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Ifa-Revolutionen: Von der Fernbedienung zur lautlosen Waschmaschine

Technische Neuerungen aus fünf Jahrzehnten: Wir stellen Erfindungen vor, die einst revolutionär waren und auf vergangenen Funkausstellungen für Furore sorgten. Heute gehören sie zum Alltag - oder sind bereits ausgestorben.

1959: FERNBEDIENUNG - wie Familien das Streiten lernten

Die Szene ist Alltag: Die Kinder starren im friedlichen Dämmerzustand auf den Fernsehbildschirm, fast schon in meditativer Haltung sitzen sie vor der Flimmerkiste. Einträchtig sitzt ihr Vater neben ihnen auf dem Sofa. Doch dann, die Bewegung kommt wie aus dem Nichts und ist blitzschnell, greift seine rechte Hand zur Fernbedienung. In Sekundenschnelle fährt der Vater seinen Arm aus: Klack. Tagesschau statt Teletubbies. Die Fernbedienung lässt den Kindern keine Zeit friedlich aus ihrer Teletubbie-Meditation aufzuwachen, sondern zerrt sie mit brutaler Geschwindigkeit an die Oberfläche der Realität. Ein Knopfdruck genügt, um Tränen fließen zu lassen.

Eigentlicher Protagonist der tragischen Handlung ist aber nicht der Vater, auch nicht die meditierenden Kinder, nein, es ist: Die Fernbedienung. Als das erste drahtlose Modell 1959 auf der IFA vorgestellt wurde, war jedoch noch nicht absehbar, dass sie einmal im Mittelpunkt von Familiendramen stehen würde. Tatsächlich war der Umschalter zu jenem Zeitpunkt noch ziemlich irrelevant - es gab nämlich nur ein einziges TV-Programm. Erst im April 1963, fast zehn Jahre nach Sendestart der ARD, ging das ZDF als auf Sendung. Bis dahin diente die Fernbedienung lediglich zur Feineinstellung der Bilder und zur Regelung der Lautstärke.

Mit der Etablierung des Privatfernsehens in den 80er Jahren gewann die Fernbedienung dann an Bedeutung und gebar ein neues Kulturphänomen: "Zapping" bezeichnet seither das rasche Umschalten von einem Sender auf den anderen. In dieser Zeit war es auch, als der Fernbedienung der unzweideutige Beiname "Die Macht" eingetragen wurde. Doch mittlerweile hat sie ihren Zenit überschritten. Laut einer Umfrage von 2007 wird in Deutschland immer weniger gezappt. Ist das Programm besser geworden? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich stehen heute einfach nur mehr Fernseher in den Kinderzimmern als früher.

1969: VIDEOREKORDER - Freiheit vom Programm

Beim Videorekorder scheiden sich die Geister: Die einen preisen ihn als technischen Befreiungsschlag aus der Diktatur der Sendezeiten, den anderen gibt er nur viele und unlösbare Rätsel auf - sie hassen ihn weil er zu Zeiten sehr eigenwillig sein kann und nie das macht was man möchte.

Tatsächlich musste man sich seit seiner Einführung im Jahr 1969 nicht mehr zwischen Theaterbesuch und "Tatort" entscheiden - doch nur, wenn alles glatt lief, und das Gerät nicht wieder "8888" nach einer Stunde Gestöpsel und Gekabel meldete. Weil der Videorekorder hartnäckig seinen Ruf verteidigte, unberechenbar zu sein, gab es viele, die ihm seit seiner Geburt nur mit gesundem Misstrauen begegneten. Während das Gerät aufzeichnete und meist unschuldig mit seinen Dioden blinkte, hielten diese Menschen mitunter eine ganze Nacht lang Wache vor ihm - mit dem Effekt, dass er sein Versprechen, uns von der Diktatur der Sendezeiten zu befreien, für nichtig erklärte.

Mutigere Menschen dagegen gingen einfach ins Theater und überließen Haus und Fernsehprogramm dem Videorekorder. Diese mussten dafür aber damit rechnen, am nächsten Morgen statt "Spiel mir das Lied vom Tod" eine Dokumentation über Flusspferde im unteren Niltal auf der Kassette vorzufinden - es soll nur ganz wenige Menschen geben, die nie im Clinch mit ihrem Videorekorder standen. Und dafür liebten sie ihn heiß und innig. Wohl nur auf Eines können sich Verehrer des Apparats mit den Videorekorder-Hassern einigen: Sein Name erklingt am Schönsten, wenn man ihn auf Sächsisch ausspricht: "Vidd-schoo-rää-koo-dah."

1975: VIDEOTEXT - einst die schnelle Quelle

Er war immer da, wenn wir ihn brauchten. Egal ob man mit den neuesten Bundesligaergebnisse prahlen wollte (woher hatte man die bloß?) oder sich nur versichern, dass die Aktienkurse stetig weiter steigen - immer genügte ein kurzer Griff zur Fernbedienung. Klack, klack, klack: Schnell war die dreistellige Zahlenkombination eingegeben und nach wenigen Sekunden des Blätterns - tadah! - flimmerten schon die Informationen aktuell, bunt und übersichtlich über den Schirm. Bevor das Internet zur universalen Informationsquelle avancierte, war der Videotext für viele unverzichtbar. Er lieferte aktuelle Nachrichten über politische Umstürze oder kulturelle Großereignisse, hatte den neuesten Promi-Klatsch auf Abruf bereit und wusste sogar über Schneehöhen oder Pegelstände bescheid. Viele Fernsehmoderatoren hegten eine stille Hassliebe zu ihm, weil er ihre Einschaltquoten bekanntgab, aber das sei nur am Rande erwähnt. Seine Stärke war und ist vor allem die schnelle Berichterstattung in Krisenzeiten, seine Macher bezeichnen ihn daher auch gerne als "Krisenmedium". Aus Furcht vor einer möglichen Dominanz des digitalen Texts gründete der Bund der Deutschen Zeitungsverleger 1977 die "Bildschirmzeitung". Doch als ernsthafter Konkurrent, der den Printprodukten massenhaft die Leser abjagen konnte, entpuppte sich der Videotext nie. Dagegen musste er selbst mit der Etablierung des Internets um seine Existenz bangen und zahllose Abgesänge über sich ergehen lassen. Oft wurde ihm vorgehalten, immer noch aufgepixelt wie die ersten Pacman-Spiele daherzukommen. Und ja, es stimmt vielleicht auch: Seit den 70er-Jahren hat sich sein Erscheinungsbild kaum verändert. Obwohl der Videotext noch nicht mal 30 Jahre alt ist, mutet er in der Medienlandschaft wie ein Reptil an. Doch Reptilien sind ja bekanntlich robust und langlebig.

1989: GAMEBOY - heimlicher Vorreiter in vielen Dingen

In vielen Dingen war der Gameboy ein heimlicher Vorreiter, doch das blieb immer unerkannt. So war eigentlich er es, der das "To-Go-Prinzip" erfunden hat. "Coffee to go", also Kaffee, den man auf dem Weg zur Arbeit schlürfen kann, wäre ohne den Gameboy undenkbar. Die Kinder haben es vorgemacht: Mit einem Gameboy in der Hand gingen sie daddelnd zur Schule und erkannten früh, dass man, während man die Beine bewegt, auch noch gut andere Dinge tun kann. Seine Speichermedien hießen prophetisch "Module", so wie heute die Seminare an den Universitäten. Und die dienen ja auch der Speicherung von Informationen. Und noch eins: Der Gameboy setzte auf ein klares, übersichtliches Design (mit dem schwarzen Steuerkreuz und den violetten Tasten) - so wie es ihm heute Apple mit seinem fast schon ikonenartigen iPod gleichtut.

Der Gameboy kam 1989 in Japan auf den Markt, ein Jahr später bahnte sich das Sony-Produkt seinen Weg nach Deutschland. Das meistverkaufte "Modul" war (das erstaunlicherweise aus Russland stammende) Tetris - dieses Spiel bei dem man geometrische Formen, die immer neu vom Displayhimmel rieseln, so drehen muss, dass sie an die zerklüftete Bodenlandschaft andocken können. Wie viele anderen technische Neuerungen polarisierte auch der Gameboy: Von den einen als pädogogisch wertvoll gelobt, wurde er von anderen vielmehr als gefährliches Suchtmittel für Kinder eingestuft. Eines kann man ihm aber sicher nicht streitig machen: Er war eine Erfindung, die im Gedächtnis blieb. Das Tamagotchi ist längst vergessen.


1999: FLACHBILDSCHIRM - der Moderne goldenes Kalb

Können technische Gegenstände eine fast sexuelle Anziehungskraft ausüben? Ja, können sie. Mit Sicherheit. Und jeden, der das nicht glauben mag, muss man nur auf den Plasmabildschirm aufmerksam machen. Mit der Vorstellung des Plasma-Bildschirms auf der Ifa 1999 hatte unsere Konsumgesellschaft ein neues Leitprodukt. Das jedenfalls ist der Begriff, den Soziologen verwenden, wenn sie Dinge meinen, die jeder haben will, Dinge, die Status verschaffen. Oder schlichter ausgedrückt: Was das goldene Kalb zu biblischen Zeiten war, ist der Plasmabildschirm heute. Wie sonst wäre es zu erklären gewesen, dass Robert Hoyzer, ein zurechnungsfähiger Mann, seine Karriere als Schiedsrichter so leichtfertig aufs Spiel setzte? Wir erinnern uns an den Schiedsrichter aus Spandau, der Fußballspiele manipulierte, um Bestechungsgelder und...na? ...ja, einen Plasmabildschirm einzukassieren.

Die Sogkraft des flachen Schirms hat seit dem Wettskandal sogar noch zugenommen. Immer mehr Menschen wollen diesen makellosen, spiegelglatten Fernseher, der mit Phosphor und Edelgasen Farben erzeugt. Während im Jahr 2001 noch 90 Prozent aller Ausgaben für Fernsehgerät für die herkömmliche Röhre bestritten wurden, waren es 2006 nur noch mickrige 16 Prozent - der große Rest fiel auf auf Flachbildfernseher aller Art. Im Internet gibt es inzwischen Foren, wo sich herzhaft darüber gestritten wird, wie man die denn zu reinigen habe: Microfaser, Brillenputztuch oder doch Spezialschaumreiniger? Eine wichtige Frage, das goldene Kalb will schließlich schön glänzen.

2008: DIE STILLE WASCHMASCHINE - wie die Technik zum Schweigen verdammt wurde

Was haben sie uns nicht alle Nerven gekostet. Die donnernde Waschmaschine, der rumpelnde Kühlschrank und nun ja, auch der Geschirrspüler. Bei ihm war es am Schlimmsten: Gerade hatte man aufwendig gekocht, gut gespeist, den Geschirrspüler eingeräumt und machte es sich nun auf dem Sofa bequem - schon drang jedes Mal dieses penetrant-laute Surren aus der Küche. Nervig, jedes Mal. Damit soll nun ein für alle Mal vorbei sein, verspricht die Firma AEG. Unter dem Label "Stille Helden" präsentierte sie auf der diesjährigen Ifa lautlose Geschirrspülmaschinen. Angeblich nur in Flüsterlautstärke sollen die Helden ihre Arbeit verrichten.

Mit dieser Innovation reiht sich AEG in einen wichtigen Trend ein: Gerätschaften werden leiser. Eine große Schar von Ingenieuren tüftelt an jeder Ecke der lärmenden Haushaltsgeräte, um dem Getose ein paar Dezibel abzuringen. Und so werden auch Kühlschränke künftig nicht mehr mit lautem Seufzen die Luft in ihrem Inneren umherwirbeln, Waschmaschinen müssen fortan leiser trommeln (und dürfen beim Schleudergang nicht mehr lautstark durch die Waschküche hoppeln). Der Mensch beweist einmal mehr, dass er, und niemand anderes als er, das Sagen hat - seine technischen Kreaturen hat er zum Schweigen verdonnert. Held dürfen sie ruhig sein, aber bitteschön still, ja, wenn das geht. Ein Problem bleibt aber dennoch mit der Stille: Wo ist das Geschirr, das beim Einräumen nicht so scheppert?

Philipp Hauner

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