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Heike Gödecke

© privat

Nachruf auf Heike Gödecke: Immer wieder fort

Alle Etappen ihres Lebenslaufs hatte sie gut eingeteilt, aber auf der letzten verlor sie die Kontrolle

Etwas Besseres als den Tod findest du überall“, ermunterte der Esel den Hahn und den Hund und die Katze, und geboren war die erste Senioren-Beatband, besser bekannt unter dem Namen „Bremer Stadtmusikanten“. Es braucht immer ein wenig Mut, um voranzukommen im Leben, und ein wenig Glück, beides hatte Heike lange Zeit. Als die Luftangriffe auf Bremen zunahmen, wurde sie mit ihrer Familie nach Stockelsdorf evakuiert, in ein Herrenhaus nahe Lübeck, wo viele Kriegsflüchtlinge untergebracht waren. Heikes Mutter konnte gut kochen, und sie lud auch gern ein, Menschen aus dem Haus oder der Umgebung. Das sprach sich herum, und so gab es immer Lebensmittel, selbst in der größten Not.

Der Vater war Kaufmann, Export-Import, nichts Großes, es reichte fürs Leben, für die Kinder und für den gewissen Anspruch, den man haben muss als Hanseat. „Werde nicht wie deine Schwester Elke!“, warnte der Vater Heike immer, denn Elke war wie er selbst, lebens- und liebeslustig.

Den Ratschlag hätte es nicht gebraucht. Heike ruhte von klein auf sehr in sich. Eine gute Schülerin, eine gute Freundin, eine gute Schwester mit einem Lächeln für alle. Elke und sie teilten sich die Lebensaufgaben: Elke bekam die Kinder, sieben an der Zahl, während Heike sich fleißig ihrer Ausbildung als Buchhalterin widmete. Ihr Stolz ließ sie sorgfältig wählen, für wen sie arbeitete. Die familiengeführte Traditionsrösterei „August Münchhausen“ sollte es sein, und dort war der Eigner und Patriarch auch sehr traurig, als sie nach der Ausbildung für zwei Jahre nach England ging. Sie wollte etwas sehen von der Welt, und ihr Englisch sollte sich verbessern, und etwas Gutes tun wollte sie auch, also arbeitete sie in London als Hilfskrankenschwester.

Wie immer mit Bedacht

Nach ihrer Rückkehr heuerte sie bei der Reederei „Norddeutsche Lloyd“ an, auch ein Traditionsunternehmen, für das große Passagierschiffe wie die „Bremen“ und die „Europa“ über die Weltmeere kreuzten. Heike allerdings ging nur an Bord, wenn es kurz vor der Abfahrt von der Columbuskaje um die Buchhaltung ging. Die Hamburger haben das Tor, sagte sie immer stolz, aber wir haben den Schlüssel, den Bremer Schlüssel, der im Stadtwappen zu sehen ist, derselbe, den Petrus persönlich von Jesus erhalten hat, um den Menschen den Himmel aufzuschließen.

Heike sah das eher norddeutsch bodenständig und wechselte 1968 nach München, zu den „gelben Engeln“, dem ADAC, und arbeitete im hauseigenen Verlag. Was sich insofern als himmlische Fügung herausstellte, als sie dort von einer Kollegin deren Bruder als Freund und späteren Ehemann übernahm. Joachim arbeitete als Lehrer in Berlin, was gehörig an den Nerven zehren kann, und so war er sich mit Heike einig, dass sie auf eigene Kinder verzichten würden. Auch wenn es folglich keinen Anlass gab, sofort zu heiraten - das geschah erst 16 Jahre später -, so wollte sie doch von Anfang an in seiner Nähe sein. Also wechselte sie den Arbeitgeber, wie immer mit Bedacht. Im Frühling 1975 hatte sie sich verliebt, im Herbst trat sie ihre Stelle beim angesehenen „De Gruyter Verlag“ in Berlin an, bei dem sie bis zur Rente blieb. Sie erledigte die englische Korrespondenz und repräsentierte den Verlag auf der Frankfurter Buchmesse, was ihr leichtfiel, denn sie hielt etwas auf sich, auch was das Aussehen anging.

Geschäftsreisen mied sie ansonsten, die wirklich aufregenden Expeditionen unternahm sie mit Joachim: Ägypten, Jordanien, Südafrika. Als Muschelsucherin wandelte sie auf Rosamunde Pilchers Spuren gemeinsam mit ihrer Freundin in Cornwall. Ansonsten verbrachte sie ihre Ferien am liebsten auf Fehmarn, mit dem Rad oder zu Fuß.

Heike war gern schnell unterwegs, viel schneller als Joachim und viele andere. Also schloss sie sich einer Laufgruppe an, ein großes Ziel vor Augen, auf das hin sie ein Jahr intensiv trainierte: der Berlin-Marathon. Kurz vor ihrem 65. Geburtstag lief sie die 42,195 Kilometer in 5 Stunden und 36 Minuten. „Ein Marathon ist wie ein gesamtes Leben“, beteuert Eliud Kipchoge, einer der berühmtesten Läufer der Welt, „voll von Herausforderungen, von Höhen und Tiefen, von unterschiedlichen Emotionen. Vieles spielt sich in deinem Kopf ab, du begegnest Problemen und löst sie.“

Aber nicht alle Probleme lösen sich so spielerisch. Als sie wieder mit dem härteren Training beginnen wollte, wurde Osteoporose diagnostiziert. Ihre Laufstrecken wurden kürzer, aber ihre Begeisterung für die Leichtathletik nicht kleiner. Die Weltmeisterschaft 2009 in Berlin brachte ihr einen neuen Lebensgefährten und Liebling, Berlino, das bärige Maskottchen, der ihr nicht mehr von der Seite wich, vor allem, als die Demenz sie heimsuchte. Ohne Berlino kein Frühstück und kein ruhiger Schlaf, und „Linchen“, wie sie ihn nannte, musste auch beim Spaziergehen dabei sein, wie vor Jahren „Linchen“, der Hund der Nachbarin, mit dem sie weite Streifzüge unternommen hatte. Aber die Erinnerungen daran schwanden, was blieb, war ihr Wille, der Gegenwart zu entkommen.

Heike hatte sich alle Etappen ihres Lebenslaufs gut eingeteilt, aber auf der letzten verlor sie die Kontrolle. Du kannst vielem im Leben davonlaufen, der Demenz nicht. Auch wenn sie es immer wieder versucht hat, zum Kummer Joachims. Immer wieder wollte sie fort, hin zur Mutter, die längst tot war. Sie war ja schnell auf den Beinen, die Pflegekräfte kamen kaum hinterher, eine Gefahr für alle, denn sie achtete nicht auf den Verkehr. Die Polizei hat sie heimgebracht, immer wieder, sie strahlte, weil die Beamten so nett waren, und lief bei der nächsten Gelegenheit wieder davon. Sie hat die Krankheit nie angenommen, wie viele Menschen mit Demenz.

Es ist eine Krankheit der Angehörigen, die all ihre Kräfte aufbieten müssen, wissend, dass sie nicht genügen. Die Krankheit siegt immer. Läufer haben ein großes Herz, weil sie sportlich sind, und weil sie wissen, dass es bei jedem Rennen auch Verlierer gibt. Aber das ist nicht weiter schlimm. Wer so mutig zum Rennen angetreten ist, hat schon gewonnen.

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