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Josef Schulte

© privat

Nachruf auf Josef Schulte: Was für eine wunderbare Gewissheit!

Der Pater hatte nie allein gelebt, immer waren Brüder um ihn herum gewesen. So kam der Franziskaner noch bei den Dominikanern unter

Wenn Pater Josef etwas Bemerkenswertes gedacht, erlebt oder gefühlt hatte, trug er es mit seiner eleganten Handschrift in ein Notizbuch ein. Das sei eine gute Methode, sich seiner klar zu werden, sagte er einmal. Doch diese Büchlein waren vor allem eine Fundgrube für seine Predigten. Manche meinen vielleicht, dass das Predigen das war, wofür der liebe Gott ihn auf die Welt geschickt habe. Zu denen gehörte er selbst jedoch nicht. Für ihn war Gott nicht der Lenker, der hinter den Kulissen die Fäden zieht. Vielmehr, meinte er, sei Gott ein Geheimnis, das man auch mal so stehen lassen könne.

Am Montag oder Dienstag las er die Bibeltexte für den kommenden Sonntag. Er lauschte in sich hinein, was sie in ihm auslösten, griff in den Bücherschrank, zog ein Buch heraus von Morgenstern, Buber, Ringelnatz oder, warum denn nicht, Karl Marx. Oder eine Sammlung von Aphorismen und Sentenzen, ein ganzes Regal hatte er davon. Oder er sah sich Kunstwerke zum Thema an. Dann hielt er seine Gedanken in Notizen fest. Es waren immer nur Notizen. Nie las er eine ausformulierte Rede ab. 

Sonntags dann, um zwölf, zu seiner „Messe für Ausgeschlafene“, zog er sich den Franziskaner-Habit an, begrüßte freundlich die Gemeinde in der Kirche, und dann sprach er, ruhig, bedacht, und es war, als berichte da jemand mitten aus dem Leben. Die Leute liebten es und kamen zu hunderten aus ganz Berlin in die St. Ludwigs-Kirche in Wilmersdorf. Eine Dame nahm die Predigten auf, verschriftlichte sie und versandte sie per E-Mail an einen immer größer werdenden Verteiler.

Josef kam vom Dorf, Boke heißt es und liegt bei Paderborn. Sein Vater war ein Bauer. Trecker fahren, die Kälber versorgen, Stroh abwerfen: Auf dem Hof war für Josef und seine drei jüngeren Geschwister viel zu tun. Es wurde gebetet, der Sonntagsgottesdienst war Pflicht. Erst ging Josef in die Dorfschule, dann wechselte er auf ein Franziskaner-Gymnasium und schließlich auf ein Franziskaner-Internat, das 200 Kilometer entfernt in den Niederlande lag.

Seine Eltern wussten, dass aus ihm kein Bauer werden würde, zu feingeistig war er. Im Internat kamen die jüngeren im Schlafsaal unter, die älteren hatten eigene Zimmer. Der Tag begann um sechs mit einer Messe, dann Frühstudium, anschließend Frühstück. Um 8 Uhr 10 startete der Unterricht, Latein, Altgriechisch, manchmal Sport, weitere Messen und wieder Selbststudium. Um neun am Abend gingen die Lichter aus.

Fast alle aus seiner Abschlussklasse ergriffen einen geistlichen Beruf. Am 9. März 1962 machte Josef Abitur, am 9. April trat er dem Franziskanerorden bei, sechs Jahre später erhielt er die Priesterweihe. Josefs Mutter hatte in einen Brief geschrieben, dass er kein Bruder werden müsse. Er könne ohne Scham nach Hause zurückkehren. Umsonst. „Was ist das für eine wunderbare Gewissheit, seine Spur gefunden zu haben“, heißt es in einem Buch, in dem er seine Lebensweisheiten und Alltagsbeobachtungen in kleinen Geschichten veröffentlichte.

Der Dorfjunge in der Großstadt

Pater Josef wurde erst Kaplan, ging dann an das katholische Institut für Katechetik und Homiletik in München um Predigtlehre zu studieren. Über die Jahre wurde er zum Experten, und schrieb Bücher: „Kreativität und Predigtarbeit“, „Positiv predigen“, „Die Predigt vom Menschenfreundlichen Gott“. In Münster bildete er andere Brüder und Priester aus, bis ihn der Orden 1986 nach Berlin schickte. In der St. Ludwig-Gemeinde ging der Pfarrer in Rente, ein Nachfolger war nicht in Sicht, also sprangen die Brüder ein und gründeten eine Niederlassung mitten in Wilmersdorf. Anfangs hatte Pater Josef Zweifel, ob er, der einstige Dorfjunge, sich an die Großstadt gewöhnen würde. Und wollte schließlich nicht mehr weg.

Er übernahm das Amt des Pfarrers und hatte auf einmal die Verantwortung für das Personal der Kita, musste verwalten und leiten, was ihm überhaupt nicht lag. Nach zwei Jahren sahen auch die anderen das ein, und erlösten ihn. Jetzt konnte er sich wieder ganz den Menschen widmen.

Er lud zu „Abenden religiöser Orientierung” ein zu Themen wie: „Meinem Schicksal auf der Spur“ oder „Das Rückgrat stärken“. Jeder konnte berichten, was ihn bewegte, es wurde nicht geurteilt. Der Pater erzeugte eine Atmosphäre des Vertrauens, wenn jemand bei ihm Rat suchte, nahm er ihm schnell das Gefühl, als Bittsteller zu erscheinen. Ob Scheidungen oder Trauerfälle, Pater Josef war da. Er klingelte auch mal unangemeldet an der Tür, wenn er ahnte, dass ihn jemand brauchen könnte. Oder er besuchte die an demente alte Frau im Pflegeheim, die längst niemanden mehr erkannte und sich an nichts erinnerte.

Ganz frei von Sünden war Pater Josef nicht. Hatte er einen neuen Haarschnitt, fragt er, ob er ihm auch stehen würde. Bekam er elegante Kleidung geschenkt, einen Trenchcoat etwa, zeigte er ihn stolz herum. Gern ließ er sich zu Geburtstagen einladen und freute sich darüber, dass die Menschen sich freuten, dass er, der Pater, da war. Er war eine kleine Berühmtheit, und das genoss er. Gern stand er nach dem Gottesdienst auf der Treppe der Kirche und verabschiedete die Schäflein mit seinem milden Pater-Josef-Lächeln.

2020 sollten die Brüder die Stadt verlassen. Josef bat darum, bleiben zu dürfen. Der Kirchenvorstand und die Franziskaner stimmten zu. Gemeindemitglieder schlugen ihm Wohnungen vor, doch Josef wollte sie alle nicht. War er etwa undankbar? Pater Josef hatte noch nie allein gelebt, immer waren Brüder um ihn herum gewesen, um Wäsche, Einkauf, Mahlzeiten hatte sich eine Hausangestellte gekümmert. Also fragte die Gemeinde bei den Dominikanern nach, ob sie ein Plätzchen für ihren verwaisten Franziskaner hätten. Hatten sie, und Josef war glücklich.

Er hatte diesen jugendlichen Gang, elastisch, federnd. Frisch wirkte er, bis es ihm plötzlich nicht gut ging und er sich zum Arzt begab. Krebs im Endstadium. Der Organist der Kirche, mit dem Josef befreundet war, mit dem er alle zwei Monate essen ging, der Josef ab und an mitnahm, wenn er als Hobbypilot seine Flugrunden drehte, war bei ihm als er starb.

Josefs letzter Tagebucheintrag lautete: Der Tod nimmt mir nicht das Leben, ich gebe es Gott zurück.

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