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Peter Umbsen

© privat

Nachruf auf Peter Umbsen: „Jeder von euch kämpft jetzt gegen mich“

Für die K-Gruppen taugte er nicht. Wenn alle einer Meinung waren, hatte er eine andere

Peter stellte alles in Frage, gab Widerworte und wollte einfach nicht auf seinen Lehrer hören. Der warf mit dem Schlüsselbund. Und Peter? Warf einfach zurück. Das gab natürlich Ärger, doch was der Junge auch anstellte, seine Mutter paukte ihn heraus. Schlick wurde er genannt, weil er als Kind in einen Abwassergraben gefallen und im Schlick versunken war.

Mutter und Vater hatten in Berlin studiert, die Mutter Theologie und Philosophie. 1938 mussten sie den großen Familienhof in der Wesermarsch übernehmen. Ein Jahr später wurde Peter geboren, dann musste der Vater in den Krieg. Dreimal kam er nach Hause, zwei Geschwister folgten – bis er als vermisst gemeldet wurde. Für Schlick blieb da immer eine Leerstelle.

Die Städte waren ausgebombt, viele Verwandte flüchteten auf den Hof. Chefin war die Mutter, die von früh bis spät auf den Beinen war, die aber auch immer zwei Stunden am Tag fand, um sich an den Schreibtisch zu setzen und zu studieren, wie sie es nannte. Schlick musste die Kühe aus dem Stall treiben, Eier einsammeln und bei der Ernte mit anpacken. Viel lieber spielte er auf dem Schotterplatz des Eisenbahnervereins Fußball. Dann musste seine Mutter die aufgeschürften Knie und Ellbogen versorgen.

Schlick studierte Soziologe in Münster – und fuhr als Nachtzug-Betreuer durch Europa. Bis zu zwei Wochen am Stück war er unterwegs, machte Betten, servierte Essen, empfahl Herbergen am Zielbahnhof. Er liebte den Job, unterwegs sein, mit Menschen reden, besonders gern mit den Frauen. Die wiederum waren fasziniert von seiner guten Laune, von seinen wallenden Haaren und diesem verwegenen Blick.

Das Private war politisch!

Schlick zog nach Berlin, zusammen mit Barbara, seiner Freundin. Ein Jahr darauf, 1967, kam Anja auf die Welt. Das Private war politisch! Man war viel unterwegs, demonstrierte gegen den Vietnamkrieg. Wohin dann mit dem Kind? 1968 gründete Schlick gemeinsam mit einem anderen Mann Berlins ersten Kinderladen. Die Eltern teilten sich die Tagesdienste auf.

Schlick behandelte die Kinder mit Respekt. Er war antiautoritär, doch zuhause gab es einen Weihnachtsbaum, und geheiratet wurde auch. Schlick machte einfach, was er wollte. Dauerte ihm ein Plenum zu lang, stand er auf und ging. Fußballspielen zum Beispiel. Für die K-Gruppen taugte er nicht. Wenn alle einer Meinung waren, hatte Schlick eine andere.

Und dann studierte er nochmal an der Pädagogischen Hochschule und wurde Lehrer. Ausgerechnet er, dem jegliche Autorität zuwider war. Schlick ging an eine Hauptschule in Neukölln, da wo die Arbeiterkinder waren. Mit seinen Ansichten von Augenhöhe und Gleichberechtigung eckte er an und wurde strafversetzt, an die Rütli-Schule.

Als er die Klasse betrat, das Haar halblang, Holzlatschen an den Füßen, ignorierten ihn die Schüler. Da legte er eine Matte auf den Boden. „Jeder von euch kämpft jetzt gegen mich“, sagte er. „Wenn ich gewinne, macht ihr, was ich sagen. Wenn einer von euch gewinnt, dürft ihr bestimmen.“ Schlick gewann die Kämpfe und die Herzen. Nur das Herz des Neuköllner Stadtrates für Bildung Gerhard Böhm gewann er nicht. Das war einer, der als Schuldirektor den langhaarigen Schülern mit einer großen Schere gedroht hatte. Böhm wollte ein Berufsverbot für Schlick. Der wiederum bekam ein Angebot von der FU für eine Assistentenstelle. Er sollte Politik-Seminare geben. Böhm gab nicht auf: Niemanden sollte dieser Peter Umbsen unterrichten, keine Schüler, keine Studenten. Fünf Jahre dauerte das Verfahren, während derer er weder an der Schule noch an der Uni arbeiten durfte. Da brachte er polnischen Einwanderern eben Deutsch bei und sang mit ihnen das plattdeutsche Lied: „An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband“. Den Prozess gewann er und arbeitete schließlich doch noch sieben Jahren an der FU.

Natürlich wusste er immer alles besser

Seine Tochter erinnert sich, dass zuhause immer was los war, Diskussionen, Partys, endlose Kartenspiele. Später zogen sie in eine große WG, wo auch andere Kinder waren. Und es begann eine Zeit, in der sie sich einen Vater wünschte, der mal für sie alleine da war. Streiten aber konnte sie mit ihm. Natürlich wusste er immer alles besser, aber ab und an gingen selbst ihm die Worte aus. Dann war sie stolz. Später, als sie größer war, hatte sie das Gefühl in seiner Gegenwart so sein zu können, wie sie wirklich war. Sie schrieben sich Briefe, er schenkte ihr Bücher und darin immer eine Widmung. 

Die Ehe mit Barbara hielt nicht, es folgten einige komplizierte Beziehungen. Bis er Lilli im „Slumberland“ traf. 1982 war es, sie sprach sie ihn an. Eigentlich wollte sie nur ein Abenteuer, lebte sie doch eigentlich in Kanada, hatte eine Beziehung. Doch Schlick ließ sich nicht abschütteln, schrieb ihr, dass er zu ihr kommen würde, wenn sie sich nicht entschied. Da komme ich doch lieber selber, dachte Lilli.

Zusammenziehen wollten sie nicht. Aber jedes Wochenende verbrachten sie miteinander. Wenn sie ihn besuchte, musste er sich um alles kümmern: Frühstück ans Bett, einkaufen und kochen, Ausstellung oder Kino. Besuchte er sie, war es umgekehrt.

2015 wurde Peter krank, bekam eine Sepsis, lag drei Wochen im Koma. Als er aufwachte, war er an Händen und Füßen gelähmt und konnte nicht mehr sprechen. Und es geschah ein kleines Wunder ist. Seine Freunde kamen zusammen und überlegten, was zu tun sei. Sie legten zusammen, Monat für Monat, um seine Behandlungen und Therapien zu bezahlen. Sie organisierten einen täglichen Besuchsdienst - nicht aus Pflicht, sondern weil es guttat, mit ihm zu sprechen. Er war witzig, er hörte zu und er gab Rat.

Lilli fand eine gemeinsame Wohnung. Jeden Morgen saß sie neben seinem Bett, sie tranken Kaffee, sprachen. Seine Partnerin wollte sie sein, nicht seine Pflegerin. Also organisierte sie einen Pflegedienst, Ärzte machten Hausbesuche.

Schlick akzeptierte, dass sein Leben nie mehr sein würde wie vorher, Besserung ausgeschlossen. Über Verzweiflung und Frust kam er hinweg und genoss die Knospen, die zu Blüten wurden, die Vögel, die vorbeiflogen, acht Jahre lang. Bis sein letzter Moment gekommen war.

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