseur erholen. Es dauerte ein halbes Jahr, bis sie sich bei einem Essen in großer Runde wiedersahen. Er saß neben ihr, wieder hatte die Freundin alles arrangiert. Sie redeten, auf einmal hielt er ihr auffordernd seine Gabel hin, dabei schaute er ihr in die Augen, so liebevoll. Sie bemerkte seine Hände, so schön. Eigentlich wollte sie ja in ihre Heimat zurück, nach Griechenland, doch in diesem Moment dachte sie: „Mit dem hier möchte ich alt werden.“

Sie zogen zusammen, sie bekamen die Tochter, sie liebten sich. Da war der feinfühlige, sensible Frank, der Nelly bedingungslos vertraute, der ihr selbstverständlich bei ihrer Arbeit als Fotografin zur Seite stand. Der ohne zu zögern anderen sein Auto lieh oder seine wertvolle Kameraausrüstung. Der da war, wenn jemand Hilfe bei seinen Projekten brauchte. Und immer glaubte Frank fest daran, dass alles gut werden würden. Manchmal aber, wenn er gestresst und überfordert war, ging er an die Decke. „Ich wende mich nach außen, du nach innen“, sagte er zu Nelly.

Sein Frust mit der Arbeit legte sich, als seine Filmfreunde beschlossen, sich regelmäßig zu treffen, um zusammen an Ideen zu basteln, an Drehbüchern zu arbeiten. Das war sein Elixier: kreativ sein, sich austauschen, über Filme sprechen, übers Leben und die Liebe und den Tod. Aus keiner der Ideen wurde was, aber das machte nichts.

Als der Arzt anrief, im April 2022, waren Nelly und Frank gerade in Griechenland. Er solle sofort nach Hause kommen. Es sei wichtig.

Die Reise unterbrechen? Was soll schon Schlimmes sein? Es war Krebs. Wie ungelegen. Chemo? Er wollte doch noch nach Italien. Operation? Wie ungelegen. Da war doch die Ausstellung von Nelly. Der Krebs würde ihn doch nicht vom Leben abhalten! Tat es dann aber doch.

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