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Ilona Riediger

© privat

Nachruf auf Ilona Riediger: Ein bunter Mensch im grauen Land

Als sie Verwandte im Westen besuchte, staunten diese. Soviel Geschmack und Stil hatten sie dem Osten überhaupt nicht zugetraut

Von Judka Strittmatter

Wo sie unterwegs war, Leute traf, mit ihnen arbeitete oder feierte, war alles ein Stück bunter, leichter, heiterer. Sie war ein Farbtupfer in ihrer Welt, ein Hingucker, ein bunter Mensch. Gerade zu DDR-Zeiten war das ein Labsal, wo vieles grau und still war. An Ilonas Tisch donnerte ihr Lachen, wurde herumgealbert, Quatsch erzählt.

In ihrer Nachbarschaft nannten viele sie „die Französin“, die grazile Frau mit Strahlemund und Huskyaugen, Stil und Laissez faire. Sie hätte ein leibhaftiges „Sibylle“-Model sein können, direkt der Modezeitschrift entsprungen. Das wog im Osten um einiges mehr, Paradiesvögel kamen schon qua Staatsdoktrin nicht vor.

Da es in den HO-Kaufhäusern kaum etwas gab, das ihren Ansprüchen genügte, nähte sie sich ihre Sachen selbst, färbte Stoffwindeln, trug Fleischerhemden, Bäckerjacken, besorgte sich gemeinsam mit Freundinnen Schweißerhemden aus einem Stickstoffwerk bei Wittenberg, die von Arbeitern an den Karbid-Öfen getragen wurden. Die Baumwollstücke sahen wie gehäkelt aus.

Dazu ein bunter, langer Stufenrock und die Freiheit, den BH wegzulassen – so war Ilona, emanzipiert, ermächtigt, eigen. Später war sie Stammkundin im „Exquisit“, nicht immer, um die teure Lizenzware gleich zu kaufen, Inspiration reichte oft völlig aus. Es war ihr wichtig, auch Mann und Sohn gut auszustatten.

Am Bratwurststand sah er sie mit Steghosen und Kopftuch

In Dessau wuchs sie auf, nicht weit vom Bauhaus, die Eltern Arbeiter, aber nicht grau und eingefallen, sondern ein Paar, das Blicke auf sich zog. Die Mutter elegant, der Vater ein Gesicht wie Jean Marais: Stahlblick, Knautschvisage. Ilona, das zweite Kind weit nach dem großen Bruder, war sein Liebling, was ihn nicht davon abhielt, auch streng und manchmal jähzornig zu sein.

Mit 15 verliebte sich Ilona in Kurt, einen schmucken Wittenberger, 17 Jahre, Typ junger Trintignant. Es war der 13. Dezember 1964, er wollte sich in Dessau einen Anzug kaufen. Auf dem Weg zum Kaufhaus war ein Weihnachtsmarkt, am Bratwurststand sah er sie mit Steghosen und rotem Kopftuch, sie gefiel ihm prompt. Und: Sie lächelte ihn an.

Als er zwei Stunden später – ohne neuen Anzug – an derselben Stelle wieder vorbeikam, stand sie noch immer dort. Er sprach sie an, ein schüchternes Geplänkel, er bot ihr an, sie nach Hause zu begleiten. Und wich seither nie mehr von ihrer Seite bis zu ihrer letzten Stunde.

Sie schrieben sich Briefe, er fuhr mit dem Motorrad zu ihr, sie gingen im Bauhaus-Café Kuchen essen. Ein schönes Paar, das wie alle seine Hochs und Tiefs hatte, auf das aber viele ihre Sehnsüchte projizierten von Verliebtsein, Glück und Ewigkeit.

Ilona lernte Zahnarzthelferin, wurde Revisorin bei einer Versicherung, die meiste Zeit ihres Lebens aber war sie die gute Fee in einer Autoreparaturwerkstatt. Nebenbei jobbte sie in einem Modelädchen.

Kurt studierte Maschinenbau, die erste gemeinsame Bleibe war sein Kinderzimmer. Sie fragte ihn, ob er sie heiraten wolle, sie wartete nicht, bis er sich hinknien und den Antrag machen würde. Sie wäre auch nicht hyperventilierend aus allen Wolken gefallen, wenn er sie gefragt hätte. Hochzeit war kein Riesending, Frauen suchten keinen Versorger. 1969 wurden Ilona und Kurt die Riedigers.

Zwei Jahre später, 1971, bekam Ilona ihren Sohn, irgendwie kein Wunder, dass sie ihm einen französischen Namen gab: Guy. Wie: de Maupassant. Eine Übermutter war sie nicht, Guy blieb ein Einzelkind. Dafür aber hatte er coole Eltern, die ein schönes Haus einrichteten und immer schicke Autos fuhren, eine Rarität im Osten. Mal einen Mazda 323, mal einen Lada Niva. Damit fiel man auf im Trabbiland. Auch in die Disco ging Guy mit Ilona und Kurt. Da waren sie um die 40 und ließen es oft lauter krachen als er selbst.

Raunen und Staunen

Als Kurt Verwandte im Westen besuchen wollte, schlugen ihm die DDR-Behörden den Wunsch aus. Ilona hingegen durfte fahren. Die Verwandten gingen beim Anblick von Kurts Angetrauter in die Knie: Soviel Geschmack und Stil hatten sie dem Osten überhaupt nicht zugetraut. Auch gleich nach dem Mauerfall – Kurt arbeitete die Woche über bei Esso in Hamburg – ließ seine Frau die Münder offenstehen. Er nahm sie mit zu einer Betriebsfeier, und das Raunen und Staunen der Ahnungslosen hörte den ganzen Abend nicht mehr auf. Du bist aus dem Osten? Das hätte ich nicht gedacht!

Die Wende überstanden die Riedigers ganz gut, Ilona weiterhin in ihrem Autoladen. Kurz überlegte sie, mit einer Freundin einen Klamottenladen zu eröffnen. Doch beide scheuten schließlich den Behördenkram. Aber das schöne Leben und das Sich-schön-machen blieb ihr immer wichtig, im neuen Deutschland eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten.

Die Zeit, in der sie selbst gewerkelt und genäht hatte, vergaß sie dennoch nie, da hatte es mehr Platz gegeben für die eigene Phantasie. Mit Anfang 60 wurde Ilona Oma und besuchte oft das Enkelkind in Lübeck. Sie reiste endlich in der Welt herum mit ihrem Kurt und war einem Sektchen, egal warum und zu welcher Tageszeit, nie abgeneigt. Alles in Maßen, nur aus Lebensfreude.

Dann die Diagnose: Atypisches Parkinsonsyndrom. Ilonas Lachen war noch da, doch es wurde leiser, man konnte der Frohnatur beim Verschwinden zusehen. Sie starb nach einem Jahr.

Ihre Abschiedsfeier war ein helles, schönes Zusammenkommen von Freunden und Familie. Niemand trug Trauerkleidung, alle schauten auf die wunderbaren alten Fotos, Ilonas Lieblingslieder wurden noch einmal gespielt. Sohn Guy hielt eine anrührende Rede, und als fast alle schon gegangen waren, spielte ein Trompeter „Amazing Grace“.

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