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Heiko Knauer

© privat

Nachruf auf Heiko Knauer: Etwas stimmte nicht

„Ich werde ganz groß im Lotto gewinnen, dann lade ich euch alle ein.“

Er mochte Menschen, deshalb wollte er Arzt werden. Dafür gab er alles, aber es war nicht genug. Und so log er sich sein Leben zurecht. Seine Abiturnote hatte nicht genügt für die sofortige Zulassung zum Studium der Medizin. Also ließ er sich zum Medizinisch-Technischen Assistenten ausbilden und bekam dann, nach langer Wartezeit, den Studienplatz. Er studierte, erfolgreich, so berichtete er es stolz seiner Familie. Seine Mutter hatte vorgelebt, was Wille vermag. Sie hatte nie studieren dürfen, kümmerte sich um die drei Kinder, um sich noch mit 40 zur Krankenschwester ausbilden zu lassen.

Satt und sauber wurde er erzogen auf dem Dorf, nicht übermäßig liebevoll, aber es war auch nicht die Zeit der großen Zärtlichkeit. Er war ein wenig rebellisch, ein wenig Hippie im Herzen, er konnte Gitarre spielen und singen, so dass sich keiner die Ohren zuhielt. Ein wenig moppelig war er, deswegen wurde er zuweilen gehänselt. Das mit der Liebe zu den Menschen war ihm ernst, da wollte er vor Ort anpacken, als Praktikant in der Behindertenarbeit und dann natürlich als Arzt, weltweit. Das Examen schien kein Problem, beruhigte er die Familie, alles gehe seinen Gang. Tatsächlich schaffte er nicht einmal die Zwischenprüfung. Eine Tragödie!

Eine Tragödie habe ihn daran gehindert. Dieses Gerücht streute er im Freundeskreis. Seine große Liebe habe er getroffen. Verlobung. Sie wurde schwanger. Aus heiterem Himmel die tödliche Diagnose: Leukämie. Das Kind starb mit ihr. Ein Unglück, auf dass er nie näher einging. Einen Namen gab er nicht preis. Ein Bild zeigte er nie vor. Das hat ihn aus der Bahn geworfen. Er schmiss deshalb sein Studium hin, so ließ er durchblicken. Er war wiederholt durch die Zwischenprüfung gefallen, so die Fakten.

Zurück ins Leben

Was stimmt: Damals hat er sich ganz und gar zurückgezogen. Er fraß den Kummer in sich hinein. Er wurde dicker und dicker, wog schließlich 150 Kilo. Hauste in einer kleinen Wohnung, die nie jemand betreten durfte. Sah die Serien seiner Kindheit: „Daktari“, was auf Swahili so viel heißt wie Arzt, Heiler, Doktor.

Um die Jahrtausendwende fand er langsam zurück ins Leben. Er nahm gelegentlich Jobs an, als Pflegehelfer, arbeitete im Schlaflabor, überwachte Patienten. Die Liebe zu den Menschen hatte ja nicht gelitten, nur die Liebe zu sich selbst. Er war sehr redegewandt, weltoffen, wenn er wollte, herzlich geradezu. Nur Pflichten, die ihn selbst betrafen, wollte er nicht erfüllen. Er war es sich nicht wert.

Träume gab es, er hatte Freunde in Frankreich, in der Bretagne, wo er 2019 einen wunderschönen Sommerurlaub verbrachte. Er ist rumgestapft an der Küste, hat mit seiner neuen Kamera tausend Fotos gemacht, die er unsortiert an die Freunde verschickte. Er selbst war eher scheu. Wenn er gemerkt hat, dass er fotografiert wurde, machte er Faxen. Er wollte nicht erkannt werden. Er wollte großzügig sein, sich verschwenden. Der Hang zur Fülle, auch beim Einkaufen, die Angst, dass nicht genug da ist. Die Freude, mit anderen zu teilen.

Er wäre so gern nach London gereist, aber nicht allein. „Ich werde ganz groß im Lotto gewinnen“, versicherte er, „dann lade ich euch alle ein.“ „Aber spielst du denn überhaupt“, kam dann die Frage. „Nein, nein, ich spiele nicht …“

Auch seinen Geburtstag wollte er endlich einmal groß daheim feiern: „Ich lade euch alle ein“, versprach er wiederholt, „dann ist alles in der Wohnung aufgeräumt, nächstes Jahr.“

Vor drei Jahren die Diagnose: Magenkrebs. Er hat abgenommen, schrumpfte geradezu auf die Hälfte. Die Schwester kümmerte sich um ihn, aber auch sie ließ er im Unklaren über Vieles. Freunde sorgten sich, aber ganz nah ließ er noch immer keinen ran, auch die Frau nicht, in die er sich fast noch einmal hätte verlieben können. Und die ihre Fragen in Versen an ihn richtete, nach seinem Tod: „Hallo Heiko, / noch immer kann ich unseren WhatsApp-Verlauf lesen / Als könnte ich weiter schreiben - als wäre nichts gewesen / Was würde ich dir noch ‚einfach‘ und endlich sagen? / Und vor allem würde ich es heute mit mehr Fragen wagen?“

Welche Frage hätte man ihm stellen sollen? Er wich ja allen aus. Ließ sich ungern helfen. Als er kein Krankengeld mehr bekam, hat er keine weitere Unterstützung beantragt, sondern borgte bei der Familie und bei Freunden. Füllte keine Anträge aus, stapelte Unerledigtes zu Müllbergen. Und erfand Geschichten, um sich zu entschuldigen: „Mein Konto wurde gehackt.“

„Du warst offen, hast erzählt - doch was erfuhr ich wirklich über dich? / Wann ließ das Leben - du dich selbst in Stich? / Und warum kamst du nicht über's Träumen hinaus? / Warum wissen wir so wenig - hast du uns nicht gelassen in dein Haus? / Wie schade - ich kann dich nun nicht mehr fragen …“

Etwas stimmte nicht, das spürte jeder. Er konnte sehr kleinteilig erzählen, ganz, ganz klein, endlose Telefonate, alle Begebenheiten klitzeklein gereiht. So wird das Leben auch voll. Er hat immer wieder bestimmte Dinge wiederholt, Termine Geburtstage, feste Daten, vermutlich um sich nicht in seinen Lügen zu verstricken. Und er wollte ja dabei sein im Leben der anderen, irgendwie.

Chemotherapien brachten keine Heilung. Er wollte noch dies und jenes, in Neuseeland eine Bekannte besuchen, auf den Fernsehturm hoch, endlich sein Leben überblicken. Im nächsten Moment war ihm danach, die Decke über den Kopf zu ziehen und einzuschlafen, im übernächsten kam die große Wut, dann wollte er zum Gewehr greifen und einfach losschießen. Aber eigentlich war ihm nur nach mehr Liebe zumute: „betrachte dich als umarmt“, „fühl dich gedrückt“.

Er starb allein in seiner Wohnung.

„Dein so oft nicht gelebtes Leben in mir Trauer macht / Ach Heiko du hinterlässt uns mit so viel Spekulationen / In uns werden nun auch deine Geheimnisse wohnen / Danke für die Begegnungen mit dir / Und ein Nachdenken über mein Leben in mir.“

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