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Skandale, Intrigen und illegale Machenschaften erschüttern die schöne, heile Welt.

© Miguel Gutierrez/picture alliance / dpa

Skandal um Miss-Wettbewerbe: Abgründe der Schönheit in Venezuela

Venezuela war so stolz auf die Miss-Wettbewerbe. Nun ist das Land geschockt von Korruption, Prostitution und politischen Verstrickungen in der Szene.

Die fliederfarbene „Quinta Miss Venezuela“ ist ein eleganter, moderner Betonbau am Fuße des Avila-Bergs mit einem atemberaubenden Blick über Caracas. Sieben Miss Universum und sechs Miss Mundo sind aus diesem Bau hervorgegangen. Früher war um diese Jahreszeit im Herzen des venezolanischen Schönheitsgeschäfts immer die Hölle los: Junge Anwärterinnen, Fotografen, Friseure, Modedesigner und manchmal auch der Zar des Ganzen, Osmel Sousa, gaben sich die Klinke in die Hand.

Jetzt ist die Quinta verriegelt, alle Castings sind suspendiert, und auf der Webseite von MissVenezuela steht: „Wir führen gerade eine interne Revision unserer Kontrollmechanismen durch.“ Hinter der bürokratischen Formel versteckt sich ein Abgrund von Skandalen, in denen es um Korruption, Prostitution, Geld, Gier und Macht geht.

Es war ein Drama in vier Akten. Der erste kam von der Ex-Miss und Schauspielerin Patricia Velasquez, die vor Jahren eine Autobiografie schrieb, in der sie schilderte, wie sie sich prostituierte, um die von Sousa verlangten Schönheitsoperationen für die Wettbewerbe zu finanzieren. Niemand fand das anstößig.

„Er erwartete mich bereits in der Unterhose“

Eine andere Miss schilderte anonym, wie ihre Laufsteg-Lehrerin von reichen Geschäftsleuten Geld kassierte, um Mittagessen mit den Anwärterinnen zu arrangieren. Eine andere Ex und spätere Schriftstellerin erzählte, wie sie zu einem der Sponsoren beordert wurde, um vor ihm den Badeanzug anzuprobieren. „Er erwartete mich bereits in der Unterhose“, schrieb Vivian Sleiman, die sich zur Verabredung allerdings von ihrem Bruder begleiten ließ. „Das war schon immer ein offenes Geheimnis. Einige Mädchen machen mit, andere nicht.“

2017 publizierten dann investigative Online-Plattformen wie Efecto Cocuyo und Armando.info Details über ehemaligen Schönheitsköniginnen, die von sozialistischen Regierungsfunktionären Geld bekamen im Austausch für sexuelle Gefälligkeiten oder gemeinsame öffentliche Auftritte. Die Ex-Miss Claudia Suarez tauchte im Zusammenhang mit dem Geldwäscheskandal von Andorra auf. Sie soll Millionen auf ein Konto von Diego Salazar verschoben haben, Neffe des langjährigen Erdölministers Rafael Ramirez und ein für grenzenlose Prasserei bekannter Multimillionär. Beide galten als enge Vertraute des verstorbenen Expräsidenten Hugo Chavez, sind jedoch bei dessen Nachfolger Nicolas Maduro in Ungnade gefallen und leben im Exil.

Mehr als 40 Jahre war Osmel Sousa der Chef – jetzt trat er zurück.

© Miguel Gutierrez/picture alliance / dpa

Der dritte Akt war ein Roman namens „Die Püppchen der Krone“, geschrieben von der Journalistin Ibeyise Pacheco. Darin schildert sie, wie die regierenden Sozialisten nach und nach den berühmtesten Schönheitswettbewerb Lateinamerikas infiltrierten, um ihn in ein politisches Propagandainstrument zu verwandeln – und wie das einher ging mit sexuellen Gefälligkeiten gegen Geld, neureicher Prahlerei, Erpressung und Geldwäsche. Das 2017 erschienene Buch war als Roman getarnt, obwohl es auf realen Nachforschungen der Autorin basierte. Viele Protagonisten des Werks sind für Venezolaner klar erkennbar – darunter Romel Bustamante als Osmel Sousa, der die Models lüsternen Geschäftsleuten in seinem Dunstkreis vermittelte. Klarnamen verwendete Pacheco allerdings nur für Chavez und Maduro. Die umstrittene Journalistin, die in Miami lebt, wurde 2006 zu neun Jahren Hausarrest verurteilt für einen Bericht über korrupte Netzwerke innerhalb der Streitkräfte.

Was bis dahin in die Rubrik „Gerüchteküche“ fiel, explodierte vor zwei Wochen in den sozialen Netzwerken mit gegenseitigen Anschuldigungen diverser Ex-Models. Anlass war ein Instagram-Foto auf einer Unterhaltungsseite, auf dem die inzwischen in Mexiko lebende Ex-Miss Zoraya Villareal Werbung für die Stiftung Diego Salazar macht.

Ex-Schönheitsköniginnen beschuldigen sich gegenseitig

Nachdem sich zahlreiche Kommentatoren hämisch dazu äußerten, sprang die mit einem ehemaligen Laufburschen von Chavez verheiratete Ex-Miss Anarella Bono ihrer Kollegin zur Seite. „Was für eine Doppelmoral“, echauffierte sie sich. „Viele andere Misses, die so korrekt tun oder der Opposition anhängen, haben auch heimlich vom Honig der Sozialisten gekostet.“

So solle Anyela Galante (Miss Venezuela Mundo 2015) erklären, wer ihren Film finanziere und ihren Privatjet. Daraufhin hagelte es Kommentare zahlreicher Anwärterinnen über Liebschaften, Geschäfte, Luxuswohnungen, Schmuck und teure Vergnügungsreisen im Gegenzug für Gefälligkeiten. Auch Debora Menicucci kam nicht gut weg. Sie wurde überraschend und offenbar auf Druck von Sousa Miss Mundo 2014. Ihr Sponsor und späterer Ehemann war Maikel Moreno, ein wegen Mordes verurteilter Ex-Polizist, inzwischen Präsident des Obersten Gerichtshofes in Venezuela.

Dieser Sturm fegte innerhalb weniger Tage eine der letzten Institutionen hinweg, auf die Sozialisten und Oppositionelle gleichermaßen stolz waren. Sousa, der über 40 Jahre an der Spitze der Organisation stand, legte seinen Posten nieder, wies aber jede Verantwortung von sich. Der Film Galantes wurde gestoppt, nachdem sich reihenweise Sponsoren zurückzogen. Zahlreichen Misses, die der Stiftung Diego Salazar angehörten und deren Auslandskonten sich mit Dollar füllten, drohen Verfahren wegen Geldwäsche.

Das Organisationskomitee der Stiftung Cisneros und des Kanals Venevision kündigte eine Neustrukturierung des Wettbewerbs und die Einrichtung einer Ombudsfrau der Misses in Venezuela ein ein. „Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein“, erklärte der Produzent Daniel Ferrer. So gehe es in vielen Bereichen der Gesellschaft zu. Eine ältere Ex-Miss warnte vor Verallgemeinerungen, eine andere war über die „finsteren Enthüllungen“ bestürzt. Nahezu jeder hat seine Meinung zu dem Skandal kundgetan – nur die Regierung Maduros hüllt sich in vielsagendes Schweigen.

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