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Peter Pabst

© privat

Nachruf auf Peter Pabst: „Wie das schon aussieht!“

Er vergötterte seine blinde Tochter. Er fuhr mit ihr Tandem, brachte sie zu ihren Klausuren, begleitete sie zu den Gerichtsterminen

Der Anfang glich dem Ende. Am Himmel zerplatzten Lichter, gleißende Punkte zerstieben in alle Richtungen. Gold und Silber. Die Leute hoben die Köpfe, riefen „Oh“ und „Ah“, und wenn jemand dem, der neben ihm stand, etwas sagen wollte, musste er fast schreien, denn in dem Lärm verstand man kaum ein Wort.

Der Himmel des Anfangs spannte sich über eine niederschlesische Stadt, der des Endes über Berlin. In der Silvesternacht 1945 kam Peter zur Welt, am 16. September 2023, während eines Feuerwerks im Britzer Garten, brachte ihn ein Feuerwehrwagen ins Krankenhaus, wo er einen knappen Monat später starb.

Der Anfang war schwer, trotz des furiosen Funkelns und des Klingens der Sektgläser, mit denen die Menschen anstießen in der Hoffnung, nun werde es endlich besser. Peter, noch ein Baby, Mutter, Großmutter und Bruder mussten fort aus Schlesien, sein Vater saß in Gefangenschaft. Sie landeten in Oldenburg und wurden bei einer Familie untergebracht. Eine der ersten Erinnerungen des Dreijährigen: Ein Puppentheater, in dem ein Kasper auftrat, gemeinsam mit einem Polizisten, der Gitarre spielte und dazu sang. Eine andere Erinnerung an dieses Jahr 1948: Sein schönstes Weihnachten. Denn sein Vater war aus der Gefangenschaft zurückgekehrt.

Ohne Kaspar, ohne Polizist

Zur Schule ging Peter eher ungern, dementsprechend mäßig auch seine Leistungen. Dafür seine Freude am Worteerfinden und Worteverdrehen. Noch Jahrzehnte darauf sagten er und seine Frau und seine Tochter, halb im Scherz, halb aus Gewohnheit, wie es eben so mit familiären Sprachen ist, „Baraba“ für Rhabarber und „Kanofa“ für Hannover.

1953 ging es weiter, nach Emden, jetzt in eine eigene Wohnung. Bäcker Wüppen, der sein Geschäft um die Ecke betrieb, hatte eine Tochter, die unentwegt mit Peter Puppen spielen wollte, ganz auf Mädchenart, ohne Kasper, ohne Polizist, was er hasste.

Mit 15, nach acht Klassen, begann er eine Lehre zum Schauwerbegestalter. Mit 18, nach Abschluss der Ausbildung, zog er nach Berlin, um nicht zur Bundeswehr zu müssen. Er arbeitete bei Neckermann und wohnte bei Tante Uschi, die gar nicht seine Tante war, sondern eine Cousine seines Vaters, die aber im Keller ihres Hauses eine Silvesterfeier veranstaltete, zu der auch eine gewisse Gisela erschien. Ihr sei die Luft weggeblieben, als sie Peter zum ersten Mal sah, erzählte sie später. Auch Gisela hatte Schauwerbegestaltung gelernt, ihr Vater jedoch wünschte sich für seine Tochter einen ordentlichen Beamten und keinen, wie er es ausdrückte, „langhaarigen Dekorateur“. Besonders lang waren Peters Haare gar nicht. Er trug eine Tolle, dazu Koteletten, die er „Schenkelbürsten“ nannte, und mitten in seinem schwarzen Haar spross von Geburt an, das hatte nun wirklich nicht jeder, ein weißer Fleck.

Zur Hochzeit mit Gisela kam es erst 1972, acht Jahre nach der Silvesterfeier, da Peter zwischenzeitlich wieder zurück nach Ostfriesland gegangen war, um eine Stelle beim Herrenausstatter Brahms anzunehmen.

1969 zog er endgültig nach Berlin. Wohnte in der Gropiusstadt, arbeitete bei Hertie in Spandau und stieg schnell zum Stellvertreter des Dekorationsleiters auf.

Ausländisches Essen mochte er ohnehin nicht

Er liebte Urlaube im Alpenvorland, fuhr seit den Flitterwochen jedes Jahr ins oberbayerische Lenggries, ins Ausland wollte er nie, da er, wie er sagte, kein Englisch spreche und ausländisches Essen ohnehin nicht möge: „Wie das schon aussieht.“ Erst letztes Jahr, 2022, probierte er zum ersten Mal Sushi, mit Messer und Gabel.

Im Oktober 1978 kam Pamela zur Welt, zu früh und blind.

Er vergötterte seine Tochter. Ging mit ihr auf den Spielplatz und zeigte ihr dort, wie man am Pfosten einer Seilnetzpyramide herunterrutscht. Er fuhr jeden Sonntag mit ihr Tandem, danach schlenderten sie über Flohmärkte und suchten Kinderhörspielkassetten. Er brachte ihr ein komplettes Playmobil-Puppenhaus von Hertie mit, ein Schaustück, das nicht mehr verkauft werden konnte.

Er baute aus einem Bett ein Boot und trug sein Kind durch die ganze Wohnung. Er brachte sie jeden Morgen zum Schulbus und später, als Pamela bereits Anwältin war, zur Bushaltestelle, holte sie am Nachmittag wieder ab, nachdem sie einmal von einem Betrunkenen belästigt worden war. Er begleitete sie zur Uni, als sie sich für Jura einschrieb. Er brachte sie zu allen Staatsexamensklausuren und zu den mündlichen Prüfungen, insgesamt 18. Er half ihr beim Aufbau der Kanzlei. Er fuhr mit ihr zu Gerichtsterminen im ganzen Land. Trug immer ein perfekt sitzendes Sakko und Krawatte, dazu am liebsten Slipper, „Tatzenschoner“, wie er sagte.

Lesen war nicht so sein Ding. Doch Pamelas Biografie „Ich sehe das, was ihr nicht seht“ las er, als einziges Buch in seinem Leben, vollständig durch. Erzählte jedem Taxifahrer und jedem Verkäufer, dass seine Tochter die einzige von Geburt an blinde Rechtsanwältin für Strafrecht in Deutschland und obendrein das Vorbild für die ARD-Serie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ ist.

Auch bei ihm selbst ging es aufwärts. Er besaß endlich ein eigenes Haus. Und wurde 1992 zum Dekorationsleiter bei Hertie am Walter-Schreiber-Platz befördert. Zusätzlich stellte man die gesamte Haustechnik unter seine Verantwortung. Aber 2003 war Schluss, von einem Tag auf den anderen, das Kaufhaus wurde abgewickelt und Peter verlor seine Arbeit.

Er kümmerte sich um Haus, Garten und Gartenpavillon. Goss jeden Sonntag die Blumen, räumte täglich die Spülmaschine aus und saugte im Wintergarten die toten Fliegen und die Frühstückskrümel weg. Er hörte Country-Musik und Andrea Berg. Er war ein ausgezeichneter Tänzer und ein schlechter Koch.

2021 bekam er die Diagnose COPD, 2022 gab man ihm ein Sauerstoffgerät. Trotzdem stand er auf der Baustelle in der Kanzlei seiner Tochter, renovierte das Bad, baute eine neue Tür ein. Am 16. September fiel er einfach um und kam nicht wieder zu Bewusstsein, während die Leute gegenüber im Britzer Garten in den Himmel schauten und „Oh“ und „Ah“ riefen.

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