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Präsidentenpaar. Eines Tages will Vít Jedlicka in Liberland leben.

© Henri Wöhleke

Krypto-Staat Liberland: Das Land, das sich sein Volk selbst aussuchen will

Vít Jedlicka hat einen Staat ausgerufen, den niemand anerkennt: Liberland, eine Steueroase auf dem Balkan. Er reist durch die Welt, um Bürger zu gewinnen.

Auf den Präsidenten wartet wieder mal kein Chauffeur. Vít Jedlicka, ein großer Mann von 34 Jahren, steht in der Ankunftshalle des Prager Flughafens, sein Gesicht ist zerknautscht, seine Augen sind von Äderchen durchzogen. Er kommt gerade aus New York zurück, „viele wichtige Meetings“, sagt er, dieses Mal im neuen World Trade Center. Jedlicka kontrolliert seine Whatsapp-Nachrichten, in dieser Woche war er schon in Belgrad und Warschau, zuvor in Washington, Acapulco und auf den Bahamas. Draußen, auf dem Parkplatz, möchte ihm ein fremder Mann mit einem abgenutzten Anorak die Hand schütteln. Dem Mann gefällt, was Jedlicka ihm erzählt: Sein, Jedlickas, neuer Staat stellt Reisepässe aus.

Bis dieser Staat tatsächlich da ist, regiert Jedlicka die Freie Republik Liberland übergangsweise. Liberland, das ist eine sieben Quadratkilometer große Halbinsel in einer Donauschleife zwischen Serbien und Kroatien. Den Namen hat sich Jedlicka ausgedacht, eine Zusammensetzung der Begriffe Liberty, Freiheit, und Land. Liberland hat eine Verfassung, einen Finanzminister und ganz viele Freiwillige. Aber hat es Zukunft?

Am 13. April 2015 steckte er seine Flagge in den Boden

Das menschenleere Landstück fiel dem Finanzanalysten zuerst in einem Eintrag bei Wikipedia auf. Zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Zerfall Jugoslawiens haben Serbien und Kroatien sich noch immer nicht darauf geeinigt, wo die gemeinsame Grenze an der Donau verläuft. Interesse an den sieben Quadratkilometern Halbinsel, sumpfig, oft überschwemmt und bestanden mit Auwald, schienen beide Länder nicht zu haben. Jedlicka erklärte sie zu „terra nullius“, Niemandsland, steckte am 13. April 2015 seine Flagge in den Boden und las eine kurze Gründungserklärung auf Englisch und Tschechisch vor. Zwei Freunde und seine Lebensgefährtin, eine damals 29-jährige Masseurin, wählten ihn zum Präsidenten. Jedlicka sagt, es sei viel einfacher, ein neues Land zu gründen, als einen bestehenden Staat zu verändern.

Fünf Jahre lang hatten er und seine ultraliberale „Partei der freien Bürger“ erfolglos versucht, die Steuern in Tschechien zu senken und die Wirtschaft „zu entfesseln“. Seine Ernennung zum Staatsoberhaupt Liberlands ging dagegen ganz schnell. Jedlickas Ziel ist eine freie Wirtschaftszone, in der fleißige und freiheitsliebende Bürger ohne bürokratische Hürden und Steuerzwänge arbeiten können. Eine neue Steueroase mitten in Europa.

Während der halben Stunde Autofahrt vom Flughafen zu seiner Wohnung in Prag redet sich der Präsident wach. Er spricht von den vielen Unterstützern und von der Party im vierten Stock des UN-Gebäudes in New York, wo er einflussreiche Menschen traf. Kann es sein, dass er maßlos übertreibt? Kein einziges Land hat Jedlickas Staat bislang anerkannt – außer Somaliland, eine seinerseits international von keinem anerkannte autonome Region Somalias. Kroatische Diplomaten sprechen von „virtuellen Grenzverletzern“, der serbische Außenminister amüsiert sich über diese „unterhaltsame Darbietung“.

Architekten haben für Liberland schon Hochhäuser entworfen

Dagegen prahlt Jedlicka mit knapp 500.000 Menschen, die sich auf liberland.org für eine Staatsbürgerschaft registriert haben. Es gibt futuristisch aussehende Bebauungs-Modelle von Architekturbüros in den USA, Polen und Argentinien, angelehnt an Hochhaus-Komplexe in Dubai und Hongkong. In Liberland sollen viele Menschen unterkommen.

Auf einer Anhöhe in der Prager Innenstadt angekommen, hievt sich der 34-Jährige aus dem Auto. Seit er sich für einen Präsidenten hält, ist er dicker geworden. Er zeigt auf ein großes Eisentor. Sein Nachbar ist der Kohleunternehmer Pavel Tykac. Das „Forbes“-Magazin kürte ihn 2015 zum fünftreichsten Mann Tschechiens. Jedlickas Wohnung im dritten Stock eines unsanierten Apartmentblocks ist dagegen sehr bescheiden.

Die First Lady empfängt ihn mit einem flüchtigen Kuss, der Sohn hält gerade Mittagsschlaf. Im Wohnzimmer stehen zusammengewürfelte Möbel, auf dem Boden liegt ein alter Perserteppich. Seine Lebensgefährtin sagt, früher seien sie ein ganz normales Paar gewesen. Im Sommer haben sie Fahrradausflüge gemacht. Jetzt vertieft sie sich in Knigge-Bücher, damit sie sich „auf den Empfängen ihres Mannes nicht daneben benimmt“.

Wer Nachrichten aus Liberland in den sozialen Medien verfolgt, sieht, wie Jedlicka Hände schüttelt und Vorträge hält, mit angeblichen Investoren verhandelt und diplomatische Gespräche führt. Selten werden Namen genannt. Meist sind es vor allem Wirtschaftskonferenzen, auf denen Jedlicka seine Idee präsentiert.

"Mir ist egal, was andere über uns denken"

Jedlicka duscht, zieht eine frische Hose und ein sauberes Hemd an. Die Müdigkeit ist jetzt ganz aus dem Gesicht gewaschen. Seit der letzten anarchokapitalistischen Konferenz in Acapulco ist er sonnengebräunt. Was sagt er Menschen, die ihn für eine Witzfigur halten? „Mir ist egal, was andere über uns denken, wir machen einfach unser Ding.“

Mit „uns“ meint er die bunte Gemeinschaft aus meist jüngeren Idealisten, neureichen Techies, Anarchisten und Anhängern libertärer Wirtschaftstheoretiker. Libertäre lehnen den eingreifenden Staat grundsätzlich ab. Zu Jedlickas Getreuen gehören Politiker wie der US-amerikanische Republikaner Ron Paul, der den Sozialstaat am liebsten abschaffen würde, der Russe Alexander Borodich, ehemaliger Topmanager und Schöpfer von Universa, einer millionenschweren Blockchain-Plattform – einem Werkzeug also, auf dem Kryptowährungen beruhen –, sowie der Däne Niklas Nikolajsen, Gründer des Kryptowährungsfinanzdienstleisters Bitcoin Suisse. Der in Berlin lebende Rick Falkvinge, Gründer der schwedischen Piratenpartei und Kryptomultimillionär, liefert in Form einer Software das Grundgerüst für das Finanzverwaltungssystem von Liberland und engagiert sich als ehrenamtlicher „Botschafter“.

Während des Kryptogeld-Booms hat Jedlicka in digitale Währungen investiert Seinen SUV von Chrysler, so sagt er, habe er mit Bitcoins bezahlt. Reisen und Konferenzen finanziert er aus dem Staatshaushalt. Die Unterstützer, die diese Kasse füllen, überweisen ihre Spenden meist ebenfalls in Kryptogeld.

Es fehlt etwas Wichtiges: das Staatsvolk

500.000 Menschen, die sich für eine Liberland-Staatsbürgerschaft interessieren, mächtige, visionäre Männer aus der Welt des digitalen Geldes, die Jedlicka unterstützen – wer sich aber mit Staats- und Völkerrechtlern über Liberland unterhält, der stößt auf Skepsis.

Helmut Aust, Völkerrechtsprofessor an der der Freien Universität Berlin, sagt: „Spätestens am Staatsvolk wird es wohl scheitern.“

Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt – Einwohner also, ein Territorium und eine Regierung –, das sind die Voraussetzungen, die es braucht, um aus einem Stück Land eben einen anerkennungswürdigen Staat zu machen. Aust verweist auf das Beispiel „Sealand“, eine Plattform vor der britischen Nordseeküste, von der im Zweiten Weltkrieg deutsche Bomber beschossen wurden. 1967 wurde sie zum Fürstentum ausgerufen von einem Ex-Militär.

„Staatsratsvorsitzender“ und „Außenminister“ wurde bald ein Deutscher. In den 70er Jahren beantragte der Mann bei seiner Heimatstadt Aachen, ihm die deutsche Staatsbürgerschaft ab- und die sealändische anzuerkennen. Der Fall kam vor das Kölner Verwaltungsgericht, und das kam zu dem Schluss: unmöglich. Sealand sei kein Staat. Es habe zwar Bewohner, doch die seien kein Volk, sondern bloß eine wirtschafts- und steuertaktisch motivierte Interessensgemeinschaft.

Der Begriff "Staat" ist nur vage definiert

„Zum Staat braucht es also mehr“, sagt Aust, „das Kölner Verwaltungsgericht sprach damals von einem ständigen Zusammenleben im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft.“ Der Begriff ist vage, es gibt keine weltweit gültige Staatsdefinition, es gibt nur Auslegungen. „Ein hochpolitischer Prozess“, sagt Aust, gerade weil eine solche Definition so wichtig wäre, „wollen sich die Staaten wohl nicht auf eine einigen.“

Das große Vorbild des Liberland-Präsidenten ist der Franzose Frédéric Bastiat, ein Vertreter des Liberalismus und Lieblingsökonom der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Der Präsident holt „Das Gesetz“ aus dem Ikea-Regal und liest aus dem ersten Absatz vor: „Das Gesetz ist zum Instrument der Gier geworden, anstatt ihr Zügel zu sein.“ Je mehr Regulierung, desto weniger Freiheit, je mehr Steuereinnahmen, desto mehr Missmanagement und Korruption.

Alle Liberländer dürfen Waffen besitzen und Marihuana rauchen. Keine Politiker, keine Beamten, nur die Blockchain-Technologie, eine dezentrale Open-Source-Software, soll sich um die Verwaltung des Mikrostaats kümmern. Für die innere Sicherheit sorgen Freiwillige, vorausgesetzt, sie können schießen und haben eine Schulung absolviert. Ein Bildungssystem stellt der Staat nicht, auch kein Gesundheitssystem. Steuerzahlen in Liberland ist freiwillig, wer es tut, wird mit einer Pfandgutschrift belohnt. Wer ein Verbrechen begeht, kann dann auf das Pfandkonto zurückgreifen und seine Strafe mildern.

Seinen Sohn hat er vier Wochen nicht gesehen

Eines Tages will Jedlicka selbst in Liberland leben. Seine Sommerurlaube verbringt er mit seiner Familie am Rand von Liberland auf serbischem Gebiet und veranstaltet Bootstouren auf der Donau für Interessierte, denen er das Ufer von Liberland zeigt. Er sagt: Ihm sei bewusst, dass es einen langen Atem braucht.

Inzwischen ist der eineinhalbjährige Sohn David vom Mittagsschlaf aufgewacht. Jedlicka wippt ihn auf seinem Arm sanft auf und ab. Wegen der vielen Reisen hat er ihn vier Wochen lang nicht gesehen. Die nackten Füße des Kleinkinds baumeln neben Jedlickas Liberland-Anstecker: Gold steht für den Kapitalismus, schwarz für den Anarchismus. Das Ende der Herrschaft.

Für den eigenen Staat gilt das freilich nicht – Jedlicka ist mächtig und sucht sich seine Staatsbürger selbst aus. Kurz nach der Gründung überfluteten Anfragen von Tausenden Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika die Liberland-Website. Sie wollten wissen, ob es in Liberland Jobs gibt. Diese Bürger kann Jedlicka nicht gebrauchen.

Schuldenfrei und vermögend - so sollen seine Bürger sein

Bis jetzt hat er von den Hunderttausenden Bewerbungen nur 600 akzeptiert. „Natürlich nehmen wir nur die, die wir haben wollen“, sagt er und grinst. Wer Liberländer werden will, sollte keine kriminelle Vergangenheit haben, andere Religionen tolerieren und das Recht auf Privateigentum akzeptieren. Die Chancen stehen besonders gut, wenn man schuldenfrei, vermögend und bereit ist, sein Geld in Liberland anzulegen. „Wir werden sicher keine Terroristen einladen, so wie Angela Merkel“, sagt Jedlicka.

Jedlicka sucht seinen Pass zwischen den Liberland-Broschüren und losen Zetteln in seinem Handgepäck, aber er findet ihn nicht. Er hat diesen Pass angeblich schon oft auf Staatsreisen eingesetzt und manchmal sogar den Ein- und Ausreisestempel bekommen, hauptsächlich in afrikanischen und südamerikanischen Ländern. Später wird er den Pass wiederfinden, aber die Frage, welche Länderstempel er hat, nicht beantworten.

Draußen dämmert es nun, die Lichter der Stadt flimmern in der Ferne. Die First Lady bereitet in der Küche Reis mit Schweinefleisch und Krautsalat vor. Dazu gibt es saure Sahne, Senf und Ajvar aus den Paprikaschoten serbischer Liberland-Aktivisten. Der Präsident schenkt sich ein Glas Liberbier aus einer Prager Brauerei ein und macht die Bluetooth-Box an. „Das ist sein Lieblingslied“, sagt er und zeigt auf den Sohn, der im Takt wippt.

Jedlicka will die Sängerin zum Sommerfest nach Liberland einladen. Er erzählt von den schönen warmen Sommern und vom weißen Donaustrand. Er nimmt seinen Sohn auf den Arm, steigt mit ihm hinaus auf die Dachterrasse und versinkt in einem Traumtanz.

Theresa Krinninger

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