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© imago/Seeliger/IMAGO/snapshot-photography/T.Seeliger

Sommer in der Stadt: Berlin, Du kannst so wunderbar sein – wenn alle weg sind

Die Straßen leer und himmlische Ruhe – in Berlin sind Sommerferien. Unsere Kolumnistin genießt die Zeit, bis der ganz normale Irrsinn wieder einkehrt.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Wenn jetzt schon Löwen zu uns in die Stadt reinkommen, kann das nur eines bedeuten: In Berlin ist die schönste Zeit des Jahres. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, es herrscht eine wunderbar himmlische Ruhe überall. Die Straßen leer, die Öffentlichen leer, die Museen leer, die Supermarktkassen leer.

Hach Berlin, Du kannst so wunderbar sein, wenn alle im wahrsten Sinne des Wortes den Abflug gemacht haben. Keine Einheimischen, keine Zugezogenen und die Touristenscharen laufen auch nicht in einer Sechser-Menschenkette auf dem Gehweg, sodass man auf die Straße ausweichen muss, um an ihnen vorbeizukommen.

Bisher sah mein Leben so aus: Von November bis April mache ich Pläne, Berlin zu verlassen. Ab Mai schaltet meine Laune auf „gar nicht so schlecht hier“. Und von Juli bis Oktober liebe ich Berlin. Dieser Übergang von kalt zu warm, herrlich. Damit meine ich nicht das Wetter, sondern das Klima in den Herzen meiner Mitmenschen.

Probleme werden hier einfach weggesommert

Sobald die Sonne scheint, wird gelächelt, man grüßt sich plötzlich, sitzt entweder in Cafés und Restaurants oder stellt alles, was als Sitzgelegenheit dienen könnte, auf den Gehweg. Probleme werden hier einfach weggesommert. Berlin lässt sich zwar nicht so schnell ändern, aber dafür die Laune.

Und unser großes Glück ist bisher, dass die Temperaturen verglichen mit dem Rest von Europa erträglich sind.

Wenn ich zufrieden in meinem Bett liege und durch das geöffnete Fenster in den Himmel schaue, stelle ich mir Berlin das ganze Jahr so unschuldig vor. Aber dann fällt mir voller Panik ein, dass ich genau wegen dieser dörflichen Langeweile nach nur einem Jahr aus dem grünen Süden wieder Richtung Charlottenburger Metropole gezogen bin.

Auch, wenn sich das ganze Großstadtleben offenbar in meinem Innenhof abspielt, der wie ein Schalltrichter jedem Ton einen Resonanzboden bietet. Zum Beispiel, wenn mein Nachbar seine Glasflaschen recycelt, die beim Aufprall ein Geräusch entwickeln, als hebe ein Düsenjet neben mir ab. Oder die Nachbarin, die bei ebenfalls geöffnetem Fenster ihre hormonellen Glücksmomente mit dem ganzen Haus teilt.

Bald sind alle zurück aus ihrem Urlaub oder verbringen ihn in Berlin und der ganz normale Irrsinn kehrt wieder ein. Aber bis dahin genieße ich die Ruhe und lächele mich durch Berlin.

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