zum Hauptinhalt
Ulrich Franz Schuster

© privat

Nachruf auf Ulrich Franz Schuster: Dieser Schaffensstrom, der immer fließen musste

Warum er nicht über seine Gefühle sprechen wollte? Weil seine Mutter ihm so oft mit ihren Tränen zugesetzt habe.

Ein Vater nimmt sich das Leben. Zwei Söhne, erwachsen, bleiben zurück, mit Liebe, mit Fassungslosigkeit und Fragen. Wer war ihr Vater, der so gut wie nie über sich redete, der immer im Ringen mit seiner Kunst war?

Sein Vater war ein verwundeter Soldat, seine Mutter Krankenschwester im Lazarett. Eine kurze, heftige Liebe zwischen all den Schmerzen. Nachdem Krieg und Gefangenschaft vorbei waren, suchte und fand er sie. Eine Tochter, nicht seine, war schon da. Machte nichts. Ein Sohn kam dazu und dann noch einer, das war er: Uli.

In Kleve am Niederrhein wuchs Uli auf. Urkatholisch, streng, auf dem Konservatorium lernte er Geige und Cello. Warum er nicht über seine Gefühle sprechen wollte, fragte ihn seine Lebenspartnerin später. Weil seine Mutter ihm so oft mit ihren Tränen zugesetzt habe, antwortete er.

Er erinnerte sich, wie er auf einem Findling stand, dicker Mantel, Pummelmütze, es hatte geschneit. Wie er mit Schulkameraden über die Stoppelfelder rannte, Papierdrachen steigen ließ. Einmal fand er ein Amseljunges, legte es in einen Pappkarton, wollte es großziehen und wusste nicht, womit er es füttern sollte. Es starb. „Das schwarzgraue, zitternde Federkleid spüre ich heute noch unter den Fingern“, schrieb Uli in einem Interview mit sich selbst.

Flucht nach Berlin

Uli malte und zeichnete. Sein Kunstlehrer lud mal Joseph Beuys in die Schule ein, ein stolzer Moment. Uli machte Abitur– als Erster in seiner Familie. Kunst wollte er studieren. Etwas Handfestes zuerst, beharrten seine Eltern, also eine Tischlerlehre. Danach floh Uli nach Berlin, bewarb sich an der Hochschule der Künste – und wurde nicht genommen. Noch mal oder woanders bewirbt er sich nicht, stattdessen bringt er sich alles selber bei.

Nachdenklich, ruhig und immer rauchend, so erlebte ihn Joost, sein längster Freund. „Er hat sich sehr präzise geäußert, war kritisch und gebildet.“ Da war dieser Schaffensstrom, der immerzu fließen musste, ob mit oder ohne Publikum. Künstler sein ist kein Beruf, sondern ein Zustand, eine Lebensform, Fluch und Segen. „Ich komme immer zur Kunst zurück, ich kann nichts anderes“, schrieb er.

Anfang der 80er, Uli teilte sich mit anderen ein riesiges Atelier in Kreuzberg. Drinnen wurde gemalt, gemeißelt und ausprobiert. Uli baute einen riesigen Rahmen aus Holz, verknotete darin alte Jeans, nannte es „tote Hosen“. Draußen probten die Autonomen den Aufstand und kämpften um Häuser. Nebenan teilte die Mauer die Stadt. Tage verbrachte Uli damit, Meter um Meter dieser Mauer zu bemalen: kräftige Farben, teils abstrakt, dann wieder angedeutete Körper, Gesichter, Nasen, Blumen. Mit seinem rostigen Ford, mit Leitern, Farbeimern und breiten Pinseln hinten drin fuhr er vor. „Es waren immer viele Leute da, zum Reden, zusehen, diskutieren, filmen. Die Amis fuhren in ihren Jeeps vorbei, machten Victory-Zeichen“, schreibt er.

Auf einem Foto steht er mit einem Farbbecher in der Hand vor der Mauer. Die weiße Hose vollgekleckst. Er schaut auf den Boden, auf dem Gesicht der Anflug eines stolzen Lächelns. „Jeder, der diese Bilder gesehen hat, war verblüfft und begeistert. Sie haben sich um die Welt verbreitet.“

Auch er musste Essen und Miete bezahlen

Uli schrieb Stücke, machte Musik, erstellte Skulpturen aus Beton oder Gips, malte. Er verkaufte Bilder, war bei Ausstellungen dabei, Galerien nahmen ihn in ihr Programm auf. „Die mentale und physische Spannung, die es braucht, um etwas Überzeugendes zu machen, bringt mich manchmal fast um. Ich versuche, was ich kann, und auch, mehr noch, was ich nicht kann – das sind oft die zumindest interessanteren Sachen.“

Einmal bekam er einen ganzen Raum in einer Ausstellung, aber anstatt seine verkaufsträchtigen Bilder ins schönste Licht zu stellen, füllte er ihn mit bunten Herbstblättern. „Wie man Geld verdient – ich meine viel –, ist mir immer verschlossen geblieben.“ Doch auch er musste Essen und Miete bezahlen. „Zu dieser Zeit hatte ich einen ziemlich dummen Job als Monteur von Bierzapf- und Kühlanlagen und bin in irgendwelchen Restaurant- und Kneipenkellern rumgekrochen. Davor als Kulissenschreiner und -schieber am Schillertheater.“ Immer wieder arbeitet er auch als Tischler.

Ende der 90er Jahre, Barbara und Uli können gut miteinander. Sie mögen dieselben Filme, dieselbe experimentelle Musik, sie können ohne Probleme einen ganzen Tag im Museum des Vatikans verbringen, spüren keinen Hunger, keinen Durst. „Ich habe in Uli einen empathischen Menschen gesehen“, sagt Barbara. Ein Sohn kommt auf die Welt, Malte, dann noch einer, Jakob.

Die Familie braucht Zeit, Geldverdienen braucht Zeit, Kunst braucht Zeit, so viel Zeit hat Uli gar nicht. Im Jahr 2000 schließen Galerien, die ihn ausgestellt haben. Dann verliert er auch noch einen Job. Uli zieht sich tiefer und tiefer in sich selbst zurück. Sich und seine Werke zeigen, dass will, das kann er nicht mehr. Darüber reden auch nicht. Als sein Schweigen immer größer wird, trennt sich Barbara von ihm.

Seine Söhne besuchen ihn in seiner winzigen Wohnung, der eine mittwochs, der andere freitags, sie schlafen auf einer Matratze, mit ihnen geht Uli Fußball spielen oder Federball im Schrebergarten. Es gibt innige Momente, gute Gespräche. Doch es bleibt das Gefühl, dass der Vater fehlt, dass die Kunst immer wichtiger ist.

Ein Freund verschafft ihm einen Job als Hausmeister. Im Heizungskeller desselben Hauses darf er sein Atelier einrichten, sein letztes. Seine Kunst zeigt er aber niemandem mehr. „Wenn Sie Kunst machen, rennen Sie betäubt von Ihren Ambitionen und völlig sinnlos ins Nichts – vorne gibt es niemanden, der Sie erwartet und einen Preis überreicht.“

Als Uli nicht mehr kann, ruft er seine Söhne an. Sie kommen, sie sind für ihn da, organisieren ihm einen Therapieplatz. Doch trotzdem entschied er sich.

In seinem Atelier entdeckten sie Hunderte von Werken. Ihrem Vater, dem verstummten Künstler, widmeten sie eine letzte Ausstellung. Hunderte kamen, kauften die Werke, die nun bei ihnen weiterleben.


Haben Sie dunkle Gedanken? Der Berliner Krisendienst (www.berliner-krisendienst.de) ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonseelsorge unter 0800-1110111

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false