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Das Team des Projektes NPS VeriQon von links nach rechts: Felix Rudolphi, Sara Seiffert, Till Orth, Robert Müller, Torsten Schönberger, Beate Paulus, Anna Wernbacher, Vincent Pohl.

© Marion Kuka

Designerdrogen entlarven: Wenn Quantenchemie zum Spürhund wird

Im Projekt NPS VeriQon arbeiten Fachleute von Unternehmen, der Freien Universität und des BKA gemeinsam daran, neue Drogen zu identifizieren.

Von Marion Kuka

Das Geschäft mit Designerdrogen – neuen psychoaktiven Stoffen, kurz NPS – ist durch das Internet und die Globalisierung stark vereinfacht: Unzählige Varianten sind per Klick bestellbar, Hersteller erhalten aus Asien vorgefertigte Grundstoffe im Baukasten. „Designerdrogenproduzenten in ganz Europa arbeiten damit“, sagt Torsten Schönberger.

Der Chemiker vertritt das Bundeskriminalamt (BKA) im Projekt „NPS VeriQon“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Zusammen mit Behörden in den USA hat er den „NPS Data Hub“ aufgebaut: Rund 500 öffentliche Einrichtungen greifen über dieses Portal auf analytische Daten von derzeit über 5000 psychoaktiven Substanzen zu, mit dem Ziel, die Bevölkerung zu schützen. „Jedes Jahr kommen etwa 100 bislang unbekannte Substanzen hinzu“, berichtet der BKA-Analytiker. Das Ziel der Hersteller sei es, neue Stoffe auf den Markt zu bringen, die in den verschiedenen Ländern noch nicht verboten sind und vorerst legal vertrieben werden können.

Aufwendige Analyse

Zwar wird das Ende 2016 in Kraft getretene, äußerst umfangreiche deutsche NPS-Gesetz (NpSG) jährlich aktualisiert, doch auch die Drogenkonstrukteure sind schnell. Welche Möglichkeiten sie haben, erklärt Projektpartner Felix Rudolphi, Gründer der Software-Firma Sciformation, am Beispiel synthetischer Cannabinoide, die häufig als Kräutermischung getarnt werden: „Neue Moleküle lassen sich am Computer entwerfen, Hunderttausende Design-Kombinationen sind möglich, die etwa auf die Cannabinoid-Rezeptoren im menschlichen Nervensystem zielen und sehr gefährlich sein können – keiner weiß genau, was sie im Körper anrichten.“ Wird eine bislang unbekannte Substanzprobe in verdächtigem Kontext sichergestellt, etwa durch Zollbehörden, weiß das Zollpersonal noch nicht, was es vor sich hat: Die porta­blen Analysegeräte können bisher unbekannte Stoffe oft nicht erkennen.

Um die chemische Identität der Bestandteile einer Probe zu ermitteln, werden in der Regel mehrere Untersuchungsmethoden kombiniert: NMR-Spektroskopie, Raman-Spektroskopie, Massenspektroskopie und Infrarotspektroskopie. Dabei wird die Probe jeweils unterschiedlicher elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt. Die Wechselwirkung zwischen Strahlung und Molekülen wird in sogenannten Spektren aufgezeichnet. „Die Spektren sind wie Teile eines Fingerabdrucks“, erklärt Till Orth, der im Rahmen des Projekts beim BKA promoviert. „Je mehr Methoden und Spektren vorliegen, desto besser gelingt die Interpretation und damit die Strukturaufklärung.“

Nur wenige Labore besitzen wie das BKA die nötige Ausstattung und das Fachwissen dazu. Die Ergebnisse fließen in den NPS Data Hub, der das Wissen von Behörden auf der ganzen Welt schwarmintelligent zusammenbringt. Kleinere Labore fügen ihre Messungen hinzu oder können prüfen, ob ihr Spektrum zu einer Substanz in der Bibliothek passt.

Doch Spektroskopie ist fehleranfällig: Selbst in Fällen, in denen die gleiche Probe mit baugleichen Geräten analysiert wird, können die Spektren unterschiedlich aussehen, etwa aufgrund unterschiedlicher Probenpräparation oder Beimischungen. Für mehr Zuverlässigkeit soll deshalb der Projektpartner Quantistry sorgen: Die Ausgründung der Freien Universität hat eine Software für quantenchemische Simulationen entwickelt. Ihre Algorithmen rechnen nach, ob ein Spektrum zu einer Strukturformel passt und ob etwaige Abweichungen im Rahmen sind. Die Simulationen werden mit den tatsächlichen Messungen verglichen. Wenn sie passen: Treffer! Passen sie nicht, sind weitere Analysen nötig.

Hilfe bei Strafverfolgung

„Verglichen mit experimentellen Methoden ist eine Simulation schnell, kostengünstig und ortsunabhängig“, sagt Beate Paulus. Die Professorin für Theoretische Chemie an der Freien Universität hat das Start-up als Mentorin betreut und bringt ihre Expertise in das NPS-VeriQon-Projekt ein. Quantistry-Mitgründer Vincent Pohl erklärt, wie es praktisch funktioniert: „Wenn Partner in Singapur Daten von Messungen hochladen, rechnet unser Tool nach, ob sie schlüssig sind. Wenn nicht, erscheint ein Warnhinweis, und die Fachleute müssen sich den Fall genauer ansehen.“ Weil der Data Hub verschiedene Techniken und Expertenwissen kombiniert, hilft er auch bei der Strafverfolgung: Vor Gericht muss nämlich mit mindestens zwei unabhängigen Methoden bewiesen werden, dass eine verbotene Substanz im Spiel war.

Schutz und Selbstschutz

Auch Sara Seiffert von der Firma Metrohm wirkt mit. Ihr Unternehmen stellt die handlichen Geräte her, die eingesetzt werden, um Drogen vor Ort zu identifizieren. Mittels Laserstrahl misst das darin verbaute Raman-Spektrometer auch durch durchsichtige Verpackungen und durch Glas. „Im Idealfall koppeln die Einsatzkräfte das Gerät per Laptop mit dem NPS Data Hub, um zu erfahren, um welchen Stoff es sich handelt, und treffen Vorsichtsmaßnahmen“, sagt die Chemikerin. Die Beamten müssten sich schließlich auch selbst schützen: Vom synthetischen Opioid Fentanyl können etwa schon geringe Mengen tödlich wirken.

Die Vision des Teams: Spektren für Stoffe vorherzusagen, die es noch gar nicht gibt. „Wenn wir simulierte analytische Daten für potenzielle Drogen in unserer Datenbank hinterlegen, können Beamte vor Ort auch neue Substanzen gleich erkennen und richtig handeln“, sagt BKA-Mitarbeiter Torsten Schönberger. Noch ist das Team nicht am Ziel. Die Simulationen zur NMR-Spektroskopie waren erfolgreich, bei einer anderen Methode, der Raman-Spektroskopie, ist es komplizierter. „Wir suchen gerade nach neuen Ideen“, sagt Beate Paulus. Eine Herausforderung seien Verunreinigungen, die Ergebnisse verzerren könnten. Doch sie ist optimistisch: „Wir haben die richtigen Leute am Tisch, um diese Probleme zu lösen.“

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