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Tausende Menschen demonstrierten in Berlin-Mitte und Kreuzberg für einen vernünftigen Mietendeckel.

© imago images/Peter Homann

Problemfall Neuvermietungen: Wo ein Mietendeckel wirklich ansetzen müsste

Der Ex-Stadtentwicklungssenator, Peter Strieder, findet: Die Politik sollte geltendes Recht durchsetzen, statt radikale Lösungen anzukündigen. Ein Gastbeitrag.

Die Berliner Politik ringt um einen Mietendeckel. Die gute Idee war, die Mieten einzufrieren, weil bei Neuvermietungen die Mieten explodieren. Die Sorgen der Mieterinnen und Mieter, man könne sich bald die Wohnung nicht mehr leisten, jedenfalls gebe es kaum eine Chance eine neue, vielleicht größere Wohnung zu finden, die bezahlbar ist, Kinder könnten nicht mehr ausziehen, Familien nicht gegründet werden, weil man sich die größere Wohnung nicht leisten kann, sollten bald der Vergangenheit angehören. Hoffentlich kann die Politik liefern. Sicher ist das keineswegs.

Zunächst blockierte die Linke das Vorhaben. Heute jedoch kann es ihr mit dem Mietendeckel nicht systemsprengend genug sein. Allerdings: Die Absenkung von Mieten, der Eingriff in bisher rechtmäßige Verträge, die Zuständigkeit des Landes Berlin sind juristisch höchst zweifelhaft. Die Vorlage der Senatsverwaltung trägt schon mal nicht die Unterschrift der zuständigen Mitarbeiter, das dürfte seinen Grund haben!

Im Gesetzgebungsverfahren muss der Justizsenator die Vorlage für einen Mietendeckel mitzeichnen. Trotz erheblicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorlage will er dies tun – allerdings nur „unter Vorbehalt“, wie es in einer Stellungnahme seines Hauses an die Senatskanzlei heißt.

Das wird spannend. Möglicherweise müssen auch die Grünen die Versprechungen vom Sommer wieder kassieren. Vielleicht ist das auch der Plan der Linken, die der Volksinitiative zur Enteignung der großen Wohnungsunternehmen zum Erfolg verhelfen will: Nur wenn der Mietendeckel scheitert, hat die Enteignungskampagne Rückenwind.

Die Durchschnittsmiete in München beträgt 11,69 Euro, in Hamburg 8,44 Euro und in Berlin 6,72 Euro.

„Das Problem sind Neuvermietungen“

Die Hamburger Mieten liegen 26 Prozent über denen von Berlin, die Münchner 74 Prozent! Bei bestehenden Mietverträgen ist Berlin also günstig. Das Problem sind Neuvermietungen. Für die bestehenden Mietverträge stellen Mietpreisbremse und Mietspiegel ein verlässliches Instrument dar. Ein etabliertes und sicheres Rechtssystem zum Interessenausgleich zwischen Mieter und Vermieter, um das uns viele in der Welt beneiden und das wir nicht gefährden sollten.

Peter Strieder ist Rechtsanwalt und ehemaliger Senator für Stadtentwicklung in Berlin.
Peter Strieder ist Rechtsanwalt und ehemaliger Senator für Stadtentwicklung in Berlin.

© Mike Wolff

Aufgabe der Politik wäre es, geltendes Recht durchzusetzen, statt sich in radikalen Ankündigungen zu gefallen. Denn die Mietsteigerungen bei den Angebotsmieten zeigen: Viele – nicht alle – Vermieter nehmen trotz Mietspiegel und Kappungsgrenze, was geht. Angesichts der zu geringen Neubautätigkeit können Vermieter die Preise diktieren, vielfach rechtswidrig.

Politik hat versäumt, die Mieter aufzuklären

In Berlin darf die Miete bei Neuvermietung nicht mehr als 10 Prozent über dem Mietspiegel liegen. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz nennt das auf ihrer Website „Deckelung der Miete“, also Mietendeckel. Doch die Einhaltung der Gesetze wird nur überprüft, wenn der Mieter es verlangt, und der kennt seine Rechte häufig nicht. Die Politik hat es versäumt, mit einer breiten Kampagne die Mieter aufzuklären und Vermieter zu sanktionieren. Beim Mietendeckel wird es nicht anders sein.

Angesichts der Durchschnittsmiete von 6,72 Euro liegt es nahe, dass alle in den letzten Jahren abgeschlossenen Mietverträge ab 8 Euro in ihrer Rechtmäßigkeit angezweifelt werden können. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung könnte mit den Bezirken alle anschreiben, die sich seit Inkrafttreten der Mietpreisbremse 2015 angemeldet haben.

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Die Einwohnermeldeämter kennen die „Neuankömmlinge“. Per Brief könnten die Mieterinnen und Mieter erklärt bekommen, wie man überschlägig die Rechtmäßigkeit der eigenen Miete überprüfen kann, zum Beispiel bei einer Nettokaltmiete von 8 Euro. Für den Fall, dass es Anlass zur Überprüfung gibt oder Beratungsbedarf aus sonstigen Gründen besteht, wird das in den Kiezen einzurichtende kleinteilige Beratungsangebot empfohlen, das gegebenenfalls auch den Kontakt zum Vermieter herstellt oder Anwälte empfiehlt, deren Kosten vom Land getragen werden, um die Hürden für eine erfolgreiche Durchsetzung des Rechts möglichst niedrig zu halten.

Starker Schutz für Mieterinnen und Mieter

Diese Kampagne nutzt bestehendes Recht, verhilft ihm zur Durchsetzung und stärkt das Bewusstsein auch für seine sozialen Anliegen. Sie ist sofort umsetzbar, ohne Verbändebeteiligung, Normenkontrollklage und vor dem Hintergrund bereits bestehender Rechtsprechung. Sie braucht keine neue, bürokratische Struktur wie der bisher diskutierte Deckel, für die aktuell sowieso noch kein Haushaltstitel eingerichtet wurde.

Mit den für den 8. Oktober im Bundeskabinett angekündigten Verbesserungen zur Mietpreisbremse kann sich die Kampagne auf zusätzlichen starken Schutz für Mieterinnen und Mietern in angespannten Wohnungsmärkten stützen. Zu viel gezahlte Mieten können für 30 Monate zurückverlangt werden und in die Berechnungen des Mietspiegels fließen statt bisher vier die letzten sechs Jahre ein, was den Mietenanstieg bremsen wird.

Eine derartige Informations- und Rechtsschutzkampagne taugt zwar nicht zur Profilierung als Kapitalismuskritiker. Stattdessen führt die Kampagne aber kurzfristig zu Überprüfungen, Absenkungen und Rückzahlungen. Man muss nur wollen und vergleichsweise geringe Ressourcen bereitstellen, aber das sollte ja wohl kein Problem sein, wenn die Senatsparteien die Nöte der Mieter auch nur halb so ernst nehmen wie sie gerne betonen.

Peter Strieder

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