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Erst die Überfischung der Meere, nun der industrielle Abbau von Manganknollen auf dem Meeresboden. Noch handelt es sich bei der „Erntemaschine“, die an dem Schiff hängt, um einen Prototyp.

© SWR

Film über Ausbeutung des Meeres: Gier ohne Grenzen

Eine Arte-Dokumentation zeigt, wie der Mensch die Ozeane ausbeutet. Sowohl auf dem Meeresgrund als auch am Ufer.

„Manganknollen-Kollektor.“ Die Wortschöpfung allein hat etwas Unschönes. Vielleicht auch etwas Brutales. In dem über neunzigminütigen Dokumentarfilm „Die Gier nach Meer“ lässt sich miterleben, was geschieht, wenn dieser Kollektor in die Tiefsee hinabgelassen wird, um dort mit dem Abbau von im Laufe von Jahrmillionen gewachsenen Manganknollen zu beginnen. Eingesetzt wird diese Erntemaschine auf dem an Rohstoffen und wertvollen Materialien so reichen Tiefseeboden, wo zahlreiche von der Menschheit bislang noch nicht erforschte Lebewesen leben und die letzten Reservoire der Natur liegen, derer sich der Mensch noch nicht bemächtigt hat.

„Batterien in Steinform“, sagt einer der Wissenschaftler, die in Michael Stocks’ Dokumentarfilm zu Wort kommen, lägen dort unten in der Tiefsee: Manganknollen bestehen aus Nickel, Kobalt, Kupfer und eben Mangan. Die in Goldgräberstimmung befindende Industrie wartet nur darauf, diese systematisch abbauen und ausschöpfen zu können.

[„Die Gier nach Meer“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15]

Doch was geschieht mit dem Leben der Unterwasserwelt, wenn der Kollektor anrückt? Der Film begleitet die an der Westküste der USA in San Diego beginnende Seereise der „Island Pride“, eines Forschungsschiffes, das eine internationale Schar an Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen an Bord versammelt. Es folgt dem Industrieschiff, das den Kollektoren-Prototypen an Bord hat. Mit an Leinen in über viertausend Meter Tiefe gelassenen Gerätschaften werden Bodenproben entnommen, es werden einzelne Exemplare der dort unten im Stockfinsteren lebenden Kreaturen ans Tageslicht an Bord befördert.

Raubbau auf den Kap Verden

Ein zweiter Ort der dokumentarischen Beobachtung und Deskription ist Inselgruppe der Kap Verden vor Westafrika. Hier wird Sand von den Sandstränden fortgeschafft, von morgens bis abends, und die meist armen, arbeitslosen Einwohner der kleinen Fischerdörfer, die nicht wissen, von was sie leben sollen, helfen noch dabei. Sie tragen wider besseres Wissen ihren eigenen Grund und Boden ab. Dieser wird in den Industrieländern im Bau eingesetzt. Es ist nur ein weiterer toxischer Kreislauf. Denn mit dem Schwinden des Sandstrandes schwinden dort Flora und Fauna. Etliche Strände auf den Kap Verden bestehen nur noch aus grauem Geröll, das unter der sengenden Sonne siedend heiß und unbetretbar ist.

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Anrührend wird „Die Gier nach Meer“, als der Landgang riesiger Meeresschildkröten festgehalten wird, die hier geboren wurden und nun, nach zwanzig Jahren, zurückkehren an ihren Geburtsort, um nun ihrerseits hier ihre Eier abzulegen. Doch die Meeresschildkröten finden keinen Sandstrand mehr, sondern bewegen sich stattdessen über das heiße unwirtliche Geröll, um später wieder ins Meer zurückzukehren. Der Mensch hat nur zwanzig Jahre gebraucht, um ihren Lebensraum, ihren Geburtsort völlig zu zerstören.

Doch es regt sich Widerstand: eine kleine Gruppe an Naturschützern, darunter auch Meeresbiologinnen wie Ana Veiga, haben es sich mit der 2013 gegründeten Naturschutzorganisation „lantuna“ zum Ziel gemacht, die Einheimischen darauf aufmerksam zu machen, was das Fehlen des Sandes zur Folge hat. „lantuna“ versucht, einige der Eier der Meeresschildkröten in umzäunten Sandgehegen zu schützen. Hier blickt der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau, überdimensional groß auf eine Mauer gemalt, auf das Inseldorf, das er einst 1948 besuchte. Es ist dessen an der französischen Atlantikküste lebende Enkelin Alexandra Cousteau, die im Film mehrfach mahnend zu Wort kommt.

„Die Gier nach Meer“ zeigt letztlich auf, dass der Mensch sich selbst buchstäblich das Wasser abgräbt, dass er, nur um des kurzfristigen vermeintlichen Fortschrittes wegen, sich selbst langfristig seiner eigenen Lebensgrundlagen systematisch und unumkehrbar beraubt. So ist dieser betont nüchtern gehaltene, faktenreiche und seltene Bilder enthaltende Dokumentarfilm in seiner Wirkung durchaus ernüchternd, vielleicht auch deprimierend. Denn der Fortgang der industriellen Ausbeutung scheint selbst in der unerforschten, mystischen Tiefsee unaufhaltsam. Er wird auch hier irreversible Schäden anrichten. Der „Manganknollen-Kollektor“ wird dafür sorgen. Der engagierte sachliche Film von Michael Stocks lenkt die Aufmerksamkeit darauf. Immerhin.

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