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Heino Fröhlich

© privat

Nachruf auf Heino Fröhlich: Maximale Wirkungstreffer

Er kaufte eine alte Druckerei. Die beste Tat seines Lebens, fand er, denn fortan hatte er ein Zuhause.

Geweint, herzzerreißend geweint? Hat er das letzte Mal am 8. Mai 2004, als der SV Werder Bremen auswärts mit 3:1 gegen den FC Bayern München gewann und vorzeitig Deutscher Meister wurde.

Als er zwölf war, wurde sein Vater beim Rangieren von Landmaschinen überfahren, daheim in Basdahl bei Bremervörde. Die Mutter blieb allein mit drei Kindern, und dem Hof, der wenig einbrachte und viel Arbeit machte. Umso mehr als Heino lieber mit einem Buch unterm Apfelbaum lag. Also übernahm der Bruder den Hof, und Heino machte eine Lehre als Buchdrucker. Studieren war zu teuer. Er hat früh geheiratet, wie sich das gehört auf dem Land, und noch vor der Scheidung eine Tochter bekommen. Aber das war es dann auch schon mit dem glücklichen Dorfleben. Treu sein konnte er von Anfang an nicht, dafür sah er zu gut aus, und da er auch noch ein witziger Kerl war, mochte ihn kaum eine von der Bettkante stoßen. Als sich im Landkreis alle Liebschaften erschöpft hatten, zog er nach Berlin. Da suchte er sich vor allem kluge Frauen, denn er hatte ja noch einiges nachzuholen an Bildung.

Erst hat er in einer Druckerei gearbeitet, „Bücher gegen das Vergessen“, später musste er Zigarettenschachteln bedrucken, das war nicht seins. Was nicht seins war, tat er lautstark kund. Deswegen war er in der SPD und in der Gewerkschaft. Deswegen zog er jeden 1. Mai los mit Transparent und Wut im Bauch. Und samstags am Infostand der Partei stritt er mit jedem, der so gerne stritt wie er.

Er konnte sich so gut streiten mit ihr

Er hat noch einmal geheiratet, Sylke, deren Nachnamen er annahm, weil der ihm so gut gefiel. Er wurde wieder Vater, zweimal, aber weder mit der Tochter noch mit dem Sohn fand er so richtig den Einklang.

18 Jahre hielt die Liebe, immerhin, und er hätte auch nicht losgelassen, denn er konnte sich so gut streiten mit ihr, und sie kümmerte sie um die Kinder und den ganzen Rest. Das war es, was er unter Emanzipation verstand, dass die Frauen die Hausarbeit selbständig erledigen. Als die Druckbranche in die Krise geriet, hatte er auch seine Krise. Er fing an, Nordmende-Kofferradios zu sammeln, Pinguine in allen Varianten und Kugelschreiber, die er über seinem Bett an einer Leine aufgehängte. Und manchmal, wenn er gut drauf war, hat er seinen Lieblingssender eingestellt und die hundert Radios gleichzeitig laufen lassen.

Über gesunde Lebensführung war mit ihm nicht zu reden. Er hat gern geraucht und die Mengen getrunken, die ihm seelisch guttaten. Punkt. Ob die Sterne lügen oder nicht, Steinbock bleibt Steinbock. Er hat gern Grünkohl gegessen und legendäre Grünkohl-Partys gefeiert, auf denen stets ein Grünkohl-König und eine Königin gewählt wurden, bis der Schnaps wieder gehörig für Anarchie sorgte.

Die beste Tat seines Lebens

Ein erster Schlaganfall warf ihn ein wenig aus der Bahn, aber die Ärzte flickten das kleine Loch im Herz, und mit dem Geld, das er von einer Lebensversicherung bekam, übernahm er eine alte Druckerei in Charlottenburg. Die beste Tat seines Lebens, fand er, denn fortan hatte er ein Zuhause. Feinstes Büttenpapier, für alle die noch Briefe schreiben konnten. Edle Visitenkarten, die sich nach einem besseren Leben anfühlten. Die Prominenz ging ein und aus.

In seinem Schaufenster hingen Bilder von Keith Richards, Willy Brandt und Johnny Cash, da wussten die Kunden gleich, mit wem sie es zu tun hatten. Er war bekannt im Kiez, das stand auch so schon in der Zeitung, und ist online nachzulesen, wie stolz er auf sein Handwerk war, und auf seine Kunden, die seine gute Arbeit zu schätzen wussten. Ansonsten führte er sein Leben weiter, wie er es für richtig hielt. Jede Woche spielte er Doppelkopf bei der „Dicken Wirtin“, trank ordentlich Rotwein gegen die Arterienverkalkung und diskutierte so lautstark und meinungssicher über Politik, bis keiner mehr auf ihn hörte. Er liebte maximale Wirkungstreffer, wenn er stritt. Ungeachtet aller emotionalen Folgekosten. Deswegen hat er es auch mit seinen Kindern nicht mehr so wirklich auf die Reihe gekriegt, auch wenn er seine jüngere Tochter gern in die Werderkneipe „Wilde 13“ oder zum Auswärtsspiel mitnahm.

Auch mit den Frauen lief es nicht mehr ganz so rund zum Schluss. Er war ein wenig erstaunt, dass trotz seiner charmanten Anfragen keine mehr für ihn waschen und kochen wollte. Also kaufte er sich Fertiggerichte und stapelte die leeren Verpackungen als Vorwurf an all die ferngebliebenen Versorgerinnen. Die Welt wurde kleiner um ihn herum, die Leute, die mit ihm streiten wollten, immer weniger. Er hatte noch sein kleines Biotop im Bioladen. Seine Druckerei verließ er nur noch ungern.

„Ich fall irgendwann an meiner Maschine um“. Aber so einfach ist das nicht mit dem Wünschen. Bleivergiftung oder ALS, worunter genau er litt, wollte er nach einer ersten Diagnose gar nicht mehr erfahren, weswegen er die Ärzte fortan mied. Ebenso wie die Waschsalons. Wenn seine Klamotten dreckig waren, hat er neue gekauft. Die alten stapelten sich, bis eine verbliebene Fürsorgerin sie wegräumte. Zuletzt tat das nur noch seine Tochter.

Er konnte nicht mehr allein nach einem weiteren Schlaganfall. Im Altenheim in Rummelsburg nannten ihn die Pflegekräfte „Rock‘n Roll“, weil er im Stones-Shirt im Rollstuhl saß und lautstark die Schlager- und Volksmusiknachmittage boykottierte. Er war einfach viel zu jung für die Senioren um ihn herum, aber die hatten ihren Spaß mit ihm. Die Pflegekräfte weniger, denn wenn sie ihn aus dem Bett ließen, hatte er meist nur Tollereien im Kopf.

Den älteren Damen gefiel’s, sie rissen sich darum, beim Kuchennachmittag neben ihm zu sitzen. Er hatte so was Anrührendes, Kindliches, manchmal auch Trauriges, denn er wäre ja schon gern noch mal in seinem alten VW-Bus hinausgefahren in die Welt, oder zumindest an die See, wo er auch bestattet werden wollte. Vom Paradies hatte er eine ganz klare Vorstellung: Ein Campingplatz, nah der Nordsee. An der Angel eine Lachsforelle. Hinterm Zelt der Räucherofen. Vor dem Zelt ein Mast mit der siegreich flatternden Werder-Fahne. So einfach geht das gute Leben, Leute!

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