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Klaus Wasmund

© privat

Nachruf auf Klaus Wasmund: Direkt an die Uni

Die körperliche Arbeit war nichts für ihn. Der Schreibtisch hingegen verlockend. Das war auch Arbeit, fühlte sich aber nicht so an

Es waren Sommerferien, und Klaus brauchte Geld. Warum also nicht Torf stechen? Draußen an der frischen Luft, in Bewegung sein, die Sonne auf dem Rücken – das hörte sich gut an, romantisch irgendwie. Klaus meldete sich zur Arbeitskolonne. Etwas leichtfertig, wie sich herausstellte. Jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe aufstehen, mit einem Spaten den Torf stechen und dann abtragen, den ganzen Tag und im Akkord. Der Schweiß lief, alles tat weh, es war eine Knochenarbeit.

Klaus war froh, dass er nach den Sommerferien wieder zur Schule gehen würde, dass er seine Nase in Bücher stecken durfte und sich mit Geschichte, Literatur und Politik beschäftigen durfte. Nein, die harte, körperliche Arbeit war nichts für ihn. Der Schreibtisch hingegen verlockend. Das war auch Arbeit, fühlte sich aber nicht so an. Kindheit, Schule und Jugend hatte er mit seinen Eltern in Bremervörde verbracht, eine kleine, enge Stadt, die ohne Kanalisation vor sich hin stank. Er musste hier weg.

In Stettin war er zur Welt gekommen. Der Vater war Lehrer in einer Dorfschule, da konnte er seine reformpädagogischen Ansätze ausprobieren, ohne dass die Nazis aufmerksam wurden. Kurz vor Kriegsende wurde er noch eingezogen. Zurück blieb die Mutter mit ihren drei Kindern, die Front näherte sich, noch fuhren die Züge in den Westen. Essen und Kleidung in den Bollerwagen, die Kinder an die Hand und auf zum Bahnhof. Hier war ein Gedränge und ein Gewusel, alle wollten weg, so schnell wie möglich.

Der Kopf nach vorn gebeugt, vom Sitzen und vom Lesen

Die Mutter musste noch irgendetwas erledigen, Klaus bekam den jüngeren Bruder an die Hand, auf die Habseligkeiten sollte er auch aufpassen. Als die Mutter wiederkam, war der Bollerwagen mit den Habseligkeiten weg, Klaus, schämte sich, würde später diese Szene wieder und wieder erzählen. Sein Bruder starb ein paar Monate später, dann seine ältere Schwester an Hunger und Krankheit.

Von der Schule ging Klaus direkt an die Uni, für den Rest seines Arbeitslebens. Später, schon alt, in einem betreuten Wohnen, nannte ihn eine seiner Pflegerinnen nur „den Herrn Professor“, einfach weil er so wohlklingend sprach, weil er nachdenklich und gediegen spazieren ging, weil er so viel wusste, weil er ständig las, und weil sein Kopf schief nach vorne gebeugt war – vom vielen Sitzen, vom vielen in die Bücher schauen. Immer hatte er ein Buch dabei. War er irgendwo zu Besuch, entdeckte er in kürzester Zeit die Lokalzeitung und blätterte sie durch. Dass er tatsächlich ein Professor war, wusste die Pflegerin gar nicht.

Lehrer wollte Klaus werden, studierte in Münster, Oldenburg und Hamburg bis er feststellte, dass die Arbeit mit kleinen Kindern ihm keinen Spaß machen würde. Also wechselte er für ein Politikstudium an das neu gegründete Otto-Suhr-Institut nach Berlin, 1968 ging es nach London und dann an die Technische Universität nach Braunschweig, wo er promovierte und Vorlesungen und Seminare gab, bis er nach Berlin zurückkehrte an die TU.

Seine Wohnung sah überall nach Arbeit aus, an fast jeder Wand stand ein riesiges Bücherregal, darin viel Literatur zum Nationalsozialismus darunter sechs Göbbels-Biografien – dieser katholische Kleinbürger, mit dem Drang nach Höherem, der zum schlimmsten Nazitrommler wurde. Wie entsteht politische Orientierung bei Jugendlichen? Warum wird jemand ein Nazi? Warum schließt sich jemand der RAF an? Solche Fragen trieben Klaus um. In einer Zivildienstschule in Goslar gab er jahrzehntelang Seminare für junge Männer, in denen es um Krieg und Frieden, Demokratie und Nationalsozialismus ging. An der Uni setzte er sich dafür ein, dass die Studenten und der studentische Rat mehr Mitspracherecht bekamen.

Rote Latschen, ausgefranste Jeans

Die Bücherregale waren das eine, dann stand noch in jedem Zimmer ein Schreibtisch, der größte maß acht Quadratmeter. Hier saß er, nach vorne gebeugt, las und unterstrich, schrieb Anmerkungen auf Klebezettel und in Notizbücher. Jede Vorlesung, jedes Seminar bereitete er akribisch vor. Er nahm sich Zeit, wenn Studenten nicht weiter wussten, wenn sie Prüfungsangst hatten. Er war kein abgehobener Professor im Elfenbeinturm. Eineinhalb Stunden Vorlesung, das waren mindestens 15 handgeschrieben Seiten. Und er hob sie alle auf. Als Arbeit empfand er das nicht. Es war sein Leben.

Alles, auch die Artikel für Fachzeitungen und die Bücher, schrieb er von Hand, feilte an den Sätzen, bis jedes Wort saß. Den akademischen Stil, je mehr Substantive und Genitive, je komplizierter, desto akademischer, benutzte er nicht. Er wollte, dass man ihn verstand. Irgendwann konnte seine Frau auch seine Schrift lesen, die hatte er sich versaut, als er in der Schule so stark auf die Schiefertafeln aufdrücken musste.

Sie war im zweiten Semester, er schon Dozent, als er sie vor einer Kneipe in Braunschweig ansprach. Gut sah er aus, fand sie, lässig, mit seinem Schnauzer, seinen dunklen Haaren, dem schwarzen Lacoste-Hemd, seinen weinroten Latschen und der ausgefransten Jeans. Und natürlich war da das Alter, die Reife, ganz anders als die jungenhaften Kommilitonen.

Sie heirateten - und führten ihre je eigenen Leben fort. Sie ging als Lehrerin nach Cuxhaven, er als Professor nach Berlin. Alle zwei Wochenenden besuchten sie einander, sie fuhren zusammen an die Ost- und Nordsee. Sie begleitete ihn auf seine Konferenzen in den USA, Korea, Brasilien.

Mit einer Herzschwäche kam eine schwere Lungenentzündung und Atemnot, Treppensteigen ging nicht mehr. Klaus zog zu seiner Frau nach Cuxhaven, suchte sich dort einen Platz im betreuten Wohnen. 41 Quadratmeter hatte er jetzt zur Verfügung – die Bücher blieben in Berlin.

Am Mittwoch waren die beiden noch am Hafen, schauten auf das Meer hinaus, beobachteten die Boote, kauften Fisch. Am Sonntag redete er bis spät in den Abend hinein, konnte oder wollte nicht einschlafen. Am frühen Montagmorgen starb er.

Der Schreibtisch: verlockend. Das war auch Arbeit, fühlte sich aber nicht so an

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