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Berufsfischerin Elke Dilger vom Bodensee steht am Hafen in Uhldingen.

© Eric Matt

Ein Beruf stirbt aus: Kein Fisch mehr für die Fischer vom Bodensee

Ab 2024 gilt ein dreijähriges Fangverbot für den beliebten Blaufelchen. Dies könnte selbst die letzten Berufsfischer am Bodensee in den Ruin treiben. Ein Besuch am größten See Deutschlands.

Ein beschaulicher Hafen im südbadischen Uhldingen am Bodensee. Trittsicher steigt Elke Dilger die Stufen vom Steg hinab ins Fischerboot. Auf den ausgebleichten Holzdielen läuft sie zu einem schwarzen Kübel mit meterlangen Fischernetzen. Mit beiden Händen nimmt sie ein Netz heraus, zieht es auseinander und streckt es in die Höhe.

Nördlich, im Rücken der Fischwirtschaftsmeisterin, ragen die berühmten Pfahlbauten von Unteruhldingen aus dem Wasser, das dieser Tage karibisch grün anmutet. Südlich, auf der anderen Seite des Sees, sind die Umrisse der Schweizer Alpen zu sehen.

„Fischerin kann nur sein, wer die Arbeit wirklich liebt. Es ist mehr als ein Beruf. Es ist die Nähe zur Natur, die Morgenstimmung, der Wellengang, das Gefühl, wenn die Sonne aufsteigt und auf dem Wasser glitzert“, sagt Dilger im badischen Singsang.

Doch die Idylle täuscht. Die Fischerei am größten See Deutschlands befindet sich in einer existenziellen Krise. Über Jahrzehnte war die Touristenregion besonders für ihren Blaufelchen bekannt, den es in fast jedem Restaurant fangfrisch zu kaufen gab.

Dann jedoch gingen die Felchenbestände immer weiter zurück, den Fischerinnen und Fischern ging ihr wichtigstes Gut verloren. Während es zu Hochzeiten in den 70ern mehr als tausend Tonnen gefangenen Felchen gab, sank die Zahl kontinuierlich auf etwas mehr als 100 Tonnen im Jahre 2018. Vergangenes Jahr dann der komplette Einbruch um über 80 Prozent auf nur noch 21 Tonnen Felchen.

Die Politik sah sich daher zum Handeln gezwungen. Die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) – ein Zusammenschluss Deutschlands, Österreichs, Liechtensteins und der Schweiz – beschloss Ende Juni ein absolutes Fangverbot. Dies soll ab dem 1. Januar 2024 für drei Jahre gelten und dafür sorgen, dass sich der Felchenbestand wieder erholen kann.

Dieses Ziel zumindest teilt Elke Dilger, die nun auf Steinstufen im Fischerhafen sitzt und über ihre Leidenschaft seit Kindesbeinen spricht. Denn es gehe nicht nur um ihren eigenen Beruf, sondern „um ein gesundes und nachhaltiges Nahrungsmittel für die gesamte Region“. Doch mit der Umsetzung ist die Vorsitzende der Badischen Berufsfischer nicht einverstanden. „Uns Fischern ein Verbot aufzusetzen und die großen Störfaktoren, die den Fischbestand belasten, laufen zu lassen, obwohl wir den kleinsten Einfluss haben, ist viel zu einfach gedacht“, sagt die 54-Jährige.

Vor allem zwei Faktoren hätten einen Einfluss auf den Bestand, wie Alexander Brinker, Leiter der Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg, dem Tagesspiegel erklärt. Zuvorderst sei der Bodensee im Laufe der Zeit immer nährstoffärmer geworden, für ein starkes Wachstum des Felchen fehle daher schlichtweg das Futter. „Bis 2012 war der Rückgang des biologisch verfügbaren Phosphors die Hauptursache für die rückläufigen Felchenerträge“, sagt Brinker.

Norbert Knoblauch und Elke Dilger im „Fischlädele“ in Uhldingen, Baden-Württemberg

© Eric Matt

Seitdem sei der „weitere Rückgang auf den Stichling zurückzuführen. Dieser eroberte das Freiwasser und dominiert genau den Lebensraum, der früher den Felchen gehörte.“ Daher müssten Felchen und Stichling nun um die gleiche knappe Nahrung konkurrieren. Einen weiteren Einfluss könnten Quagga-Muschel und Klimawandel haben, hier aber bedürfe es weiterer Forschung, erklärt der Biologe.

Für die 64 Berufsfischer am Bodensee hingegen gibt es besonders eine Stellschraube, an der man drehen müsste, um den Motor der Fischerei wieder zum Laufen zu bringen: den Kormoran. Der pechschwarze Wasservogel war einst vom Aussterben bedroht, wird am Bodensee aber zunehmend zur Plage. „Jeden Tag holt der explodierende Kormoranbestand Tonnen von Fisch aus dem See, während wir den Bestand schonen und Fisch importieren müssen, um den Bedarf der Menschen zu decken“, klagt Dilger.

Im Laufe des Gesprächs schnellt ihre Hand in die Luft, sie zeigt auf einen Schwarm mit Dutzenden Vögeln, der ins naheliegende Naturschutzgebiet fliegt. „Sehen Sie, das sind alles Kormorane, diesmal eher wenige. Bei einem richtigen Schwarm ist der Himmel schwarz.“ Sie gehe davon aus, dass der Vogel im vergangenen Jahr rund 1000 Tonnen Felchen gefressen habe, also knapp 50-mal mehr als die Fischer fangen konnten. „Wir haben zehn nach zwölf. Es muss nun etwas passieren“, warnt Dilger.

Der Kormoranbestand als Fischräuber muss geregelt werden.

Reto Leuch, Präsident des Schweizerischen Berufsfischerverbands

Fußläufig des Uhldinger Hafens liegt das „Fischlädele“ von Norbert Knoblauch. Es riecht nach frischem Fisch, die neusten Fänge liegen zum Verkauf in der Theke. Doch erst mal ist Warten angesagt, der Berufsfischer mit grauem Bart und schütterem Haar muss seine Stammkundschaft versorgen.

Warmherzig begrüßen sich Dilger und Knoblauch, sie kennen sich bestens, waren 1993 gemeinsam auf der Meisterschule. Auch beim Fangverbot für den Felchen sind sich die beiden Südbadener einig: Grundsätzlich hätten sie nichts gegen die beschlossene Schonfrist. Doch die allein reiche nicht, es bedürfe auch anderer Maßnahmen, sodass sich wirklich etwas ändere, erklärt Knoblauch. Dilger nickt zustimmend. Dazu gehöre beispielsweise auch ein geregelter Abschuss des Kormorans, um so den Bestand zu mindern. Die Beziehung von Felchen und Kormoran, sie ähnelt der Debatte um Schaf und Wolf.

Vom deutschen Uhldingen ins schweizerische Landschlacht sind es rund zwölf Kilometer Luftlinie, quer über den See. Dort fischt Reto Leuch – und wie in Österreich dürfen Jäger den Kormoran dort bereits abschießen.

Leuch begrüßt das. „Der Kormoranbestand als Fischräuber muss geregelt werden“, stimmt der Präsident des Schweizerischen Berufsfischerverbands seinen Kollegen auf der anderen Seite der Grenze zu. Wenn die Fischerei am Bodensee erhalten bleiben solle, „muss die Politik sofort handeln“. Seit Jahren habe die nämlich versprochen, etwas gegen den Kormoran zu tun. „Geschehen ist aber nichts.“

Solange sich nichts ändert, wird Elke Dilger weiter für die Fischer vom Bodensee kämpfen – ohne selbst noch betroffen zu sein. Nach 26 Jahren nämlich schied sie 2013 in der fünften Familiengeneration aus der Berufsfischerei aus. Ob es irgendwann eine sechste Generation geben wird? „Aus wirtschaftlichen Gründen würde ich derzeit niemandem raten, die Fischerei zu lernen. Man lässt den Beruf sterben.“

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