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Peter Jahns

© privat

Nachruf auf Peter Jahns: Kein Kinderspiel

Er war Künstler, er lebte von der Kunst. Sei es am Theater, sei es vor Dieter Bohlen

Peter betritt die Bühne. Währenddessen läuft vom Band „I Want To Break Free“ von Queen. Peter trägt ein schwarzes, ärmelloses Hemd und eine schwarze Jeans. Sein graues Haar reicht bis zu den Schultern. Er bleibt stehen, schaut in den Saal und hebt zur Begrüßung beide Arme. Das Publikum klatscht. Die Kamera zeigt eine besonders begeisterte junge Frau in Nahaufnahme.

Drei Personen sitzen vor Peter hinter einem riesigen Tisch. Sie heißen Dieter Bohlen, Bruce Darnell und Victoria Swarovski und sind die Jury des „Supertalents“, einer Castingshow von RTL, in der die Kandidaten singen oder auf einer Panflöte spielen oder auf den Händen stehen. Oder alles gleichzeitig.

Dieter Bohlen sagt einen ersten Satz: „Die Mädels hinter mir flippen alle aus.“ Peter lacht freundlich. Dann stellt er sich vor. Erzählt, dass er ehrenamtliche Stadtführungen in Berlin macht und lateinamerikanische Songs zur Gitarre in einer Kneipe singt. „Wie alt bist du?“, fragt Bohlen. „68“, antwortet Peter, woraufhin das Publikum mit perplexem Enthusiasmus reagiert, als hätte er gesagt, er sei 120.

Weiter im Drehbuch. Er soll jetzt singen, „Misty“, von Errol Garner. Peter beginnt, seine Stimme ist weich, „Look at me...“ Nach einer kurzen Weile unterbricht ihn Bohlen: „Peter, is’ so traurig“, und Peter sagt: „Manchmal ist das Leben eben traurig.“

Ein zweites Lied, „Moon River“, aus „Frühstück bei Tiffany“. Bruce Darnell mimt ein Schnarchen, Peter singt weiter. Als er fertig ist, kann sich das Publikum nicht mehr halten, große Emotionen auf den Gesichtern, Bohlen stachelt sie immer weiter an, alle stehen auf. Dann ruft er: „Jetzt kommt die Wahrheit.“

Was wären wir ohne die Narren?

Dieter Bohlens Wahrheiten sind zumeist grausam. Aber dann, in einem winzigen Moment dieser Menschenvorführung, scheint es, als würde er sich des ganzen verachtenden Zirkus’, dessen Teil und Initiator er ist, bewusst. Als erkenne er sein eigenes Narrentum. Bohlen beschränkt sich auf zwei Sätze: „Du bist sympathisch. Du hast gut gesungen.“ Er ist sechs Jahre jünger als Peter.

Was wären wir ohne die Narren, ohne die Bajazzonaturen?

Warum trat Peter in dieser Show auf? Weil auch ein Narr sein Brot kaufen und seine Miete bezahlen muss. Vor Bohlens Bühne saß ein großes Publikum. Das war’s eigentlich schon. Freischaffender Künstler mit 68 - kein Kinderspiel.

Dabei stand gar nicht das Künstlerische am Anfang, sondern die Natur. Peter begann ein Zoologiestudium. Doch dann lernte er eine Schauspielerin kennen und wechselte an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, lernte Klavier und Gitarre, sang in Folkclubs, bekam Rollen im Berliner Schillertheater, in Hannover, Erlangen und Nürnberg. Er spielte in „Liebe das Leben, lebe das Lieben“ von Lutz Eisholz den Bajazzo, weiße weite Jacke, weiße weite Hose, schwarzer Schlapphut, weißes Gesicht. Der Film schaffte es bis nach Cannes. Er gab in „Der König und sein Narr“ von Frank Beyer einen Dichter und Musikanten mit Spielverbot, der Schulden hat, einen Vogelkäfig mit lebendigem Vogel auf dem Kopf trägt und trotz des Verbots zur Laute singt. Er schrieb für das Kleine Theater am Südwestkorso das Musical „Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch“, das 2222 Mal aufgeführt wurde und deshalb ins Guinness-Buch der Rekorde kam. Er liebte Dalis surreale Welten und malte selbst. Er steckte sein langes, graues Haar unter eine Militärmütze, zog einen grauen Militärrock an und besetzte als Wilhelm Voigt, Hauptmann von Köpenick, das Rathaus, verhaftete den Bürgermeister und raubte die Stadtkasse, während sich um ihn ein kleiner Zuschauerpulk bildete und fröhlich klatschte.

Peter war Künstler. Und oft, am Abend, saß er vor seinem Fernseher und schaute Filme über Tiere und das Meer.

Verwicklungen, Verwerfungen

Er fuhr an die Nordsee, ans Mittelmeer, an die Arabische See. Machte sich 1980 für drei Monate auf den Weg durch Indien, immer im Zug, bis zu den Stränden von Goa, bis nach Agra, zum Taj Mahal. Er reiste zusammen mit einer Freundin und seinem Freund, Helmut. Helmut und Peter hatten sich 1972 auf einem Fest kennengelernt, hatten aber nicht ihre Nummern ausgetauscht und waren sich 1973 zufällig wieder in einem Bus begegnet. Helmut beschreibt es so: „Es war magisch, wie wir voneinander angezogen wurden. Man nennt so etwas auch Liebe auf den ersten Blick. Ich wurde zum Tee eingeladen und seitdem blieb ich bei ihm.“

Doch es ging schief in Indien. Vielleicht wollten sie auch nur ausprobieren, wie es ist, wieder allein durchs Leben zu ziehen, sie waren ja noch jung. Und sie trennten sich.

Ein Freund sagte auf der Trauerfeier: „Du warst nicht nur begabt, homosexuell zu sein, sondern auch heterosexuell.“ Peter liebte Männer, und er liebte Frauen.

Er bekam eine Tochter. Aber es gab keinen Kontakt zu ihr. Verwicklungen, Verwerfungen, Streit mit der Mutter.

Viele Jahre später trafen sich Helmut und Peter wieder. Dieses Mal in einer Schwulenbar. Sie beschlossen, von nun an jeden Donnerstag gemeinsam zu frühstücken. Die Liebe hatte sich nicht vollends in Luft aufgelöst.

Im August 2017 lud Peter Helmut für zehn Tage auf die Insel Amrum ein.

Im Oktober 2017 erlitt Peter einen Schlaganfall.

Er hatte sich in den Bus gesetzt, um nach Köpenick zu fahren, um sein langes, graues Haar unter die Militärmütze zu stecken, um den grauen Militärmantel überzuziehen, um den Leuten vor dem Rathaus die Köpenickiade von 1906 vorzuspielen. Er schlief ein im Bus, so schien es den Mitfahrenden, bis jemandem an der Endstation, mitten im Wald, auffiel, dass er gar nicht eingeschlafen war. Die letzte Vorstellung in einer Narrenrolle fiel aus.

Auf den Schlaganfall folgte ein zweiter, dann ein dritter. Fast sechs Jahre lang lag er in Krankenhäusern und in einem Pflegeheim.

Dieses Ende hatte nichts, wirklich gar nichts mit seinem Leben zu tun.

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