zum Hauptinhalt
Erntehelfer pflücken Erdbeeren auf einem Feld in Sachsen.

© dpa/Jan Woitas

Feldarbeit im Fokus: Unter bisweilen schäbigen Bedingungen

Rund 135.000 Saisonarbeiter bringen hierzulande die Ernte ein. Ein Bündnis aus Kirchen und Gewerkschaften bemüht sich um faire Landarbeit.

Die Erntehelfer in einem baden-württembergischen Betrieb bekommen nach zehn Tagen einen Lohn von 150 Euro. Von 6 bis 19 Uhr haben sie auf den Feldern gehackt, Himbeeren gepflückt und geputzt. Vom Lohn kassiert der Vorarbeiter 50 Euro für die Vermittlung; für den Transport von Rumänien nach Baden-Württemberg sind weitere 150 Euro fällig. Handschuhe und Scheren müssen sich die Erntehelfer selbst kaufen. Für die schäbige Unterkunft verlangt der Betriebe vier Euro am Tag. Da kein Geld für Nahrungsmittel da ist, werden Saisonarbeiter von der „Initiative faire Landarbeit“, unterstützt.

Das Beispiel stammt aus dem jüngsten Jahresbericht der Initiative, der am Freitag vorgestellt wurde und in dem das Bündnis aus Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen die Arbeitsbedingungen von rund 130.000 Saisonarbeitern hierzulande schildert. Etwa 60 Prozent stammen aus Rumänien, weitere große Herkunftsländer sind Polen, Bulgarien und die Ukraine. Die meisten Missstände auf den Feldern: Die Arbeitszeiten werden nicht korrekt erfasst, sodass eine Entlohnung unterhalb des Mindestlohnniveaus leicht möglich ist; schlechte Krankenversicherungen und überhaupt geringer Arbeitsschutz. Weil in der Regel nur ein Prozent der Betriebe kontrolliert wird vom Zoll und den Arbeitsschutzbehörden, ist das Risiko für die Betriebe gering.

Krankenversicherung ist Pflicht seit 2022

„Die Menschen werde zu Beschäftigten zweiter Klasse gemacht, das untergräbt das Vertrauen in ein gemeinsames, solidarisches Europa“, sagt Harald Schaum, stellvertretender Vorsitzender der IG BAU. Der Gewerkschafter ärgert sich über den mangelhaften Gesundheitsschutz trotz der seit 2022 geltenden Pflicht für die Betriebe, die Helferinnen und Helfer bei einer Krankenversicherung anzumelden. „Dies geschah dann meistens bei einer sogenannten privaten Gruppen-Krankenversicherung“, heißt es im Bericht. Manche dieser PGK hätten nicht alle Behandlungskosten übernommen. Und wenn Helfer erkrankten, seien sie häufig gekündigt worden.

„Ich bin ziemlich enttäuscht, dass die Ampel nichts macht“, kritisierte Schaum die Bundesregierung, die sich das Thema im Koalitionsvertrag vorgenommen habe. Die kurzfristig Beschäftigten seien noch immer Arbeitnehmer zweiter Klasse, kritisierte Schaum und forderte einen vollständigen Krankenversicherungsschutz.

Mehr zum Thema

Das Erntejahr beginnt im März und endet im Oktober. 2022 waren die Saisonarbeiter besonders von der Sommerhitze betroffen. Ausreichend Trinkwasser, Sonnencreme oder Kopfbedeckungen fehlten häufig. Dazu kam die spezielle Situation bei der Spargel- und der Erdbeerernte. Zum einen belasteten die hohen Dünger- und Energiepreise die Betriebe, und zum andern ließ die Inflationsrate die Nachfrage einbrechen, was sich wiederum auf die Preise auswirkte. „In der Hochsaison Ende Mai war das Kilo Spargel mit 6,92 Euro im Durchschnitt 14 Prozent günstiger als im Vorjahr“, heißt es im Bericht der Initiative. Bei den Erdbeeren lagen die Preise sogar 37 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Der Preisdruck kam bei den Beschäftigten an, die teilweise nach Hause geschickt wurden oder weniger arbeiteten und verdienten.

Rund 135.000 Saisonarbeiter aus Osteuropa bringen hierzulande die Ernte ein. Die ersten kommen in diesen Tagen und kontrollieren die Folien auf den Spargelfeldern, die letzten sind im Herbst in den Weinbergen unterwegs. Nur knapp ein Prozent aller Betriebe sei im vergangenen Jahr vom Zoll kontrolliert worden, ob der Mindestlohn gesetzeskonform gezahlt wird, beklagt die Initiative Faire Landarbeit. Im Jahr zuvor waren bei knapp neun Prozent der kontrollierten Betriebe Verfahren wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz eröffnet worden. Die Initiative unternahm 2022 48 sogenannte Feldaktionen und erreichte dabei etwa 4300 Saisonbeschäftigte.

Die Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis der gewerkschaftsnahen Beratungsstellen Faire Mobilität, dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen und dem Beratungsnetzwerk „Gute Arbeit“ der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie weiteren Organisationen. Seit 2018 erscheint regelmäßig der Jahresbericht zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false