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Rebecca McNeely-Werneburg

© privat

Nachruf auf Rebecca McNeely-Werneburg: „Noch mal von vorn!“

Und wenn der Druck am höchsten war, sagte sie: „Ich brauch‘ jetzt was Süßes.“

Rebecca liebte ihren kleinen blauen VW Lupo, über 200.000 Kilometer ist sie mit ihm schon hin- und hergedüst. Immer wieder nach Brandenburg, und wo es schön ist aussteigen, die Gegend erkunden, eine Übernachtung buchen. Einmal fuhr sie bis nach Serbien – ganz allein, weil niemand ihrer Freunde Zeit hatte, sie zu einem traditionellen serbischen Bläserfest zu begleiten. Rebecca sprach kein Wort serbisch, kannte niemanden, Hotelzimmer gab es auch nicht mehr. So schlief sie in ihrem Lupo; lernte Leute kennen; verständigte sich mit Händen und Füßen. Und die Musik war wunderschön.

Rebecca war Buchhalterin in einer großen Firma. Zu acht saßen sie im Büro. Egal wie laut es wurde, Telefonate hier, Besprechungen dort, Rebecca konzentrierte sich, hakte ihre Aufgaben ab, eine nach der anderen. Vergaß nichts, denn sie hatte ihre To-do-Listen. Standen die Monatsabschlüsse an, musste der Jahresabschluss gemacht werden, wurde es stressig. Dann drehte Rebecca auf und arbeitete bis in den Abend. Und wenn der Druck am höchsten war, sagte sie zu ihrer Kollegin: „Ich brauch‘ jetzt was Süßes.“ Dann gingen sie nach nebenan, da gab es einen Fabrikverkauf, und deckten sich ein. Manchmal aber schaute Rebecca einfach nur in ihren Bildschirm, versunken in ihren Tagträumen. Ein Haus wollte sie sich einmal bauen.

Als ihr Mann starb, sie waren erst ein paar Jahre verheiratet gewesen, machte sie sich bittere Gedanken über ihre Arbeitszeiten. Wäre sie nur öfter früher nach Hause gekommen, hätten sie die Zeit besser nutzen können, vielleicht hätte sie dann auch Anzeichen bemerkt…

Er dachte sehr viel nach, sie lachte viel

Anfang der 2000 hatten sie sich kennen gelernt, Dietrich und sie, in einem dunklen Club in Frankfurt. Er war Philosoph und dachte immerzu und sehr viel nach. Sie lachte viel, organisierte Cocktail-Partys, lud Leute ein, begeisterte sich für dies und jenes. Erzählte ihr jemand hingebungsvoll von Astrophysik, war sie Feuer und Flamme für Astrophysik. Dietrich und Rebecca verliebten sich, zogen zusammen, heirateten. Fast alles machten sie zusammen, unternahmen Reisen, nach Kambodscha und Namibia etwa. Ihre Freunde wurden seine Freunde, zu Thanksgiving luden sie gemeinsam zum Truthahnessen ein, auf das sich alle freuten.

Von Frankfurt ging es nach Berlin, Rebecca arbeitete, er machte den Haushalt, schrieb sein Buch. Sie las die Kapitel, gab Anmerkungen und übersetzte es später ins Englische. Er war ihre große Liebe und sie seine. Doch sein psychisches Leiden war zu groß. 2011 nahm er sich das Leben.

Rebecca war in einer kleinen Stadt in den USA, Wisconsin aufgewachsen. Sie war die älteste von vier Töchtern, aber so zierlich, dass ihre jüngeren Schwestern sie auf dem Schulhof beschützen mussten. Und immer waren Nachbarskinder zu Besuch, mit denen sich Rebecca Geschichten ausdachte, mit denen sie als „Marching Band“ durch den Garten zog. Jeder noch so kleine Topf wurde zu einem Instrument umfunktioniert.

Bass in der Kneipen-Band

Am liebsten aber besuchte sie ihre Großmutter, die einen großen Garten hatte. Da lauschte Rebecca den Vögeln und träumte von der weiten Welt. In ihren Träumen war sie zuhause. High School, College, viele Reisen nach Europa, bis zwei Auslandssemester sie nach Frankfurt führten und sie blieb.

Zuhause in Berlin, nach dem Tod ihres Mannes, war es einsam, Rebecca wusste nicht wohin mit sich. Also ging sie in die Neuköllner Kiezkneipe „Sandmann“. Hier konnte man mit anderen am Tresen reden, es gab Livemusik, melancholische Bluessessions. Das passte. Eines Abends suchte Rebecca ihre Jacke, sprach einen der Musiker an. Sie redeten und redeten, bis Rebecca ihn fragte, ob er ihr Bass-Unterricht geben könne.

Konnte er, und bald trat Rebecca der Kneipen-Band bei. Alle zwei Wochen standen sie auf der Bühne. Wenn Rebecca Fehler machte, lachte sie, nahm sich vor, mehr zu üben und stellte sich wieder auf die Bühne, die Mütze ins Gesicht gezogen, die Augen halb geschlossen, den Kopf hin und her wiegend. Mit zwei Freundinnen lernte sie Gitarre, brachte ihnen Noten bei und wie man einen Rhythmus hielt. Und trieb sie mit ihrer gründlichen Art in den Wahnsinn: „Stopp, falsch. Noch mal von vorn!“ Hatte ihre Frauenband dann einen Auftritt, waren die anderen beiden furchtbar nervös, Rebecca aber freute sich. Auf der Arbeit trat sie ihrer dritten Band bei, die auch wöchentlich übte. In der Musik fand sie Trost und Hoffnung. Eine neue große Liebe fand sie nicht.

Oft rief sie Freunde an und fragte, was sie gerade machten. „Ich komme vorbei“, sagte sie dann, setzte sich in ihren Lupo und fuhr los und brachte ihre selbstgebackenen Kekse mit. War sie zu einem Weihnachtsschmaus eingeladen, brachte sie selbst noch mal so viel Essen mit. Vielleicht war es ihre amerikanische Art: Rebecca lachte gerne und viel, und wenn jemand ihr etwas Trauriges erzählte, dann fing sie an zu weinen. 

Zuhause saß ihr Kater. Wollte Rebecca verreisen, kümmerte sie sich darum, dass jemand auf ihn aufpasste. Auf dem Tisch lag dann eine zweiseitige Bedienungsanleitung für das Tier: Wieviel Feucht- und Trockenfutter, wie der Katzenbrunnen geht, wie man ihn streicheln muss, die Nummer vom Tierarzt, wo der Tierpass liegt.

Freunde, Musik, Ausstellungen, Weinfeste, Reisen, Partys – Rebeccas Leben war voll. Sehnte sie sich nach Natur, fuhr sie zu ihrer Finnhütte und ihrem kleinen Garten, setzte sich ins Gras, lauschte den Vögeln. Sie erkannte sie an ihren Stimmen, kannte ihre deutschen Namen.

Dass sie plötzlich etwas kurzatmig war, schob der Arzt auf eine Grippe. Eben war sie noch bei Bandaufnahmen im Studio, als sie in ihrem Lupo saß und den Notarzt rief. Eine Lungenembolie. Doch es war zu spät. Noch im Krankenwagen kam es zum Herzstillstand. Als in der Klinik die Maschinen ausgestellt wurden, standen ihre Freunde an ihrer Seite. Viele Stunden waren sie noch bei ihr, haben für sie musiziert, haben ihr die Musik vorgespielt, die sie so sehr mochte.

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