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Im Fokus: König Charles III.  (rechts) und sein Sohn, Thronfolger Prinz William, bei einer Gedenkfeier zum Volkstrauertag im November.

© dpa/Kin Cheung

Der englische Patient: Charles’ Krebserkrankung trifft ein Land in der Krise

Großbritannien erlebt seit dem Brexit multiple Konflikte. Die Meldungen aus dem Buckingham-Palast über den Gesundheitszustand des Königs verschärfen die Situation.

Technisch gesehen ist es das, was ein Aushang vor dem Buckingham-Palast verkündete: ein „weiterer Befund“, Krebs in der nüchternen Sprache der Mediziner. Doch diesmal betrifft es den König – und der Schock trifft nicht nur den englischen Patienten und seine Familie, sondern ein ganzes, aufgewühltes Land.

Neu für die Briten ist, dass Charles diese Diagnose sofort öffentlich gemacht hat und nicht, wie es früher üblich war, hinter den Mauern der Monarchie und ihrer Leibärzte verbirgt; noch König George VI, Elizabeths Vater, wusste nicht einmal selbst, dass er Lungenkrebs hatte.

Doch ob es sich im Fall der Erkrankung von Charles um einen gut behandelbaren Tumor handelt oder eine Art Todesurteil, bleibt für Außenstehende vorerst offen.

Spekulationen zwischen Homeoffice und Abdankung

Die Behandlungen haben begonnen, heißt es, und im britischen Fernsehen spekulieren echte und selbsternannte Experten um die Wette. Wird der König nur ein paar Termine absagen und das Land aus dem Homeoffice dirigieren, oder steht er kurz vor der Abdankung?

Dass der mehr oder weniger ausgestoßene Prinz Harry sogar umgehend aus den USA anreisen möchte, spricht nicht für die einfachste Variante.

Keine Frage: Der britische König ist eindeutig der wichtigste Monarch der Welt. Er hat faktisch wenig zu sagen, aber das Land, das ihn mit großer Zuneigung auf den Thron gehoben hat, hört ihm zu.

Er ist Oberhaupt einer Weltmacht, die in vielen Krisengebieten massiv interveniert, flächenmäßig klein, aber politisch und wirtschaftlich stark, nach wie vor.

Und es wird aktuell von Krisen geschüttelt, die der König nicht steuern, aber doch durch seine Präsenz und Haltung beeinflussen kann. Was er sagt, hat Gewicht, er kann Wunden heilen und Brücken schlagen.

Und Charles schien auf gutem Wege: Er arbeitete mit großem Fleiß daran, die Lücke zu schließen, die der Tod seiner Mutter hinterlassen hat.

Der aktuelle Schock für King Charles’ Untertanen liegt im Zeitfaktor. Viele Jahre konnten sich die Briten an den Gedanken gewöhnen, dass Queen Elizabeth irgendwann sterben würde – das war Lebenserfahrung.

Doch dass der nächste Monarch nur anderthalb Jahre nach der Thronbesteigung womöglich schon wieder einen Nachfolger brauchen könnte, hatte niemand erwartet. Gut, Charles ist 75, aber er war zeitlebens von größeren Gesundheitsproblemen verschont geblieben. Und trägt er nicht die Windsor-Gene für ein langes, arbeitsames Leben?

Das Land hat einen Kurs der Selbstisolation eingeschlagen

Es kommt viel zusammen dieser Tage im Vereinigten Königreich. Das Land wird von Sorgen geschüttelt, auf die die erneute Krise der Monarchie ein grelles Licht wirft. Vor allem der Brexit, das leicht suizidal angehauchte Großprojekt britischer Eliten, hat das Reich geschwächt und auf einen Kurs der Selbstisolation getrieben, der auch Europa zu massiven Kurskorrekturen zwingt.

Die Corona-Jahre wirken nach, die Inflation treibt die Kosten des Lebensunterhalts in die Höhe, und die politischen Zentrifugalkräfte zerren in Nordirland und Schottland an den Grenzen des Reichs.

Die Bevölkerung leidet unter den Nebenwirkungen des Brexits, das Gesundheitssystem wankt, die Säuglingssterblichkeit hat ein Niveau erreicht, das für westliche Industrieländer beispiellos ist, die Kluft zwischen den Londoner Börsenmillionären und den Sozialhilfeempfängern in Blackpool oder Manchester wird immer größer.

Und die schnell, selten aber ruhmvoll wechselnden Regierungschefs haben das Gefühl der Unsicherheit vergrößert, das längst auch den schrumpfenden Mittelstand erfasst.

„God Save the King“ ist in diesem Kontext nicht nur das Lippenbekenntnis der Nationalhymne, sondern ein Stoßseufzer der großen Bürgermehrheit: Möge jetzt nicht auch noch der neue König wanken!

Natürlich ist für den Fall der Fälle alles geregelt. Königin Camilla hat bereits gezeigt, dass sie kraftvoll hinter dem Thron steht, Prinz William ist offenbar ein Nachfolger mit Statur. Doch all das verblasst gegenüber dem Schock, der die glühenden Anhänger der britischen Monarchie getroffen hat. Aber eben längst nicht nur sie.

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