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Kerstin Topp

© privat

Nachruf auf Kerstin Topp: Nie genug Berlin

Sie war schon beim Radio, als es da sehr anders zuging, anarchisch, frei. Und damit konnte man sogar noch Geld verdienen!

Samstagabend. Jemand löste mit lässiger Routine das Stanniol und den zierlichen Drahtkäfig vom Flaschenkopf und ließ den Kork mit einem Knall in die Höhe fahren. Sekt am Anfang, Sekt auf Eis. Es ging los wie jeden Samstagabend. Rein in den Übertragungswagen von Radio Fritz und dann in die Berliner Clubs, in den alten Tresor, ins E-Werk, ins WMF, in Clubs, deren Namen nicht im Radio genannt werden durften, weil sie illegal waren, Ende der Neunziger, lange vor der Berghainzeit.

Drei Reporterfrauen, die „Glorious Sistas“. Eine von ihnen Kerstin. Die ganze Nacht durch Berlin, für die Sendung „Dance Under The Blue Moon“, Techno, stampfend, enthoben, allgemeiner Rausch. Lord Knut einmal irgendwo, der von den „Lords“, seiner Beatband aus den 60ern, übriggeblieben ist, Musiker, DJ, legendärer Radiomoderator, der tibetanisches Gras dabei hatte, von dem man ein bisschen probieren durfte. Andere, anarchische Radiozeiten damals, das Staunen und die Freude darüber, dass man auch noch Geld dafür bekommt.

Kerstin, deren Nachname ausdrücklich kein Künstlerpseudonym ist, war Berlinerin, eine echte, Eingeborene sozusagen. Neukölln, Kreuzberg. 25 Jahre in der Dieffenbachstraße, nicht weit vom Planufer und der Admiralbrücke, wo heute, an langen hellen Abenden, junge Leute mit ihrer Ausgelassenheit die Anwohner in die Verzweiflung treiben. Die längste Distanz, die Kerstin, was die Wohnungen betraf, zurücklegte, war zwischendrin ein Umzug in die Bergmannstraße, Fußweg etwa 1,6 Kilometer.

Stasi und Verfassungsschutz interessierten sich

Sie liebte die Stadt, ihren Bezirk. Schaute sich einmal mit einer Freundin, einer Zugezogenen, „Der Himmel über Berlin“ an, siehst du, der Potsdamer Platz, noch diese weite, struppige Fläche, die wir früher durchstreiften, nur noch schwer vorstellbar, heute. Und die Freundin guckte und konnte es sich nur schwer vorstellen.

Ohnehin bekam Kerstin nie genug von Berlin, vom Rauen und Schnellen, von dieser Mischung aus Provinzialität und Weltstädtischem. Stundenlang konnte sie sich Dokumentationen über vergessene, versteckte Orte ansehen, über das Einst und das Heute.

Nach der Schule studierte sie Publizistik. Dieses Studium sah ein Praktikum vor, welches sie bei „radio4U“ im Haus des Rundfunks in der Masurenallee antrat. Sie stand in aller Herrgottsfrühe auf, um die Morgensendungen als Aufnahmeleiterin zu betreuen, begann dann Dreiminuten-Beiträge zu bauen über so ziemlich alles, was an Themen reinflatterte.

Sie arbeitete für „Radio 100“, das Ende der 80er die DDR-Bürgerrechtsbewegung unterstützte, weshalb die Stasi versuchte, das Programm, speziell das Format „Radio Glasnost“, durch Störsender unhörbar zu machen, und das ebenso das Interesse des West-Berliner Verfassungsschutzes weckte, weil sich hier Autonome und linksradikale Gruppen äußerten. Kerstin mittendrin, in diesen wilden, längst vergangenen Radiojahren.

Am 1. März 1993 um sechs Uhr früh startete in der Nalepastraße, den ehemaligen Studios des DDR-Rundfunks, „Radio Fritz“, eins der ersten medialen Ost-West-Projekte nach dem Fall der Mauer. Kerstin gehörte zur Gründergeneration des Senders, fuhr als freie Reporterin durch die Gegend, berichtete von Streiks, von der Echo-Verleihung, von Zugausfällen, aus den Clubs, von der Love Parade. Sie arbeitete im Akkord, denn zig ARD-Hörfunkwellen bestellten Stücke bei ihr. Ihre Zeit war eng getaktet. Unter den tausenden Love-Parade-Leuten musste sie Gesprächspartner ranholen – wer will was sagen, wer kann überhaupt noch was sagen – musste sich vor der Übertragung schon Live-Töne besorgen, um dann alles zügig miteinander zu verbinden.

Der Eurovision Song Contest, mit allem Pipapo

Während einer Plattenvorstellung „griff sie einmal Martin Gore ab“, wie es eine Freundin ausdrückt, den Keyboarder von Depeche Mode, aber nie Bowie, den sie so sehr verehrte, der ja von 1976 bis 1978 nicht weit von ihr gewohnt hatte, als sie, betrüblicherweise, noch zu jung war. Sie war ein Kind der Achtziger. Und so passte es gut, 2005 zu „rbb 88,8“ zu wechseln. Sie wurde Chef vom Dienst, betreute das Radio der Internationalen Funkausstellung, alles als Freischaffende, drei Wochen Arbeit, eine Woche Pause, was sie genoss.

Zur Erholung fuhr sie an die spanische Atlantikküste, nach Conil de la Frontera, ihren, wie sie sagte, Sehnsuchtsort. Schwamm im Sommer Bahn um Bahn im Prinzenbad. Haderte nie mit ihrem Singledasein. Übernahm die Patenschaft für ein Mädchen aus Kreuzberg. Hatte viele verlässliche Freunde und war ihrerseits immer da für sie. Traf sich jedes Jahr mit einer Gruppe von ihnen zum Eurovision Song Contest, mit allem Pipapo, Listen für die Punktevergabe, eine Platte mit Käsewürfeln, in denen Miniaturflaggen der teilnehmenden Staaten steckten. Sie mochte ihr Leben, immer was anderes, kein ausgeleiertes Einerlei.

Doch irgendwann erschöpften sie die Reporterschichten, das Gefühl der Freiheit verlor sich schleichend, die Unsicherheit nahm zu, die Honorare waren oft miserabel, manche wurden erst Monate später gezahlt, sie konnte in ihrer vagen Position jederzeit vor die Tür gesetzt werden. Sprechen die Leute über prekäre Arbeitsverhältnisse, führen sie oft das Beispiel der Supermarktkassiererin an und ahnen gar nicht, wenn sie das Radio und den Fernseher anschalten oder die Zeitung aufschlagen, dass es so vielen, deren Beiträge sie hören und sehen und lesen, nicht viel besser geht.

Endgültig entsetzt war Kerstin, nachdem die Vorwürfe über Untreue und Vorteilsnahme beim rbb publik wurden, während man bei den freien Mitarbeitern sparte. Sie engagierte sich als Sprecherin der Freien, bemühte sich gleichzeitig um eine Festanstellung, was scheiterte. In dieser Situation erhielt sie die Krebsdiagnose. Ihre Freunde scharten sich um sie, als Rentner, sagten sie, schlurfen wir lachend durch Conil und schieben unsere Rollatoren durch die angesagtesten Kneipen, doch dann ging alles rasend schnell.

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