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Manfred Lampe

© Thomas Hopf

Nachruf auf Manfred Lampe: Ohne Salon

Manfred Lampe war ein Friseur, der Hausbesuche machte. Und dort sah, wie Zuneigung und Schutz aussehen.

Wer zum Friseur geht, aber nicht genau weiß, welche Frisur es werden soll, und wem dieser Friseur dann vorschlägt, etwas „Flottes“ zu machen, sollte die Beine in die Hand nehmen. Denn „flott“ ist ein Synonym für altbacken. Eine „flotte Frisur“ trägt die Tante aus der Provinz, während sie glaubt, ganz im Trend zu sein. Wer keine rechte Vorstellung von flott hat, ist, derweil der Friseur sein Werk tut, zunehmend entsetzt, da er die ganze Zeit und von allen Seiten sein neues Bild in den Spiegeln des Friseursalons entstehen sieht.

Die Spiegel-Tortur fiel bei Manfred schon einmal weg, denn er machte ausschließlich Hausbesuche, hat immer nur, zeitlebens, Hausbesuche gemacht. Ein Friseurmeister ohne Friseursalon. Was hervorragend lief. Ladenmiete und Angestelltenlöhne fielen weg. Er kam mit einem schweren Metallkoffer und einer Umhängetasche, darin alle Utensilien: Shampoos und Spülungen, Bürsten und Kämme, Schneidescheren und Effilierscheren, Farben. Natürlich hatte er auch einen handlichen Spiegel, den er aber nur, wenn der Kunde es wünschte, an dessen Hinterkopf hielt.

Bei dem Wort „flott“ machte Manfred eine spöttische Miene. Denn er war Ästhet. Die Dinge, die ihn umgaben, mussten schön und erlesen sein: ein in feines Leder gebundenes Terminbuch, ein Montblanc-Füller, Schuhe aus den besten Geschäften, durchscheinendes Porzellan, weich fallende Stoffe, hochwertige Geräte für die Küche, ein silbrig schimmernder Sahnesyphon. Er liebte Sahne und Eis, überhaupt alles Süße. Aß, indem er sehr aufrecht sitzend, die Speisen vorsichtig zum Mund führte.

Der Vater war Boxer und schlug gern zu

Manfreds Vater hatte stets tief über seinen Teller gebeugt dagesessen und gefressen. Hatte das Essen in sich hineingeschaufelt und dabei widerlich geschmatzt.

Doch wäre es nur das gewesen. Der Vater war Boxer und schlug auch gern außerhalb des Ringes zu. Wenn es Manfred und seinen älteren Bruder traf, stand die Mutter daneben und machte nichts. Vielmehr: Sie war einverstanden mit der Prügel.

Bis zu seinem achten Lebensjahr wuchs Manfred bei seinem Großvater in Hamburg auf, warum, kann niemand mehr genau sagen. Dann kehrte er zurück zu seiner Familie, die von Hamburg in ein Dorf in Schleswig-Holstein gezogen war, in ein Haus mit einer kleinen Landwirtschaft. Die Zeit bei seinem Großvater rettete ihn in gewisser Weise, obwohl die Schlägereien so richtig erst danach losgingen. Denn dort, bei dem Großvater, prägte sich ihm zumindest ein, was Zuwendung, was Kultur sein kann. Dieses Haus stand immer offen, an diesem Tisch versammelten sich die verschiedensten Menschen, man sprach und lachte und aß manierlich.

Mit 16 zwangen die Eltern Manfred zu einer Bäckerlehre. Hatten aber erstaunlicherweise nichts dagegen, als er diese eilends wieder abbrach und verkündete, Friseur werden zu wollen.

Drei Monate vor seiner Gesellenprüfung, die er mit exzellenten Noten abschloss, saß die Familie abends wie immer am Essenstisch. Und dieses Mal wagte er es, seinen Vater auf dessen gieriges und stumpfes Hinunterschlingen hinzuweisen. Manfreds Platz am Tisch befand sich stets an einer Stelle, von der aus er sofort aufspringen und wegrennen konnte, falls der Vater wieder in Raserei verfallen sollte. Wie es auch jetzt geschah. Sein Kopf schwoll an vor Wut nach Manfreds Bemerkung, er wollte zum Schlag ausholen, Manfred lief los, aus dem Haus, die Straße entlang, irgendwohin.

Als es dämmerte, schlich er zurück. Und sah, wie der Vater alle seine Möbel, alle seine Unterlagen aus dem Kinderzimmerfenster in den Hof schmiss, auf dem die Hühner hin und her flatterten.

Manfred klopfte bei einer Nachbarin, einer gutmütigen Frau mit vielen Kindern, die sagte: Wo Zehn satt werden, reicht es auch für einen Elften. Selbstverständlich nahm sie ihn auf. Einige Tage darauf ging er heimlich nach Hause und klaubte seine Unterlagen zwischen den Hühnern aus dem Schmutz. Die Möbel ließ er liegen. Nach den Prüfungen meldete er sich zum Bund, viel zu früh, weil er nicht so recht wusste, wohin. Bei der Nachbarin konnte er ja nicht ewig bleiben.

Geld für schöne Dinge

Bei der Armee lag der eigentliche Beginn seiner Karriere als Friseur ohne Salon. Er schnitt den anderen Soldaten die Haare für einen angemessenen Preis. War von diesem Zeitpunkt an immer flüssig, wie er es ausdrückte, und hatte immer die größte Freude daran, das Geld für schöne Dinge auszugeben.

Nach dem Bund machte er seinen Meister, erneut mit exzellenten Noten. Er reiste für ein Jahr nach Australien und drei Monate mit dem Fahrrad durch Amerika. Unterwegs frisierte er die Leute, „Work and Travel“ auf seine Art.

Mitte der 80er zog er nach Berlin. Baute sich einen Stamm von Kunden auf. Freundete sich mit vielen von ihnen an und schnitt ebenso deren Söhnen und Töchtern die Haare. Beobachtete, wie liebevoll Eltern mit ihren Kindern umgingen, sah, was Zuneigung, was Schutz ist. Wenn er jemandem seine Geschichte erzählte, bemühte er sich, nicht zu weinen.

Nach dem Tod des Vaters fuhr er ab und an zu seiner Mutter, die noch lange mit seinem Bruder zusammengelebt hatte, der sich nie richtig von ihr lösen konnte und vor einigen Jahren gestorben ist. Manfred wollte der Mutter zeigen, dass es ihm gut ging. Einmal schlug er ihr vor, sie Weihnachten zu besuchen. Sie sagte: Ich weiß nicht, ob das Essen reicht.

Zu ihrer Beerdigung fuhr er nicht.

Er verliebte sich in unzählige Frauen, manchmal in mehrere gleichzeitig, hatte Affären, auch mehrere gleichzeitig. Letztlich aber lebte er allein. Weil er allein leben wollte. Er kannte die Menschen, wie er sagte, ihre sanfte Seite, und ihre Abgründe.

Vor zehn Jahren diagnostizierte man Krebs bei ihm. Nach Chemotherapien, nach einer schweren Operation, ging es ihm eine lange Weile ziemlich gut. Er fuhr viel Rad, er kaufte die Pflanzen für seinen Balkon in der „Königlichen Gartenakademie“, er traf Freunde, war fröhlich, unbekümmert. Und er sprach über seine Mutter. Sprach noch drei Tage, bevor er starb, über sie. Und weinte dieses Mal.

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