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Jeff Bezos und Lauren Sanchez, Nachrichtensprecherin aus den USA, bei der Weltpremiere der "Herr der Ringe"-Serie.

© Scott Garfitt/Invision/AP/dpa

Update

„Herr der Ringe“ soll Klopapier verkaufen: Warum Amazon eine Milliarde Dollar für „Die Ringe der Macht“ ausgibt

Am 2. September startete „Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ bei Prime Video. Die Serie kostet eine Rekordsumme. Kann sich das für Amazon überhaupt lohnen?

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„Mein Schatzzz!“ – das dürfte Amazon-Gründer Jeff Bezos gedacht haben, als es seiner Firma gelang, die Rechte für eine Serien-Umsetzung des Fantasy-Epos „Der Herr der Ringe“ zu sichern. So wie das arme Geschöpf Gollum hinter seinem geliebten Ring, war Amazon hinter der Buchmarke her, die das Fantasy-Genre prägte und die am Anfang der Nullerjahre mit der opulenten Kino-Trilogie von Regisseur Peter Jackson Filmgeschichte schrieb.

Allein für die Erlaubnis, eine „Herr der Ringe“-Serie drehen zu dürfen, soll Amazon bis zu 250 Millionen US-Dollar ausgegeben haben. Das war eine Rekordsumme, die umso gigantischer erscheint, wenn man zwei Dinge bedenkt.

Erstens hat Amazon trotz dieser gigantischen Investition nur die Serienrechte an bestimmten Elementen der großen „Herr der Ringe“-Geschichte erworben und eben nicht das Gesamtpaket. Darum spielt „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ Tausende Jahre vor den bekannten Abenteuern der Hobbits Frodo und Bilbo. Es geht um die junge Elbin Galadriel und den bösen Aggressor Sauron, aber abgesehen davon wird die Serie kaum Figuren bieten, die das Publikum schon kennt.

Man sieht das Geld: eine prächtige Stadt in „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“

© Amazon Studios/dpa

Zweitens soll zu den 250 Millionen US-Dollar für die Rechte noch mal ein Vielfaches an Produktionskosten dazukommen. Fünf Staffeln sollen entstehen, es müssen die Schauspieler:innen bezahlt, die Sets gebaut und die aufwändigen Effekte finanziert werden. Es wird vermutet, dass Amazon insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar für „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ bezahlt – eine beispiellos hohe Summe für eine Serie.

Teurer als „Game of Thrones“

Wenn man davon ausgeht, dass die anderen vier Staffeln jeweils so viele Episoden haben werden, wie die am 2. September gestartete erste Season, ergibt sich pro Folge ein durchschnittliches Budget von 25 Millionen US-Dollar. Verglichen damit war die achte und letzte Staffel der sehr erfolgreichen „Game of Thrones“-Hauptserie geradezu günstig: 15 Millionen US-Dollar pro Folge sollen für die Welten und Schlachten dieser anderen beliebten Fantasy-Serie ausgegeben worden sein.

Streaming-Gigant Netflix wiederum soll für die erste Staffel der ähnlich gelagerten Serie „The Witcher“ ca. zehn Millionen Dollar pro Folge gezahlt haben.

Das Geschäftsmodell der Konkurrenz

Netflix und Amazon Prime Video sind beides Streamingdienste. Doch während Prime Video nur eine Sektion in einem auf den Online-Warenverkauf spezialisierten Unternehmen ist, bietet Netflix nichts anderes an, außer Streams.

Daher geht es bei Netflix einzig darum, Abos zu verkaufen und den Nutzer:innen genug Gründe zu geben, ihr monatlich kündbares Abonnement beizubehalten.

11,8 Milliarden Dollar gab Netflix 2020 für die Produktion eigener Inhalte aus, 2021 waren es 17 Milliarden. Sie flossen in Serien und Filme, die es nur dort zu sehen gibt. Wer sich bei „Stranger Things“ gruseln und wer bei „Bridgerton“ schmachten will, muss zu Netflix, dem mit gut 220 Millionen Abonnent:innen größten Streaminganbieter der Welt.

Netflix hat Erfolg. Im Unterschied etwa zu Anbietern von Musik-Streaming macht der Konzern Gewinn, es waren 5,12 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021. Daran ändern auch der große Schuldenberg und die jüngsten Schlagzeilen über den gefallenen Börsenkurs nichts (der Marktführer hatte im ersten Halbjahr 2022 mehr als eine Million Abonnent:innen verloren). Zumal Netflix viel mehr auf die Ausgaben schaut als noch vor fünf Jahren. Serien, die den internen Erfolgskriterien nicht genügen, werden inzwischen rigoros abgesetzt.

Bei Amazon geht es ums Online-Shopping

Und wie sieht es bei Amazon Prime Video aus? Anfang des Jahres hatte Amazon Prime laut Konzernangaben weltweit mehr als 200 Millionen Abonnent:innen. Das umfasst aber alle Kund:innen des Dienstes, der zuallererst ein Service für die schnelle Lieferung bestellter Waren ist. Die Streaming-Nutzer:innen werden nicht separat ausgewiesen. Und zu den Abrufzahlen der einzelnen Serien und Filme hält sich Amazon – im Unterschied zu Netflix – bedeckt.

Eine goldene, teure Serie: „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“

© Ben Rothstein / Prime Video

Niemand außerhalb des Konzerns kann wirklich einschätzen, ob Amazon Prime Video profitabel ist oder nicht. Wie Netflix und der dritte große Streamingdienst Disney+ setzt auch Amazon auf exklusive Filme und Serien, einen der bisher größten Hits dürfte man dabei mit der aufwändigen, brutalen Superheldenserie „The Boys“ erzielt haben.

[Lesen Sie auch: Korrupte Narzissten: Warum wir die Superhelden-Serie „The Boys“ so lieben (T+)]

Doch es geht noch viel größer. „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ ist nun der bisherige Höhepunkt im Sortiment, was die Dimensionen der Produktion und das erwartete Interesse der Zuschauer:innen angeht. „Bringt mir das nächste ‚Game of Thrones‘“, soll Jeff Bezos seinen Prime-Leuten als wenig bescheidenes Ziel vorgegeben haben. Aber warum eigentlich leistet sich Amazon, dessen Kerngeschäft der Online-Warenverkauf und das Anbieten von Server-Leistungen ist, eine teure Film- und Serienproduktion?

Streaming als Köder

Weil das Streaming-Angebot ein Köder ist. „Wenn wir einen Golden Globe gewinnen, hilft uns das, mehr Schuhe zu verkaufen“, sagte Jeff Bezos 2016 über Preise zur Auszeichnung von Filmen und Serien und die damit verbundene, öffentliche Aufmerksamkeit. Mehrfach gewannen Amazon-Produktionen bei renommierten Awards-Shows:

Die Dramedy-Serie „The Marvelous Mrs. Maisel“ heimste 20 Emmys ein, das Kino-Drama „Manchester by the Sea“ gewann zwei Oscars.

Den Aussagen von Bezos zufolge sei es bei streamenden Kund:innen wahrscheinlicher, dass sie ihr Prime-Abo verlängern, als es bei Prime-Kund:innen der Fall ist, die keine Videos schauen. Auch kauften Prime-Kunden mehr Produkte bei Amazon, als es Menschen ohne Abo täten.

Streaming als Verlustgeschäft? Egal, es geht um Produktverkauf

„Die Idee ist, dass sich bei Amazon alles gegenseitig beflügelt und befruchtet“, sagt Dr. Florian Kerkau dem Tagesspiegel. Kerkau ist der Gründer und Geschäftsführer von Goldmedia, eines auf Medienforschung spezialisierten Unternehmens. Kerkaus Spezialgebiet ist das Streaming.

Ob Amazon Prime Video – in Deutschland übrigens die Nummer eins der Streamingdienste vor Netflix und Disney+ – kostendeckend ist, sei dabei laut Aussage von Kerkau gar nicht unbedingt notwendig.

Eine Serie wie „Die Ringe der Macht“ ist in der Konzernstrategie von Amazon also vor allem eine gigantische Werbung, um neue Kund:innen anzulocken, alte zu halten und am Ende mehr Smartspeaker, Toilettenpapier und was sonst noch so unter den Top-Sellern im Sortiment ist, zu verkaufen.

Robert Aramayo als Elrond in „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“.

© Ben Rothstein / Prime Video

Der Druck ist groß

Längst setzt Amazon dabei eben nicht mehr vor allem auf kleine, günstige Produktionen, die Preise gewinnen und Prestige in Hollywood bedeuten. Der Konzern zielt auf das Massenpublikum – und damit steigt auch der Erfolgsdruck bei einer Serie wie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“.

2018 konnte die Nachrichtenagentur Reuters interne Amazon-Dokumente einsehen. Die Kalkulation des Konzerns bei Prime Video setzt demnach zwei Kennzahlen ins Verhältnis: Die Produktions- und Marketingkosten eines Titels auf der einen Seite und die Zahl der dadurch neu gewonnenen Prime-Abonnent:innen auf der anderen Seite.

[Lesen Sie auch: Streaming-Serie „Die Ringe der Macht“: Die heilige Galadriel von Mittelerde (T+)]

Damit kann Amazon für jede Serie errechnen, wie viel pro neuem Kunde oder neuer Kundin ausgegeben wurde. Im Vergleich dieser Zahlen zeigt sich dann, welche Produktion sich lohnt und welche nicht

Die Mathematik dahinter ist einfach: Bei einer günstigen Produktion müssen weniger neue Abonnent:innen hinzukommen, damit sich die Ausgaben unterm Strich gelohnt haben – eine teure Serie wie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ dagegen muss richtig einschlagen.

„Herr der Ringe“ ragt heraus

Dabei ist es ein Startvorteil, dass „Der Herr der Ringe“ ins boomende Fantasy-Genre fällt – und zu den bekanntesten Marken der Welt gehört. Aus der kaum zu überblickenden Masse an wöchentlichen Streaming-Neustarts ragt eine Serie automatisch heraus, die sich um die von J. R. R. Tolkien erdachten Elben, Zauberer und Ringe dreht.

Gleichwohl dürfte Jennifer Salke, die Chefin der für Filme und Serien zuständigen Abteilung Amazon Studios, nach dem Start der „Herr der Ringe“-Serie erst mal nur wenige ruhige Nächte haben. Man mag vielleicht auf die Idee kommen, dass ein Flop für einen der wertvollsten Konzerne der Welt nicht so schlimm wäre. Doch „auch Amazon hat kein Interesse daran, Milliarden zu verlieren“, meint Dr. Florian Kerkau. „Das muss sich schon lohnen.“

Ob es sich für Amazon gelohnt haben wird, werden Zuschauer:innen ganz einfach feststellen können. Der Konzern mag sich zwar weigern, aussagekräftige interne Daten zu veröffentlichen, doch ob „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ wirklich wie geplant fünf Staffeln lang werden oder mangels Erfolg vorher abgesetzt wird, das bekommen alle mit.

Am Samstagabend gab der Konzern bekannt, dass weltweit 25 Millionen Menschen in den ersten 24 Stunden nach Start eingeschaltet haben. Demnach sei „Die Ringe der Macht“ die am meisten geschaute Serien-Premiere auf Prime Video.

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