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Katharina Quante

© privat

Nachruf auf Katharina Quante: Was ihr verwehrt geblieben war

Sie durfte nicht studieren, zunächst. Warum tat sie es nicht, als sie es endlich konnte?

Du willst Abitur machen? Vergiss es. Katharinas Vater teilte diese Meinung mit vielen Männern seiner Generation. Er war bereit, ihr die mittlere Reife zu erlauben, danach vielleicht eine Ausbildung, ein paar Jahre Arbeit. Wenn sie geheiratet habe, das erste Kind da sei, würde es damit ohnehin vorbei sein. Der Horizont war abgesteckt. Katharina wollte Medizin studieren, Ärztin werden, doch hätte sie betteln, weinen, schreien können, ihr Vater wäre keinen Schritt von seiner Haltung abgewichen. Was seine Tochter sich an Renitenz in den letzten Jahren herausgenommen hatte, reichte vollauf. Sie wollte Jungs treffen, eine Ungeheuerlichkeit. Noch als sie 16, 17 war, verbot er ihr, nach Einbruch der Dunkelheit draußen herumzuschwirren. Sie schlich sich heimlich aus der Wohnung.

Es gab noch etwas, das den Vater ärgerte. Ursprünglich stammte die Familie aus Beuthen in Oberschlesien, wo Katharina zur Welt gekommen war. Doch die Eltern flohen nicht wie die meisten Deutschen am Ende des Krieges Richtung Westen, sondern blieben in der Stadt, die nun zu Polen gehörte. In der Schule war die deutsche Sprache strikt verboten, zu Hause unterhielt man sich weiterhin auf Deutsch. Um aber ihren Vater zu reizen, sprach sie ihn immer wieder auf Polnisch an. Es machte ihn verrückt.

Neue Schule, neue Freunde, niemand sprach Polnisch

Als Katharina zwölf wurde, stellten die Eltern einen Ausreiseantrag und durften alle sieben, es gab noch vier weitere Kinder, nach Gera in der DDR. Eine neue Schule, neue Freunde, niemand sprach Polnisch. Sie blieben ein Jahr, dann flohen sie in den Westen, nach Homburg im Saarland. Erneut eine andere Schule, andere Freunde. Los, ankommen, wieder los, das Spiel ging noch eine Weile so weiter, immer der Arbeit des Vaters hinterher. In Wickrath in Nordrhein-Westfalen ließ sich Katharina zur Medizinisch-technischen Assistentin ausbilden. Es war, als rückte sie ihrem Traum so nah es ging, denn jeden Tag begegnete sie Ärzten. Und sah gleichzeitig, was ihr verwehrt geblieben war.

Sie fand eine Stelle an einer Düsseldorfer Klinik. Und traf dort, an der Herz- und Lungenmaschine, wie sie es später beschrieb, Manfred, einen Medizinstudenten im Praktikum aus Berlin, der zwischen beiden Städten hin und her pendelte. Manfred wohnte im Studentenwohnheim, Katharina im Schwesternwohnheim. Nächtliches Beisammensein erwies sich als kompliziert, denn ständig bestand die Gefahr, wegen des Kuppelparagrafen denunziert zu werden. Dazu im Hintergrund der lauernde Vater. Deshalb sagte Manfred eines Tages: Komm mit nach Berlin! Dort müssen wir uns nicht heimlich treffen, und du bist auch weg von deinem Vater!

Berlin war eine Offenbarung. Natürlich galt auch dort der Kuppelparagraf, aber das kunstaffine Studentenmilieu, in das Katharina jetzt eintauchte, scherte sich herzlich wenig um die alten Moralvorstellungen. Warum aber hat sie nicht jetzt Medizin studiert? Ihre Kinder zucken mit den Schultern. Sie arbeitete im Westend-Klinikum und streifte in ihrer freien Zeit durch die Museen und Theater und Kneipen. Sie fühlte sich frei.

Weil die Zeit eben so war

Nach zwei Jahren aber war Schluss mit diesem Leben. Manfred hatte eine Stelle als Assistenzarzt in Kaarst bei Düsseldorf gefunden, sie packten ihre Sachen und zogen wieder fort. Als 1968 ihr erstes Kind geboren wurde, hörte Katharina tatsächlich auf zu arbeiten. Sie erschrak, dass es nun doch so kam, wie ihr Vater es vorausgesagt hatte. Zwar war Manfred ein weltoffener Mann, der gern Leute um sich scharrte und feierte, aber letztlich schien es auch ihm das Natürlichste, dass die Frau zu Hause blieb. Warum raffte sie sich nicht auf? Sie hätte wahrscheinlich gesagt: Weil die Zeit eben so war.

Zwei weitere Kinder kamen zur Welt, Manfred wurde Chefarzt, und Katharina hielt ihm, wie es so schön heißt, den Rücken frei. Sie war dabei kein Mäuschen, absolut nicht, beide hatten eine extrovertierte Seite und stritten nicht selten. An der Rollenverteilung aber änderte das nichts. Bis Katharina eines Tages doch auf den Tisch hieb, nicht alle Renitenz war aus ihr gewichen. Sie brauchte eine Auszeit. Ein Kindermädchen wurde engagiert und zaghaft unternahm sie erste, kurze Reisen, allein.

1983 starb Manfred, mit 45, an einem Herzinfarkt. Alles änderte sich. Der jüngste Sohn war erst acht, das Haus in Bremen, wo sie inzwischen wohnten, noch nicht abbezahlt. Das Erste, was sie tat, war dennoch: Geld ausgeben. Für einen Keniaurlaub zusammen mit den Kindern. Sie sollten für ein paar Wochen raus aus der Tristesse, trotz des Unglücks Optimismus spüren.

Sie war jetzt eine alleinerziehende Mutter, kämpfte sich durch die Kompliziertheiten des Alltags, keine Kitas, kein Hort. Hinterbliebenen- und Halbwaisenrente halfen halbwegs, Freunde unterstützten sie beim Abbezahlen des Hauses. Sie wusste, sie war privilegiert. Gleichzeitig war ihr klar, bei aller Trauer, dass jetzt der Moment gekommen war, all das Versäumte nachzuholen. Eine Art zweiter Bildungsweg.

Sie verschlang deutsche und englische Bücher über den Nahen Osten. Grub sich immer tiefer in die Geschichte. Wollte verstehen, wo die Wurzeln heutiger Konflikte liegen. Erkannte, dass der papierene Weg nicht ausreicht. Sie nahm kleinere Jobs an, um ihr Budget aufzubessern und fuhr los, nach Israel, Jordanien, Syrien, dann auch nach China, in den Iran, die USA, immer ein bisschen abseits der ausgetretenen Pfade. Sie fotografierte, notierte ihre Beobachtungen in einem Notizbuch. Schrieb sich als Gasthörerin für Kulturwissenschaften an der Uni ein. Doch noch Ärztin zu werden, dafür war es zu spät. Sie besuchte ihre Kinder, die alle drei Medizin studiert hatten. Sie streifte durch Museen und Theater, spielte Bridge und Tennis.

Alles war wunderbar, nur das schmerzende Knie belästigte sie, worunter die Tennismatches litten. Eine Operation wurde anberaumt, alles lief gut, drei Tage später jedoch starb sie, ohne dass irgendjemand damit gerechnet hätte, an einer Lungenembolie. Es war einzig darum gegangen, wieder unbeschwerter laufen zu können.

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