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Im Nachhinein erhielt Jonas B. viel Solidarität, doch während des Angriffs schritt keiner der Umstehenden ein.

© IMAGO/Addictive Stock

Angriff auf Jonas B. beim CSD in Hannover: „Es standen viele herum, aber keiner hat uns geholfen“

Auf dem Christopher Street Day in Hannover kam es zu einem Angriff auf einen 17-jährigen trans Mann. Hier erzählt der Berliner Jonas B., was passiert ist.

Jonas B. reiste am 27. Mai aus Berlin nach Hannover zum Christopher Street Day. In Hannover wurde er gemeinsam mit einer weiteren Person in der Nähe des Hauptbahnhofes beleidigt, verletzt und bestohlen. Die Polizei sucht derzeit nach Zeug*innen. Wie die Zeitung „Hannoversche Allgemeine“ berichtete, soll es auf dem CSD außerdem zu weiteren Vorfällen sexualisierter und queerfeindlicher Gewalt gekommen seien.

Jonas, Du wurdest attackiert, als Du auf dem CSD in Hannover warst. Wie fühlst Du dich heute?
Körperlich geht es mir gut. Psychisch belastet es mich natürlich ein bisschen, aber ich glaube, ich komme damit relativ gut klar.

Was ist genau vorgefallen?
Ich war mit drei Freunden auf dem CSD in Hannover und wir waren gerade auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof, als meine beste Freundin von einem Typen beleidigt und geschlagen wurde. Ich bin dann dahin und hab gefragt, was das soll. Daraufhin ist die Gruppe relativ schnell auf uns losgegangen.

Erst haben sie nur diskutiert, dann hat der Typ gedroht, mich zu schlagen. Zweimal hat er es versucht, zweimal hat er nicht getroffen. Dann hat er mich am Kragen gepackt und auf den Boden gestoßen. Was danach passiert ist, weiß ich nicht. Ich kann mich kaum erinnern. Aber die Typen sollen mir gegen den Kopf getreten und mich beleidigt haben. Sie haben auch mein Handy geklaut, was aus der Tasche gefallen war. Meine beste Freundin hat sich dann um mich gekümmert.

Gab es noch andere Menschen oder wart Ihr alleine mit den Angreifern?
Es standen genug Personen um uns herum, die hätten eingreifen können. Aber keiner hat uns geholfen. Zwei erwachsene Personen kamen erst, als ich schon auf dem Boden lag.

Du wurdest dann ins Krankenhaus gebracht. Welche Gedanken gingen Dir durch den Kopf, als Du wieder bei Bewusstsein warst?
Im ersten Moment hatte ich Panik, ob ich offen zeige, dass ich auch andere Männer liebe und dass ich mich in meinem Geburtsgeschlecht nicht wohlfühle. Ich habe lange überlegt, ob ich das überhaupt offen zeige.

Ich hatte ehrlich gesagt Todesangst die ersten Stunden, als ich aus dem Krankenhaus rauskam und noch in Hannover war, dass ich nochmal geschlagen werde. Aber mittlerweile denke ich mir: Fuck it. Ich ziehe mein Ding durch und wenn jemand ein Problem hat und mich schlagen will, soll er das halt machen.

Jonas B. und seine beste Freundin waren auf dem Weg zum Bahnhof, als sie angegriffen wurden.

© IMAGO/Henning Scheffen

Und wie geht es Deiner besten Freundin mittlerweile?
Sie hat einen Riesenschock, aber ihr geht es deutlich besser als mir.

Nach dem Angriff gab es am Sonntagabend in Hannover eine Kundgebung gegen Queerfeindlichkeit. Welche Reaktionen hast Du selbst erhalten?
Ja, davon habe ich gelesen. Ich selbst habe von sehr vielen Leuten gehört, dass es ihnen leidtut, was passiert ist. Und dass sie es absolut nicht okay finden, was die Typen getan haben.

Lieber bin ich glücklich und andere sind darüber verärgert, als dass ich mich weiterhin unwohl fühle.

Jonas B.

Warst Du vor dem CSD in Hannover schon auf weiteren Prides und welche Erfahrungen hast Du dort gemacht?
Ich war dieses Jahr auf vielen CSDs und wir wurden auch schon auf anderen Prides angegriffen, aber nur mit Worten. Auch außerhalb von CSDs werde ich oft angefeindet. Wenn ich draußen mit Freunden in Berlin chille, kommen Leute zu uns und wollen uns schlagen.

Du hast Dich selbst dazu entschieden, den Vorfall öffentlich zu machen und darüber zu sprechen. Warum?
Ich habe bei einem anderen trans Mann auf Tiktok gesehen, dass ihm vor ein paar Monaten genau das Gleiche passiert ist. Er ist auch an die Öffentlichkeit gegangen. Wir wollen anderen trans Leuten und allgemein LGBTQ-Personen zeigen: Auch wenn so etwas passiert, versteckt euch nicht. Zeigt es erst recht, um es zu normalisieren. LGBTQ-Sein ist etwas Normales und nichts Falsches.

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Unmittelbar nach dem Angriff hattest Du Angst vor weiteren transfeindlichen Übergriffen. Ist das immer noch so?
Meine Angst ist nicht komplett weg. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass ich mich nicht weiter verstecken sollte. Ich habe mich jahrelang wirklich komplett versteckt. Ich habe versteckt, dass ich mich nicht in meinem Geburtsgeschlecht wohlfühle und dass ich auch auf andere Männer stehe.

Ich will das nicht mehr und ich sehe dafür auch keinen Grund. Das Risiko zusammengeschlagen zu werden, ist es mir wert. Lieber bin ich glücklich und andere sind darüber verärgert, als dass ich mich weiterhin unwohl fühle.

Auf dem CSD in Hannover Ende Mai kam es offenbar zu mehreren queerfeindlichen Angriffen.

© dpa/Julian Stratenschulte

Du hast von dem Mann auf Tiktok erzählt, der angegriffen wurde. Es gab außerdem den gewaltsamen Tod des trans Manns Malte C. beim Christopher Street Day in Münster im vergangenen Jahr. Hat das auch Erinnerungen geweckt?
Ja, hat es. Ich habe von Malte nicht so viel mitbekommen, aber ich habe schon auch Angst, dass ich irgendwann totgeschlagen werde.

Beim CSD in Hannover kam im Nachhinein raus, dass es weitere queerfeindliche Beschimpfungen und Angriffe gab. Teilnehmer*innen wurde die Regenbogenfahne entrissen. Hast Du eine Vermutung, weshalb es in Hannover so viele Vorfälle gab?
Das kann ich mir auch nicht erklären. Ich bin in 17 Jahren Berlin noch nicht einmal zusammengeschlagen worden. Aber kaum bin ich in Hannover, werde ich zusammengeschlagen. Das hat mich auch ein bisschen überrascht.

Wie nimmst Du die Atmosphäre aktuell in Berlin wahr im Pride Month?
LGBTQ-Personen sind bei dem Thema angespannt. Ich habe das Gefühl, dass weniger Leute zeigen, dass sie ein Teil davon sind und sich mehr die homophoben Menschen sichtbar machen. Es gibt nicht genügend Safe Spaces in Berlin, obwohl die Angriffe nicht gerade wenige sind.

Was könnte Deiner Meinung dazu beitragen, mehr Sicherheit für queere Personen zu schaffen?
Beim CSD in Hannover gab es kaum Polizei, auch nicht ringsherum. Dort, wo ich zusammengeschlagen wurde, konnte man den CSD noch sehen. Das war genau zwischen dem CSD und dem Hauptbahnhof, aber dort waren einfach keine Polizisten.

Die Parade musste vorher sogar mehrmals angehalten werden, weil homophobe Menschen mitten durchgelaufen sind. Die Strecke wurde nicht richtig abgesichert. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Sicherheitskräfte gibt.

Um Jonas zu schützen, haben wir entschieden, seinen Nachnamen nicht zu nennen und kein Bild von ihm zu zeigen.

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